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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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zur ersten Beschäftigung des Kindes dienen, und sein Auge und Ohr mit den
Gefühlen und Gewohnheiten des Krieges vertraut machen. Man lehrt das Kind
sich freuen, wenn, -- je nach der Nation, welcher es angehört, -- der Rothrock
den Blaurock, oder umgekehrt, zurückwirft. Auf diese Weise wird unvermerkt schon
in der Brust des Kindes der Haß gegen andere Nationen angeregt, und die
Mutter würde daher weit besser thun, diese kriegerischen Spielwerkzeuge mit den
Instrumenten des Ackerbaues zu vertauschen.

Der zweite Sitznngstag, an welchem trotz der furchtbarsten Regenstrome der
weite Saal in allen Räumen überfüllt war -- begann mit Verlesung von Adres¬
sen ganzer Körperschaften und Entschuldigungsschreiben auswärtiger Friedens¬
freunde, welche Verhältnisse an dem persönlichen Erscheinen, hinderten. Unter die¬
sen Briefstellern knüpfte sich das meiste Interesse an die Namen von Barthvlcmy,
Se. Hilaire, Victor de Tracy, v. Bodenstedt (Redacteur der Weserzeitung), Carnot,
der muthmaßliche Kandidat für die nächste Präsidentenwahl in Frankreich, und
General Snbcrvie, einer der ältesten Feldherren der Französischen Armee, der sein
eigenes, früheres Gewerbe als ein barbarisches schildert, allen Gesetzen der
Natur und Menschlichkeit zuwider! --

Der Hauptredner war Richard Cobden, dessen unerschöpfliche, stets schlag¬
fertige Beredtsamkeit sich zwei Stunden lang in einem Strome sarkastischster An-
spielungen ergoß.

Er meint, ein bewaffneter Friede sei mit nur wenig Unterschied eben so
unheilvoll, wie ein ausgebrochener Krieg. Die Engländer hätten allerdings keine
bluttriefenden Schlachtfelder, leine zerstörten Städte, leine zertretenen Saaten,
aber sie haben schwerdrückende Steuern, die Entsittlichung der Kasernen, die
Verschwendung des Nationalreichthums zum Erhalt eines ungeheuren Mcnschcn-
körperö im Zustand des Müßigganges. Aber da heißt es: Willst dn Frieden, s"
rüste zum Krieg! Während gerade die immensen, stehenden Heere durch ihre Be¬
gierde uach Ruhm und Belohnung das Feuer des Krieges mehr entflammen als unter¬
drücken ! Und nur empfahl der Redner seinen Landsleuten, den Splitter erst ans dem
eigenen Auge zu ziehen, und nicht zu viel auf die gefährlichen Schmeichelworte zu
horchen, welche namentlich in den letzten Monaten gleichsam mit einer Mauerteile
(travcü) auf sie geschleudert wurden; und er bedauert sagen zu müssen, daß Eng¬
land und sein Reichthum, trotz seiner ruhmrediger FriedeuSphrascn, mehr für
Krieg und die Aufrechthaltung aggressiver Stellungen gethan hat, als irgend ein
anderes Land der Erde. Jeder Schilling der Nationalschuld sei verausgabt wer¬
de", entweder für eigene .Kriege, oder in der Unterstützung fremder Nationen,
um sich einander die Gurgel abzuschneiden. Das Volk kenne noch nicht den
gefährlichen Einfluß stehender Armeen. Er habe schon früher von dem Sit-
tenverderbniß der Kasernen gesprochen, die überall, wo sie vorhanden sind,
wie ein Brand auf die sie umgebende Bewohnerschaft wirken, durch die znnch-


zur ersten Beschäftigung des Kindes dienen, und sein Auge und Ohr mit den
Gefühlen und Gewohnheiten des Krieges vertraut machen. Man lehrt das Kind
sich freuen, wenn, — je nach der Nation, welcher es angehört, — der Rothrock
den Blaurock, oder umgekehrt, zurückwirft. Auf diese Weise wird unvermerkt schon
in der Brust des Kindes der Haß gegen andere Nationen angeregt, und die
Mutter würde daher weit besser thun, diese kriegerischen Spielwerkzeuge mit den
Instrumenten des Ackerbaues zu vertauschen.

Der zweite Sitznngstag, an welchem trotz der furchtbarsten Regenstrome der
weite Saal in allen Räumen überfüllt war — begann mit Verlesung von Adres¬
sen ganzer Körperschaften und Entschuldigungsschreiben auswärtiger Friedens¬
freunde, welche Verhältnisse an dem persönlichen Erscheinen, hinderten. Unter die¬
sen Briefstellern knüpfte sich das meiste Interesse an die Namen von Barthvlcmy,
Se. Hilaire, Victor de Tracy, v. Bodenstedt (Redacteur der Weserzeitung), Carnot,
der muthmaßliche Kandidat für die nächste Präsidentenwahl in Frankreich, und
General Snbcrvie, einer der ältesten Feldherren der Französischen Armee, der sein
eigenes, früheres Gewerbe als ein barbarisches schildert, allen Gesetzen der
Natur und Menschlichkeit zuwider! —

Der Hauptredner war Richard Cobden, dessen unerschöpfliche, stets schlag¬
fertige Beredtsamkeit sich zwei Stunden lang in einem Strome sarkastischster An-
spielungen ergoß.

