Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

nicht für uns. Für uns ist der nordische Sigurd eine eben so fremde Figur, als
der Klopstock'sche Hermann und die Raupach'schen Hohenstaufen.

Diese Concentration der Localität und diese einheitliche Form der historischen
Bilder gab den alten, schon ziemlich ausgearbeiteten Heldensagen der Dijnen jene
Fähigkeit, dem Volke genießbar gemacht zu werden, die eigentlich in ihrem ethi¬
schen Inhalt nicht lag. Denn die Heldensagen von jenen Seekönigen u. s. w. gehen
von der Idee des Adels ans, freilich des Adels im weitesten Sinn, wo man
kriegerische Geschlechter darunter versteht. Diese Idee des Adels, die in Eng¬
land noch immer nicht untergegangen ist, hat in Dänemark keine Stätte mehr.
Die vorwiegende Richtung des Geistes ist demokratisch. Aus dem Bürgerstande
gehen alle bedeutenden Talente hervor, und mit der realistischen Gesinnung,
die Oehleuschläger zur Schan trägt, ist es auch nicht so gefährlich. Wenn dieser
Mangel einer innern ethischen Uebereinstimmung in die Darstellung der alten
Sagen etwas ReflectirteS, gewissermaßen Symbolisches hineinträgt, so können sich
dagegen die Dänen rühmen, das durch eine gewisse Unbefangenheit wieder gut
gemacht zu haben. Sie betrachteten ihre Heldengeschichten als Bilder für sich,
nicht als Spiegelbilder der Gegenwart. Sie suchten nicht, wie es bei uns die
historische Schule gethan hat, sich die sittlichen Ideen einer vergangenen Zeit
künstlich zurecht zu machen. Auf der andern Seite verstattete die größere Ein¬
fachheit ihrer frühern Geschichte ihnen auch in den übersinnlichen Ideen eine
größere Unbefangenheit. Die Kämpfe > des Christenthums und der skaldischen
Mythologie ließen sich in einfache Gegensätze bringen; es bedürfte nicht einer
künstlichen Ueberspannung, um die farblosen Namen der alten Asen mit Fleisch
und Blut zu überkleiden, wie es Klopstock und seiue Nachfolger bei uns verge¬
bens versucht hatten. Darum hat Oehleuschläger mit sicherm Takt dasjenige
Maß gefunden, welches man bei der Anwendung historischer Ideen beobachte"
muß, wenn man nicht ins Manierirte, schwärmerische und Phantastische verfallen
will, und die Opposition, welche die Richtung der specifischen Nationalität u"d
des specifischen Christenthums von Seiten Gruudtvig's und seiner Schule gegen
ihn erhob, verkannte mit ihrem Vorwurf, daß Oehleuschläger die Integrität dieser
beiden Principien durch die ideale und humane Bedeutung, die er hineinlegte,
abschwäche oder geradezu aufopfere, den eigentlichen Beruf der Poesie in ihrer
Wiederherstellung des Alten.

Die Dichtungen, in denen Oehleuschläger die nordische Vorzeit wieder her¬
zustellen suchte, send folgende. Zunächst vier epische: Helge, 181t; die Götter
des Nordens, 1819; Hrolf Krake, 1827; Negnar Lodbrok, 18^,;
ferner die Dramen: Hakon Jarl, 1803; Palnatvke, 1806; Axel und
Walborg, 1807; Baldur der Gute, 1809; Startvdder, 1811; Hag''
bares und signe, 1814; die Blutbrüder, 1816; Erich und Adel,
1821; die Währinger in Konstantinopel, 1826; Karl der Große


nicht für uns. Für uns ist der nordische Sigurd eine eben so fremde Figur, als
der Klopstock'sche Hermann und die Raupach'schen Hohenstaufen.

