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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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(5in zweiter Triaricr*) in dem Kampf mit dem weiblichen modernen Atha-
nasius - auch in den Wendungen ihrer phantastischen Sprache erinnert die
Gräfin an deu guten Görres -- giebt sich als Laie zu erkennen, aber es ist ein
Laie von großer theologischer Kenntniß und Erweckung. Es ist in diesem Buch
mehr noch, wie in dem vorhin erwähnten, eine seltsame Mischung von ernstem
und tiefem Nachdenken einerseits, von einer sehr bequemen, gefügigen Gedanken¬
losigkeit andererseits. Der Verfasser sucht zuerst dem Grundprincip der Refor¬
mation nachzugehen, und faßt dasselbe schärfer und tiefer auf, als es sonst in der
Regel der Fall ist. Er zeigt, daß die katholische Kirche auf strebsame Gemüther,
die in sich selber ihren Halt nicht zu finden wissen, eine unglaubliche Anziehungs¬
kraft ausüben müsse, und zwar nicht allein wegen ihres äußern Glanzes und wegen
der Consequenz in allen ihren Institutionen, sondern vorzugsweise durch die naive
Sicherheit, mit welcher das Wunder der göttlichen Erscheinung sich täglich in ihr
erneuert. Täglich wird der wirkliche Leib des Herrn den Gläubigen zu kosten gegeben,
täglich spricht der Priester, zwar im Namen und mit der Vollmacht Gottes, aber
doch mit autonomen Urtheil die Vergebung der Sünden ans, täglich erklärt das
Oberhaupt der Kirche mit der unfehlbaren Gewißheit des heiligen Geistes dem
Irrenden und Suchenden den richtigen Weg. Hier kann ein zweifelhaftes und
unklares Gemüth nicht irre gehen; wie oft es vom Glauben abgefallen sein mag,
es weiß, daß ein erbarmender Gott in unendlicher Gegenwart seiner harrt, und
es weiß genau, wo es ihn zu siudeu hat. Es hat nicht nöthig, in schweren
Kämpfen gegen sich selbst und gegen die Weisheit der Welt den Glauben zu er-
obern, es hat sich uur einfach zu unterwerfen. Diese Gegenwart des Göttlichen
ist auch in allen einzelnen Institutionen der Kirche durchgebildet; es giebt keinen,
"und uoch so unbedeutenden Schritt des Lebens, zu dem sie uicht hilfreich und
segnend ihre Hände ausstreckte. Der Protestantismus dagegen überläßt in gei¬
stiger Beziehung den Menschen den Qualen seines Gewissens und dem ent¬
setzlichen innern Kampf der Wiedergeburt; er verlangt bei allen Wundern,
bie er thut, die Mitwirkung des entgegenkommenden Gemüths, des Glaubens,
"sue dessen autonome Thätigkeit das Wunder uicht geschieht. Wem bleibt Wein,
und Brod bleibt Brod, wenn nicht das gläubige Gemüth das Wunder vollzieht,
und es in Leib und Blut verwandelt. So überläßt die protestantische Kirche auch
"n Aeußerlichen den Menschen seinem eigenen Schicksal; sie kommt ihm niemals
entgegen, sie will überall gesucht sein, und auch dann erscheint sie ihm nicht in
der übernatürlichen objectiven Gewißheit einer wirklichen Manifestation Gottes.
Diese Schattenseiten des Protestantismus weiß der Verfasser uoch viel schla-
6°über zu entwickeln, als die bekehrte Gräfin, und er hat in dem Einzelnen in



^Babylon mit Jerusalem, Ein Sendschreiben mit einer Nachschrift an Gräfin Jda
^yn->habn, Berlin. Wilhelm Hertz.

(5in zweiter Triaricr*) in dem Kampf mit dem weiblichen modernen Atha-
nasius - auch in den Wendungen ihrer phantastischen Sprache erinnert die
Gräfin an deu guten Görres — giebt sich als Laie zu erkennen, aber es ist ein
Laie von großer theologischer Kenntniß und Erweckung. Es ist in diesem Buch
mehr noch, wie in dem vorhin erwähnten, eine seltsame Mischung von ernstem
und tiefem Nachdenken einerseits, von einer sehr bequemen, gefügigen Gedanken¬
losigkeit andererseits. Der Verfasser sucht zuerst dem Grundprincip der Refor¬
mation nachzugehen, und faßt dasselbe schärfer und tiefer auf, als es sonst in der
Regel der Fall ist. Er zeigt, daß die katholische Kirche auf strebsame Gemüther,
die in sich selber ihren Halt nicht zu finden wissen, eine unglaubliche Anziehungs¬
kraft ausüben müsse, und zwar nicht allein wegen ihres äußern Glanzes und wegen
der Consequenz in allen ihren Institutionen, sondern vorzugsweise durch die naive
Sicherheit, mit welcher das Wunder der göttlichen Erscheinung sich täglich in ihr
erneuert. Täglich wird der wirkliche Leib des Herrn den Gläubigen zu kosten gegeben,
täglich spricht der Priester, zwar im Namen und mit der Vollmacht Gottes, aber
doch mit autonomen Urtheil die Vergebung der Sünden ans, täglich erklärt das
Oberhaupt der Kirche mit der unfehlbaren Gewißheit des heiligen Geistes dem
Irrenden und Suchenden den richtigen Weg. Hier kann ein zweifelhaftes und
unklares Gemüth nicht irre gehen; wie oft es vom Glauben abgefallen sein mag,
es weiß, daß ein erbarmender Gott in unendlicher Gegenwart seiner harrt, und
es weiß genau, wo es ihn zu siudeu hat. Es hat nicht nöthig, in schweren
Kämpfen gegen sich selbst und gegen die Weisheit der Welt den Glauben zu er-
obern, es hat sich uur einfach zu unterwerfen. Diese Gegenwart des Göttlichen
ist auch in allen einzelnen Institutionen der Kirche durchgebildet; es giebt keinen,
"und uoch so unbedeutenden Schritt des Lebens, zu dem sie uicht hilfreich und
segnend ihre Hände ausstreckte. Der Protestantismus dagegen überläßt in gei¬
stiger Beziehung den Menschen den Qualen seines Gewissens und dem ent¬
setzlichen innern Kampf der Wiedergeburt; er verlangt bei allen Wundern,
bie er thut, die Mitwirkung des entgegenkommenden Gemüths, des Glaubens,
»sue dessen autonome Thätigkeit das Wunder uicht geschieht. Wem bleibt Wein,
und Brod bleibt Brod, wenn nicht das gläubige Gemüth das Wunder vollzieht,
und es in Leib und Blut verwandelt. So überläßt die protestantische Kirche auch
"n Aeußerlichen den Menschen seinem eigenen Schicksal; sie kommt ihm niemals
entgegen, sie will überall gesucht sein, und auch dann erscheint sie ihm nicht in
der übernatürlichen objectiven Gewißheit einer wirklichen Manifestation Gottes.
Diese Schattenseiten des Protestantismus weiß der Verfasser uoch viel schla-
6°über zu entwickeln, als die bekehrte Gräfin, und er hat in dem Einzelnen in



^Babylon mit Jerusalem, Ein Sendschreiben mit einer Nachschrift an Gräfin Jda
^yn->habn, Berlin. Wilhelm Hertz.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/397>, abgerufen am 04.07.2024.