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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Deutsche Philosophie bereits in einer Reihe von Schriften ein ähnliches Ziel ver¬
folgt, und ist zum Theil auch zu den nämlichen Resultaten gelangt. Wer sich
auch uicht gerade im Einzelnen mit der Metaphysik beschäftigt hat, weiß dock,
daß die herrschende Richtung, unsres Denkens ans die sogenannte Identitäts-
philosophie hinausgeht, d. h, auf die Ueberzeugung, daß die Gesetze unsres
Denkens auch die Gesetze der Natur enthalten, daß Nichts gedacht werden kann,
als das Wirkliche, und daß alles Wirkliche auch gedacht werden kann; daß ferner
das nämliche Naturgesetz, welches auf unsrer Erde waltet, und unser Denken eben
so beherrscht, wie die uns äußerliche" Erscheinungen, ehe" so seiue Macht ausübt
auf dem Monde, in der Sonne, im Sinns, kurz in der gesammten Schöpfung;
daß in dem gesammten Universum kein Punkt e,riskirt, in dem nicht das New-
ton'sche Gravitationsgesetz sich geltend machte; daß wir uns keinen Himmel und
keine Hölle denken können, i" der nicht eben so wie ans der Erde L mal 2
i macht. Das Alles, wie gesagt, ist dnrch Deutsche Philosophen bereits hervor¬
gehoben, oder wenigstens angedeutet worden. Allein durch zwei Umstände unter¬
scheidet sich das Werk des Dänischen Naturforschers von den Schriften ähnlichen
Inhalts, an weiche wir gewöhnt find, Einmal macht es einen großen Unter¬
schied, wer Etwas sagt. Nicht allein, daß wir unwillkürlich das Gewicht einer
umfassenden und gründlichen Einsicht in das Wesen und in die Einzelnheiten der'
Natur der logischen Sicherheit eines philosophischen Lehrgebäudes hinzufügen:
es spricht sich diese Sicherheit auch in allen einzelnen Sätzen aus; wir haben
überall das Gefühl, daß wir vou einer festen Hand geleitet werden. Wenn uns
ein Philosoph auch die glänzendsten Beweise vorlegt,'wenn wir von den Netzen seiner
Syllogistik so eingefangen sind, daß wir uns nicht daraus befreien können, so
bleibt doch immer noch das geheime Bedenken, ob dieser Erfolg nicht blos unsrer
Schwäche zuzuschreiben sei, ob die formale Beweisführung auch ans einem sichern
materiellen Boden beruhe. Bei einem Naturforscher dagegen, der mit gleicher
Schärfe urtheilt und schließt, kann dieses Bedenken nicht eintreten. Noch wich¬
tiger ist ein zweiter Umstand. Unsern Philosophen ist es in der Regel nicht
genug, in ihr Lehrgebäude Dasjenige aufzunehmen, was keinem Zweifel mehr unter¬
worfen ist: in ihrem Streben nach Breite und Tiefe fügen sie auch ihre Einfalle,
ihre Vermuthungen, ihre Combinationen hinzu, und zwar in derselben Form apo¬
diktischer Gewißheit, mit der sie das Uebrige behaupten, und um den Unterschied
auszugleichen, wenden sie jene ungenauen, vielsagenden Ausdrucke an, in denen
unser vornehmes Wesen eine gewisse mystische Tiefe sucht, die aber nichts Anderes
verrathen, als eine unvollständige Herrschaft über den Gegenstand. Von Spinoza
an bis zu Hegel, wie-viele Behauptungen hat nicht die Philosophie aufgestellt,
bei denen man sehr angenehm träumen, aber niemals einen klaren, bestimmten
Gedanken festhalten kann. -- Oersted, hat diesen Fehler glücklich vermieden. Er
sagt Nichts, was er nicht weiß, und er behauptet Nichts, was er nicht beweisen