Diese Concentration der Localität und diese einheitliche Form der historischen
Bilder gab den alten, schon ziemlich ausgearbeiteten Heldensagen der Dijnen jene
Fähigkeit, dem Volke genießbar gemacht zu werden, die eigentlich in ihrem ethi¬
schen Inhalt nicht lag. Denn die Heldensagen von jenen Seekönigen u. s. w. gehen
von der Idee des Adels ans, freilich des Adels im weitesten Sinn, wo man
kriegerische Geschlechter darunter versteht. Diese Idee des Adels, die in Eng¬
land noch immer nicht untergegangen ist, hat in Dänemark keine Stätte mehr.
Die vorwiegende Richtung des Geistes ist demokratisch. Aus dem Bürgerstande
gehen alle bedeutenden Talente hervor, und mit der realistischen Gesinnung,
die Oehleuschläger zur Schan trägt, ist es auch nicht so gefährlich. Wenn dieser
Mangel einer innern ethischen Uebereinstimmung in die Darstellung der alten
Sagen etwas ReflectirteS, gewissermaßen Symbolisches hineinträgt, so können sich
dagegen die Dänen rühmen, das durch eine gewisse Unbefangenheit wieder gut
gemacht zu haben. Sie betrachteten ihre Heldengeschichten als Bilder für sich,
nicht als Spiegelbilder der Gegenwart. Sie suchten nicht, wie es bei uns die
historische Schule gethan hat, sich die sittlichen Ideen einer vergangenen Zeit
künstlich zurecht zu machen. Auf der andern Seite verstattete die größere Ein¬
fachheit ihrer frühern Geschichte ihnen auch in den übersinnlichen Ideen eine
größere Unbefangenheit. Die Kämpfe > des Christenthums und der skaldischen
Mythologie ließen sich in einfache Gegensätze bringen; es bedürfte nicht einer
künstlichen Ueberspannung, um die farblosen Namen der alten Asen mit Fleisch
und Blut zu überkleiden, wie es Klopstock und seiue Nachfolger bei uns verge¬
bens versucht hatten. Darum hat Oehleuschläger mit sicherm Takt dasjenige
Maß gefunden, welches man bei der Anwendung historischer Ideen beobachte»
muß, wenn man nicht ins Manierirte, schwärmerische und Phantastische verfallen
will, und die Opposition, welche die Richtung der specifischen Nationalität u»d
des specifischen Christenthums von Seiten Gruudtvig's und seiner Schule gegen
ihn erhob, verkannte mit ihrem Vorwurf, daß Oehleuschläger die Integrität dieser
beiden Principien durch die ideale und humane Bedeutung, die er hineinlegte,
abschwäche oder geradezu aufopfere, den eigentlichen Beruf der Poesie in ihrer
Wiederherstellung des Alten.

Die Dichtungen, in denen Oehleuschläger die nordische Vorzeit wieder her¬
zustellen suchte, send folgende. Zunächst vier epische: Helge, 181t; die Götter
des Nordens, 1819; Hrolf Krake, 1827; Negnar Lodbrok, 18^,;
ferner die Dramen: Hakon Jarl, 1803; Palnatvke, 1806; Axel und
Walborg, 1807; Baldur der Gute, 1809; Startvdder, 1811; Hag''
bares und signe, 1814; die Blutbrüder, 1816; Erich und Adel,
1821; die Währinger in Konstantinopel, 1826; Karl der Große