Er meint, ein bewaffneter Friede sei mit nur wenig Unterschied eben so
unheilvoll, wie ein ausgebrochener Krieg. Die Engländer hätten allerdings keine
bluttriefenden Schlachtfelder, leine zerstörten Städte, leine zertretenen Saaten,
aber sie haben schwerdrückende Steuern, die Entsittlichung der Kasernen, die
Verschwendung des Nationalreichthums zum Erhalt eines ungeheuren Mcnschcn-
körperö im Zustand des Müßigganges. Aber da heißt es: Willst dn Frieden, s»
rüste zum Krieg! Während gerade die immensen, stehenden Heere durch ihre Be¬
gierde uach Ruhm und Belohnung das Feuer des Krieges mehr entflammen als unter¬
drücken ! Und nur empfahl der Redner seinen Landsleuten, den Splitter erst ans dem
eigenen Auge zu ziehen, und nicht zu viel auf die gefährlichen Schmeichelworte zu
horchen, welche namentlich in den letzten Monaten gleichsam mit einer Mauerteile
(travcü) auf sie geschleudert wurden; und er bedauert sagen zu müssen, daß Eng¬
land und sein Reichthum, trotz seiner ruhmrediger FriedeuSphrascn, mehr für
Krieg und die Aufrechthaltung aggressiver Stellungen gethan hat, als irgend ein
anderes Land der Erde. Jeder Schilling der Nationalschuld sei verausgabt wer¬
de», entweder für eigene .Kriege, oder in der Unterstützung fremder Nationen,
um sich einander die Gurgel abzuschneiden. Das Volk kenne noch nicht den
gefährlichen Einfluß stehender Armeen. Er habe schon früher von dem Sit-
tenverderbniß der Kasernen gesprochen, die überall, wo sie vorhanden sind,
wie ein Brand auf die sie umgebende Bewohnerschaft wirken, durch die znnch-


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[0272] zur ersten Beschäftigung des Kindes dienen, und sein Auge und Ohr mit den Gefühlen und Gewohnheiten des Krieges vertraut machen. Man lehrt das Kind sich freuen, wenn, — je nach der Nation, welcher es angehört, — der Rothrock den Blaurock, oder umgekehrt, zurückwirft. Auf diese Weise wird unvermerkt schon in der Brust des Kindes der Haß gegen andere Nationen angeregt, und die Mutter würde daher weit besser thun, diese kriegerischen Spielwerkzeuge mit den Instrumenten des Ackerbaues zu vertauschen. Der zweite Sitznngstag, an welchem trotz der furchtbarsten Regenstrome der weite Saal in allen Räumen überfüllt war — begann mit Verlesung von Adres¬ sen ganzer Körperschaften und Entschuldigungsschreiben auswärtiger Friedens¬ freunde, welche Verhältnisse an dem persönlichen Erscheinen, hinderten. Unter die¬ sen Briefstellern knüpfte sich das meiste Interesse an die Namen von Barthvlcmy, Se. Hilaire, Victor de Tracy, v. Bodenstedt (Redacteur der Weserzeitung), Carnot, der muthmaßliche Kandidat für die nächste Präsidentenwahl in Frankreich, und General Snbcrvie, einer der ältesten Feldherren der Französischen Armee, der sein eigenes, früheres Gewerbe als ein barbarisches schildert, allen Gesetzen der Natur und Menschlichkeit zuwider! — Der Hauptredner war Richard Cobden, dessen unerschöpfliche, stets schlag¬ fertige Beredtsamkeit sich zwei Stunden lang in einem Strome sarkastischster An- spielungen ergoß. Er meint, ein bewaffneter Friede sei mit nur wenig Unterschied eben so unheilvoll, wie ein ausgebrochener Krieg. Die Engländer hätten allerdings keine bluttriefenden Schlachtfelder, leine zerstörten Städte, leine zertretenen Saaten, aber sie haben schwerdrückende Steuern, die Entsittlichung der Kasernen, die Verschwendung des Nationalreichthums zum Erhalt eines ungeheuren Mcnschcn- körperö im Zustand des Müßigganges. Aber da heißt es: Willst dn Frieden, s» rüste zum Krieg! Während gerade die immensen, stehenden Heere durch ihre Be¬ gierde uach Ruhm und Belohnung das Feuer des Krieges mehr entflammen als unter¬ drücken ! Und nur empfahl der Redner seinen Landsleuten, den Splitter erst ans dem eigenen Auge zu ziehen, und nicht zu viel auf die gefährlichen Schmeichelworte zu horchen, welche namentlich in den letzten Monaten gleichsam mit einer Mauerteile (travcü) auf sie geschleudert wurden; und er bedauert sagen zu müssen, daß Eng¬ land und sein Reichthum, trotz seiner ruhmrediger FriedeuSphrascn, mehr für Krieg und die Aufrechthaltung aggressiver Stellungen gethan hat, als irgend ein anderes Land der Erde. Jeder Schilling der Nationalschuld sei verausgabt wer¬ de», entweder für eigene .Kriege, oder in der Unterstützung fremder Nationen, um sich einander die Gurgel abzuschneiden. Das Volk kenne noch nicht den gefährlichen Einfluß stehender Armeen. Er habe schon früher von dem Sit- tenverderbniß der Kasernen gesprochen, die überall, wo sie vorhanden sind, wie ein Brand auf die sie umgebende Bewohnerschaft wirken, durch die znnch-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/272>, abgerufen am 04.07.2024.