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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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ist in jedem Augenblick ganz, was er ist. Bei Goethe's "Wahrheit und Dich¬
tung", so wichtig sie für die Einsicht in das Wesen des Dichters ist, haben wir
doch nur die Reflexionen des reifern Mannes über die Zeiten seiner Jugend, von
denen er sich geistig durch eine unermeßliche Kluft getrennt fühlte; den Ton und die
Färbung jener Zeiten erkennen wir nicht mehr heraus. Bei Oehlenschläger ist es
umgekehrt, vielleicht weil in seinem Leben nie ein Wendepunkt eingetreten ist, der
geistig eine frühere, unreifere Lebensperiode von der spätern schied. Er hat nie
viel über sich selber reflectirt, und ist daher im Stande, seine Eindrücke so wieder¬
zugeben, wie er sie erhalten hat. Ehrlich, wie er zu allen Zeiten gegen die An¬
dern gewesen ist, ist er es auch gegen sich selbst, und wir sehen an ihm weder
die Coquetterie, die wirklichen Zustände zu idealisiren, noch die umgekehrte viel
schlimmere, in der Uebersetzung eines spätern Seelenzustandes über die frühern
den Stab zu breche".

Oehleuschläger ist geboren 177ö, der Sohn eiues Organisten beim Grafen
Moltke, in dem eine Viertelmeile von Kopenhagen gelegenen Friedrichsberg. Die
Aeltern lebten in ziemlicher Dürftigkeit, aber der Knabe hatte doch Gelegenheit,
durch die Galerie auf dem Schlosse einige Ideen von der Kunst sich zu bilden, und
beschäftigte sich außerdem viel mit der Dänischen Literatur, namentlich mit den
damals sehr beliebten Dichtern Messet und Ewald. Im -12. Jahre erhielt er
eine Freistelle in einer Schule zu Kopenhagen, einer Art Realschule, wo die alten
Sprachen fast gar nicht, das Deutsche dagegen recht gut getrieben wurde. Der
Deutsche Dichter, der damals in Dänemark das meiste Glücke machte, war
Kotzebue; neben ihm Lafontaine, und was sonst in dieselbe Kategorie gehörte;
auch Iffland, Spieß, Schröder u. s. w.; doch fand auch Schiller einigen An¬
klang. Im 16. Jahre verließ Oehleuschläger uach der Confirmation die Schule,
und sollte Kaufmann werden,.aber bald erwachte wieder seine Neigung zum Stu¬
diren und er nahm Privatunterricht in den alten Sprachen. Seine Hauptbildung
scheint sich aber doch ans das Theater bezogen zu haben; theils empfing er die
Eindrücke desselben vom Parterre aus, wo neben den Dänischen Dichtern na¬
mentlich Lessing's Emilia Galotti und Minna von Barnhelm ihn anzogen, theils
machte er auch Bekanntschaft hinter den Coulissen, verliebte sich in einige Schau'
spielerinnen, und erklärte eines Tages seinem Vater, er wolle aufs Theater ge-
hen. Dieser hatte auch Nichts dagegen. Oehlenschläger erhielt die erste theatra¬
lische Bildung, und kam dadurch mit Baggesen in Berührung, damals dem
zweiten Director des Theaters. Allein er fühlte bald, daß er eigentlich keinen
Beruf zur Schauspielkuust habe. Er warf sich auf die Poesie, und machte
lyrische Gedichte in dem damals herrschenden Geschmack, der elegisch war, und
ein gewisses sentimentales Wimmern forderte. Wichtiger war seine Bekannt¬
schaft mit dem jungen Oersted, der ihn zu ernstern Studien anhielt, und
der bis in sein spätes Alter sein treuer Freund blieb. (Oersted's Bruder hei-


ist in jedem Augenblick ganz, was er ist. Bei Goethe's „Wahrheit und Dich¬
tung", so wichtig sie für die Einsicht in das Wesen des Dichters ist, haben wir
doch nur die Reflexionen des reifern Mannes über die Zeiten seiner Jugend, von
denen er sich geistig durch eine unermeßliche Kluft getrennt fühlte; den Ton und die
Färbung jener Zeiten erkennen wir nicht mehr heraus. Bei Oehlenschläger ist es
umgekehrt, vielleicht weil in seinem Leben nie ein Wendepunkt eingetreten ist, der
geistig eine frühere, unreifere Lebensperiode von der spätern schied. Er hat nie
viel über sich selber reflectirt, und ist daher im Stande, seine Eindrücke so wieder¬
zugeben, wie er sie erhalten hat. Ehrlich, wie er zu allen Zeiten gegen die An¬
dern gewesen ist, ist er es auch gegen sich selbst, und wir sehen an ihm weder
die Coquetterie, die wirklichen Zustände zu idealisiren, noch die umgekehrte viel
schlimmere, in der Uebersetzung eines spätern Seelenzustandes über die frühern
den Stab zu breche».

Oehleuschläger ist geboren 177ö, der Sohn eiues Organisten beim Grafen
Moltke, in dem eine Viertelmeile von Kopenhagen gelegenen Friedrichsberg. Die
Aeltern lebten in ziemlicher Dürftigkeit, aber der Knabe hatte doch Gelegenheit,
durch die Galerie auf dem Schlosse einige Ideen von der Kunst sich zu bilden, und
beschäftigte sich außerdem viel mit der Dänischen Literatur, namentlich mit den
damals sehr beliebten Dichtern Messet und Ewald. Im -12. Jahre erhielt er
eine Freistelle in einer Schule zu Kopenhagen, einer Art Realschule, wo die alten
Sprachen fast gar nicht, das Deutsche dagegen recht gut getrieben wurde. Der
Deutsche Dichter, der damals in Dänemark das meiste Glücke machte, war
Kotzebue; neben ihm Lafontaine, und was sonst in dieselbe Kategorie gehörte;
auch Iffland, Spieß, Schröder u. s. w.; doch fand auch Schiller einigen An¬
klang. Im 16. Jahre verließ Oehleuschläger uach der Confirmation die Schule,
und sollte Kaufmann werden,.aber bald erwachte wieder seine Neigung zum Stu¬
diren und er nahm Privatunterricht in den alten Sprachen. Seine Hauptbildung
scheint sich aber doch ans das Theater bezogen zu haben; theils empfing er die
Eindrücke desselben vom Parterre aus, wo neben den Dänischen Dichtern na¬
mentlich Lessing's Emilia Galotti und Minna von Barnhelm ihn anzogen, theils
machte er auch Bekanntschaft hinter den Coulissen, verliebte sich in einige Schau'
spielerinnen, und erklärte eines Tages seinem Vater, er wolle aufs Theater ge-
hen. Dieser hatte auch Nichts dagegen. Oehlenschläger erhielt die erste theatra¬
lische Bildung, und kam dadurch mit Baggesen in Berührung, damals dem
zweiten Director des Theaters. Allein er fühlte bald, daß er eigentlich keinen
Beruf zur Schauspielkuust habe. Er warf sich auf die Poesie, und machte
lyrische Gedichte in dem damals herrschenden Geschmack, der elegisch war, und
ein gewisses sentimentales Wimmern forderte. Wichtiger war seine Bekannt¬
schaft mit dem jungen Oersted, der ihn zu ernstern Studien anhielt, und
der bis in sein spätes Alter sein treuer Freund blieb. (Oersted's Bruder hei-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/330>, abgerufen am 03.07.2024.