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0340" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/280427"/>
          <p xml:id="ID_912" prev="#ID_911"> nicht für uns. Für uns ist der nordische Sigurd eine eben so fremde Figur, als<lb/>
der Klopstock'sche Hermann und die Raupach'schen Hohenstaufen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_913"> Diese Concentration der Localität und diese einheitliche Form der historischen<lb/>
Bilder gab den alten, schon ziemlich ausgearbeiteten Heldensagen der Dijnen jene<lb/>
Fähigkeit, dem Volke genießbar gemacht zu werden, die eigentlich in ihrem ethi¬<lb/>
schen Inhalt nicht lag. Denn die Heldensagen von jenen Seekönigen u. s. w. gehen<lb/>
von der Idee des Adels ans, freilich des Adels im weitesten Sinn, wo man<lb/>
kriegerische Geschlechter darunter versteht. Diese Idee des Adels, die in Eng¬<lb/>
land noch immer nicht untergegangen ist, hat in Dänemark keine Stätte mehr.<lb/>
Die vorwiegende Richtung des Geistes ist demokratisch. Aus dem Bürgerstande<lb/>
gehen alle bedeutenden Talente hervor, und mit der realistischen Gesinnung,<lb/>
die Oehleuschläger zur Schan trägt, ist es auch nicht so gefährlich. Wenn dieser<lb/>
Mangel einer innern ethischen Uebereinstimmung in die Darstellung der alten<lb/>
Sagen etwas ReflectirteS, gewissermaßen Symbolisches hineinträgt, so können sich<lb/>
dagegen die Dänen rühmen, das durch eine gewisse Unbefangenheit wieder gut<lb/>
gemacht zu haben. Sie betrachteten ihre Heldengeschichten als Bilder für sich,<lb/>
nicht als Spiegelbilder der Gegenwart. Sie suchten nicht, wie es bei uns die<lb/>
historische Schule gethan hat, sich die sittlichen Ideen einer vergangenen Zeit<lb/>
künstlich zurecht zu machen. Auf der andern Seite verstattete die größere Ein¬<lb/>
fachheit ihrer frühern Geschichte ihnen auch in den übersinnlichen Ideen eine<lb/>
größere Unbefangenheit. Die Kämpfe &gt; des Christenthums und der skaldischen<lb/>
Mythologie ließen sich in einfache Gegensätze bringen; es bedürfte nicht einer<lb/>
künstlichen Ueberspannung, um die farblosen Namen der alten Asen mit Fleisch<lb/>
und Blut zu überkleiden, wie es Klopstock und seiue Nachfolger bei uns verge¬<lb/>
bens versucht hatten. Darum hat Oehleuschläger mit sicherm Takt dasjenige<lb/>
Maß gefunden, welches man bei der Anwendung historischer Ideen beobachte»<lb/>
muß, wenn man nicht ins Manierirte, schwärmerische und Phantastische verfallen<lb/>
will, und die Opposition, welche die Richtung der specifischen Nationalität u»d<lb/>
des specifischen Christenthums von Seiten Gruudtvig's und seiner Schule gegen<lb/>
ihn erhob, verkannte mit ihrem Vorwurf, daß Oehleuschläger die Integrität dieser<lb/>
beiden Principien durch die ideale und humane Bedeutung, die er hineinlegte,<lb/>
abschwäche oder geradezu aufopfere, den eigentlichen Beruf der Poesie in ihrer<lb/>
Wiederherstellung des Alten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_914" next="#ID_915"> Die Dichtungen, in denen Oehleuschläger die nordische Vorzeit wieder her¬<lb/>
zustellen suchte, send folgende. Zunächst vier epische: Helge, 181t; die Götter<lb/>
des Nordens, 1819; Hrolf Krake, 1827; Negnar Lodbrok, 18^,;<lb/>
ferner die Dramen: Hakon Jarl, 1803; Palnatvke, 1806; Axel und<lb/>
Walborg, 1807; Baldur der Gute, 1809; Startvdder, 1811; Hag''<lb/>
bares und signe, 1814; die Blutbrüder, 1816; Erich und Adel,<lb/>
1821; die Währinger in Konstantinopel, 1826; Karl der Große</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0340] nicht für uns. Für uns ist der nordische Sigurd eine eben so fremde Figur, als der Klopstock'sche Hermann und die Raupach'schen Hohenstaufen. Diese Concentration der Localität und diese einheitliche Form der historischen Bilder gab den alten, schon ziemlich ausgearbeiteten Heldensagen der Dijnen jene Fähigkeit, dem Volke genießbar gemacht zu werden, die eigentlich in ihrem ethi¬ schen Inhalt nicht lag. Denn die Heldensagen von jenen Seekönigen u. s. w. gehen von der Idee des Adels ans, freilich des Adels im weitesten Sinn, wo man kriegerische Geschlechter darunter versteht. Diese Idee des Adels, die in Eng¬ land noch immer nicht untergegangen ist, hat in Dänemark keine Stätte mehr. Die vorwiegende Richtung des Geistes ist demokratisch. Aus dem Bürgerstande gehen alle bedeutenden Talente hervor, und mit der realistischen Gesinnung, die Oehleuschläger zur Schan trägt, ist es auch nicht so gefährlich. Wenn dieser Mangel einer innern ethischen Uebereinstimmung in die Darstellung der alten Sagen etwas ReflectirteS, gewissermaßen Symbolisches hineinträgt, so können sich dagegen die Dänen rühmen, das durch eine gewisse Unbefangenheit wieder gut gemacht zu haben. Sie betrachteten ihre Heldengeschichten als Bilder für sich, nicht als Spiegelbilder der Gegenwart. Sie suchten nicht, wie es bei uns die historische Schule gethan hat, sich die sittlichen Ideen einer vergangenen Zeit künstlich zurecht zu machen. Auf der andern Seite verstattete die größere Ein¬ fachheit ihrer frühern Geschichte ihnen auch in den übersinnlichen Ideen eine größere Unbefangenheit. Die Kämpfe > des Christenthums und der skaldischen Mythologie ließen sich in einfache Gegensätze bringen; es bedürfte nicht einer künstlichen Ueberspannung, um die farblosen Namen der alten Asen mit Fleisch und Blut zu überkleiden, wie es Klopstock und seiue Nachfolger bei uns verge¬ bens versucht hatten. Darum hat Oehleuschläger mit sicherm Takt dasjenige Maß gefunden, welches man bei der Anwendung historischer Ideen beobachte» muß, wenn man nicht ins Manierirte, schwärmerische und Phantastische verfallen will, und die Opposition, welche die Richtung der specifischen Nationalität u»d des specifischen Christenthums von Seiten Gruudtvig's und seiner Schule gegen ihn erhob, verkannte mit ihrem Vorwurf, daß Oehleuschläger die Integrität dieser beiden Principien durch die ideale und humane Bedeutung, die er hineinlegte, abschwäche oder geradezu aufopfere, den eigentlichen Beruf der Poesie in ihrer Wiederherstellung des Alten. Die Dichtungen, in denen Oehleuschläger die nordische Vorzeit wieder her¬ zustellen suchte, send folgende. Zunächst vier epische: Helge, 181t; die Götter des Nordens, 1819; Hrolf Krake, 1827; Negnar Lodbrok, 18^,; ferner die Dramen: Hakon Jarl, 1803; Palnatvke, 1806; Axel und Walborg, 1807; Baldur der Gute, 1809; Startvdder, 1811; Hag'' bares und signe, 1814; die Blutbrüder, 1816; Erich und Adel, 1821; die Währinger in Konstantinopel, 1826; Karl der Große

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/340
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/340>, abgerufen am 04.07.2024.