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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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als der der großen Englischen und Französischen Schriftsteller auf die unsrige. Die
Dänen, um für jetzt bei diesem einzelnen Volk stehen zu bleiben, haben noch keinen
Schriftsteller hervorgebracht, der in der allgemeinen Weltliteratur eine solche Stellung
einnähme, daß sein Studium nothwendig wäre, obgleich sie sich vieler rühmen
können, deren Studium interessant ist. Von diesem allgemeinen Urtheil können
wir anch Holberg nicht ausnehmen, der zwar bei der Naturkraft seines Witzes,
seiner derben, gesunden Charakteristik und seiner vollständigen Freiheit von aller
Sentimentalität eine interessante Erscheinung ist, der aber in der Weltliteratur seine
Stelle nicht findet, weil Molle;re sein Vorgänger war. Noch weniger können
wir Oehlenschläger davon ausuehmeu, obgleich dieser begabte und strebsame Mann
gerade für uns Deutsche soviel anziehende und bemerkenswerthe Seiten darbietet,
daß wir ihn zum Gegenstände unsrer nächsten ausführlichen Darstellung bestimmt
haben. Bei dem Urtheil über diese Dichter zweiten Ranges ist es aber schwer,
den Landsleuten derselben Genüge zu leisten; sie sind in dieser Beziehung höchst
reizbar, und vergessen, daß der Maßstab des Deutschen Kritikers ein andrer sein
muß, als der des Dänischen. Der Letztere sieht nur den Fortschritt in der Däni¬
schen Poesie, der Erstere muß das Verhältniß zur allgemeinen, und namentlich zur
Deutschen Cultur im Auge haben. Indessen wird diese Reizbarkeit sich legen,
sobald man sieht, daß den Deutschen Schriftstellern gegenüber das Urtheil eben
so streng ist, als den Dänischen, und sie wird in unsrer Zeit um so weniger Ver¬
anlassung zum Mißtrauen haben, da wir wahrlich in den neuesten Leistungen
unsrer productiven Literatur keinen Grind zur Ueberhebung finden können. Was
seit etwa vierzig Jahren in der schonen Literatur von den Deutschen geleistet ist,
gehört so wenig in die Kulturgeschichte der Welt, daß wir über die Fruchtbarkeit
unsres Geistes großes Bedenken hegen müßten, wenn diese vorübergehende Er¬
schlaffung nicht aus naheliegenden historischen Gründen zu begreifen wäre.

Die.andere Bemerkung ist ernsthafterer Natur. Die Dänen haben sich,
gereizt durch die journalistische Polemik der letzten zwanzig Jahre über die Schles¬
wig-Holsteinische Angelegenheit, in den Kopf gesetzt, wir hätten einen Nationalhaß
gegen sie. Mit dieser falschen Vorstellung hat sich seit den letzten Jahren eine
zweite verbunden, veranlaßt durch den unerwarteten Erfolg, den sie dnrch die Com¬
bination der allgemeinen Politik in dieser Sache errungen haben: sie wären Ms
überlegen und hätten uns besiegt. Beide Vorurtheile sind eben so unbegründet
als gefährlich. Wir haben so wenig einen Nationalhaß gegen die Dänen gehabt,
daß es eine ziemlich lauge Zeit gebraucht hat, diese Frage, die unserm Interesse
so nahe lag, bei uns populair zu machen. Der in localen und politischen Ver¬
hältnissen begründete Haß der Herzogthümer gegen Dänemark ist nicht auf das
übrige Deutschland übergegangen. Auch der Krieg hat es eigentlich noch nicht zum
Nationalhaß gebracht. Wir haben im Gegentheil die Dänen als ein tapferes
Volk, das großer Aufopferung sähig ist, achten gelernt; wir haben einzelne Extra-


als der der großen Englischen und Französischen Schriftsteller auf die unsrige. Die
Dänen, um für jetzt bei diesem einzelnen Volk stehen zu bleiben, haben noch keinen
Schriftsteller hervorgebracht, der in der allgemeinen Weltliteratur eine solche Stellung
einnähme, daß sein Studium nothwendig wäre, obgleich sie sich vieler rühmen
können, deren Studium interessant ist. Von diesem allgemeinen Urtheil können
wir anch Holberg nicht ausnehmen, der zwar bei der Naturkraft seines Witzes,
seiner derben, gesunden Charakteristik und seiner vollständigen Freiheit von aller
Sentimentalität eine interessante Erscheinung ist, der aber in der Weltliteratur seine
Stelle nicht findet, weil Molle;re sein Vorgänger war. Noch weniger können
wir Oehlenschläger davon ausuehmeu, obgleich dieser begabte und strebsame Mann
gerade für uns Deutsche soviel anziehende und bemerkenswerthe Seiten darbietet,
daß wir ihn zum Gegenstände unsrer nächsten ausführlichen Darstellung bestimmt
haben. Bei dem Urtheil über diese Dichter zweiten Ranges ist es aber schwer,
den Landsleuten derselben Genüge zu leisten; sie sind in dieser Beziehung höchst
reizbar, und vergessen, daß der Maßstab des Deutschen Kritikers ein andrer sein
muß, als der des Dänischen. Der Letztere sieht nur den Fortschritt in der Däni¬
schen Poesie, der Erstere muß das Verhältniß zur allgemeinen, und namentlich zur
Deutschen Cultur im Auge haben. Indessen wird diese Reizbarkeit sich legen,
sobald man sieht, daß den Deutschen Schriftstellern gegenüber das Urtheil eben
so streng ist, als den Dänischen, und sie wird in unsrer Zeit um so weniger Ver¬
anlassung zum Mißtrauen haben, da wir wahrlich in den neuesten Leistungen
unsrer productiven Literatur keinen Grind zur Ueberhebung finden können. Was
seit etwa vierzig Jahren in der schonen Literatur von den Deutschen geleistet ist,
gehört so wenig in die Kulturgeschichte der Welt, daß wir über die Fruchtbarkeit
unsres Geistes großes Bedenken hegen müßten, wenn diese vorübergehende Er¬
schlaffung nicht aus naheliegenden historischen Gründen zu begreifen wäre.

Die.andere Bemerkung ist ernsthafterer Natur. Die Dänen haben sich,
gereizt durch die journalistische Polemik der letzten zwanzig Jahre über die Schles¬
wig-Holsteinische Angelegenheit, in den Kopf gesetzt, wir hätten einen Nationalhaß
gegen sie. Mit dieser falschen Vorstellung hat sich seit den letzten Jahren eine
zweite verbunden, veranlaßt durch den unerwarteten Erfolg, den sie dnrch die Com¬
bination der allgemeinen Politik in dieser Sache errungen haben: sie wären Ms
überlegen und hätten uns besiegt. Beide Vorurtheile sind eben so unbegründet
als gefährlich. Wir haben so wenig einen Nationalhaß gegen die Dänen gehabt,
daß es eine ziemlich lauge Zeit gebraucht hat, diese Frage, die unserm Interesse
so nahe lag, bei uns populair zu machen. Der in localen und politischen Ver¬
hältnissen begründete Haß der Herzogthümer gegen Dänemark ist nicht auf das
übrige Deutschland übergegangen. Auch der Krieg hat es eigentlich noch nicht zum
Nationalhaß gebracht. Wir haben im Gegentheil die Dänen als ein tapferes
Volk, das großer Aufopferung sähig ist, achten gelernt; wir haben einzelne Extra-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/312>, abgerufen am 04.07.2024.