Deutsche Philosophie bereits in einer Reihe von Schriften ein ähnliches Ziel ver¬
folgt, und ist zum Theil auch zu den nämlichen Resultaten gelangt. Wer sich
auch uicht gerade im Einzelnen mit der Metaphysik beschäftigt hat, weiß dock,
daß die herrschende Richtung, unsres Denkens ans die sogenannte Identitäts-
philosophie hinausgeht, d. h, auf die Ueberzeugung, daß die Gesetze unsres
Denkens auch die Gesetze der Natur enthalten, daß Nichts gedacht werden kann,
als das Wirkliche, und daß alles Wirkliche auch gedacht werden kann; daß ferner
das nämliche Naturgesetz, welches auf unsrer Erde waltet, und unser Denken eben
so beherrscht, wie die uns äußerliche» Erscheinungen, ehe» so seiue Macht ausübt
auf dem Monde, in der Sonne, im Sinns, kurz in der gesammten Schöpfung;
daß in dem gesammten Universum kein Punkt e,riskirt, in dem nicht das New-
ton'sche Gravitationsgesetz sich geltend machte; daß wir uns keinen Himmel und
keine Hölle denken können, i» der nicht eben so wie ans der Erde L mal 2
i macht. Das Alles, wie gesagt, ist dnrch Deutsche Philosophen bereits hervor¬
gehoben, oder wenigstens angedeutet worden. Allein durch zwei Umstände unter¬
scheidet sich das Werk des Dänischen Naturforschers von den Schriften ähnlichen
Inhalts, an weiche wir gewöhnt find, Einmal macht es einen großen Unter¬
schied, wer Etwas sagt. Nicht allein, daß wir unwillkürlich das Gewicht einer
umfassenden und gründlichen Einsicht in das Wesen und in die Einzelnheiten der'
Natur der logischen Sicherheit eines philosophischen Lehrgebäudes hinzufügen:
es spricht sich diese Sicherheit auch in allen einzelnen Sätzen aus; wir haben
überall das Gefühl, daß wir vou einer festen Hand geleitet werden. Wenn uns
ein Philosoph auch die glänzendsten Beweise vorlegt,'wenn wir von den Netzen seiner
Syllogistik so eingefangen sind, daß wir uns nicht daraus befreien können, so
bleibt doch immer noch das geheime Bedenken, ob dieser Erfolg nicht blos unsrer
Schwäche zuzuschreiben sei, ob die formale Beweisführung auch ans einem sichern
materiellen Boden beruhe. Bei einem Naturforscher dagegen, der mit gleicher
Schärfe urtheilt und schließt, kann dieses Bedenken nicht eintreten. Noch wich¬
tiger ist ein zweiter Umstand. Unsern Philosophen ist es in der Regel nicht
genug, in ihr Lehrgebäude Dasjenige aufzunehmen, was keinem Zweifel mehr unter¬
worfen ist: in ihrem Streben nach Breite und Tiefe fügen sie auch ihre Einfalle,
ihre Vermuthungen, ihre Combinationen hinzu, und zwar in derselben Form apo¬
diktischer Gewißheit, mit der sie das Uebrige behaupten, und um den Unterschied
auszugleichen, wenden sie jene ungenauen, vielsagenden Ausdrucke an, in denen
unser vornehmes Wesen eine gewisse mystische Tiefe sucht, die aber nichts Anderes
verrathen, als eine unvollständige Herrschaft über den Gegenstand. Von Spinoza
an bis zu Hegel, wie-viele Behauptungen hat nicht die Philosophie aufgestellt,
bei denen man sehr angenehm träumen, aber niemals einen klaren, bestimmten
Gedanken festhalten kann. — Oersted, hat diesen Fehler glücklich vermieden. Er
sagt Nichts, was er nicht weiß, und er behauptet Nichts, was er nicht beweisen


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[0314] Deutsche Philosophie bereits in einer Reihe von Schriften ein ähnliches Ziel ver¬ folgt, und ist zum Theil auch zu den nämlichen Resultaten gelangt. Wer sich auch uicht gerade im Einzelnen mit der Metaphysik beschäftigt hat, weiß dock, daß die herrschende Richtung, unsres Denkens ans die sogenannte Identitäts- philosophie hinausgeht, d. h, auf die Ueberzeugung, daß die Gesetze unsres Denkens auch die Gesetze der Natur enthalten, daß Nichts gedacht werden kann, als das Wirkliche, und daß alles Wirkliche auch gedacht werden kann; daß ferner das nämliche Naturgesetz, welches auf unsrer Erde waltet, und unser Denken eben so beherrscht, wie die uns äußerliche» Erscheinungen, ehe» so seiue Macht ausübt auf dem Monde, in der Sonne, im Sinns, kurz in der gesammten Schöpfung; daß in dem gesammten Universum kein Punkt e,riskirt, in dem nicht das New- ton'sche Gravitationsgesetz sich geltend machte; daß wir uns keinen Himmel und keine Hölle denken können, i» der nicht eben so wie ans der Erde L mal 2 i macht. Das Alles, wie gesagt, ist dnrch Deutsche Philosophen bereits hervor¬ gehoben, oder wenigstens angedeutet worden. Allein durch zwei Umstände unter¬ scheidet sich das Werk des Dänischen Naturforschers von den Schriften ähnlichen Inhalts, an weiche wir gewöhnt find, Einmal macht es einen großen Unter¬ schied, wer Etwas sagt. Nicht allein, daß wir unwillkürlich das Gewicht einer umfassenden und gründlichen Einsicht in das Wesen und in die Einzelnheiten der' Natur der logischen Sicherheit eines philosophischen Lehrgebäudes hinzufügen: es spricht sich diese Sicherheit auch in allen einzelnen Sätzen aus; wir haben überall das Gefühl, daß wir vou einer festen Hand geleitet werden. Wenn uns ein Philosoph auch die glänzendsten Beweise vorlegt,'wenn wir von den Netzen seiner Syllogistik so eingefangen sind, daß wir uns nicht daraus befreien können, so bleibt doch immer noch das geheime Bedenken, ob dieser Erfolg nicht blos unsrer Schwäche zuzuschreiben sei, ob die formale Beweisführung auch ans einem sichern materiellen Boden beruhe. Bei einem Naturforscher dagegen, der mit gleicher Schärfe urtheilt und schließt, kann dieses Bedenken nicht eintreten. Noch wich¬ tiger ist ein zweiter Umstand. Unsern Philosophen ist es in der Regel nicht genug, in ihr Lehrgebäude Dasjenige aufzunehmen, was keinem Zweifel mehr unter¬ worfen ist: in ihrem Streben nach Breite und Tiefe fügen sie auch ihre Einfalle, ihre Vermuthungen, ihre Combinationen hinzu, und zwar in derselben Form apo¬ diktischer Gewißheit, mit der sie das Uebrige behaupten, und um den Unterschied auszugleichen, wenden sie jene ungenauen, vielsagenden Ausdrucke an, in denen unser vornehmes Wesen eine gewisse mystische Tiefe sucht, die aber nichts Anderes verrathen, als eine unvollständige Herrschaft über den Gegenstand. Von Spinoza an bis zu Hegel, wie-viele Behauptungen hat nicht die Philosophie aufgestellt, bei denen man sehr angenehm träumen, aber niemals einen klaren, bestimmten Gedanken festhalten kann. — Oersted, hat diesen Fehler glücklich vermieden. Er sagt Nichts, was er nicht weiß, und er behauptet Nichts, was er nicht beweisen

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/314>, abgerufen am 04.07.2024.