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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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in viel größeren Umfang ihre Indischen Kriege den Orient zur halben Heimath.
Schon damals hatte William Jules (geboren -1746, starb 179i) mit Einsicht und
Gründlichkeit die Orientalischen Studien geleitet; militairische Schriftsteller versuchten
die alte Geschichte aufzuklären, so Malcolm und Andere. Zwar hat in neuester
Zeit dieses Studium durch die monumentalen Entdeckungen, durch die Entzifferung
der Keilschriften und Aehnliches solche Fortschritte gemacht, daß jene frühern For¬
schungen unbedeutend dagegen aussehen; dafür hat sich aber auch die Gelehr¬
samkeit fast ausschließlich der Sache bemächtigt, während damals das unmittelbare
Interesse lebendiger und frischer war. Gleich zu Anfang ging die belletristische
Literatur auf diesen willkommenen Stoff ein. James Morier, zuerst Tourist,
dann Gesandter in Persien (181V), gab in den Jahren 1812 und 1818 seine
Orientalischen Reisebeschreibungen heraus, die bereits großes Interesse erregten;
nach seiner Rückkehr verarbeitete er den gewonnenen Stoff in romantischer Form.
Sein Hadji-Baba von Jspahan erschien 1824, die Fortsetzung 1828, Zohrab
der Geißel 1832. Auch Lady Morgan wandte sich von ihre" irischen Nativnal-
geschichtcn ab, und schrieb den Orientalischen Roman "Ayesha, oder die Propheten
von Kashmir". Washington Jrwing, nach Goldsmith der ausgezeichnetste Genre-
maler des Britischen Volkslebens, ließ sich dnrch die Anschauung der Alhambra
deu Orient vermitteln. Und so könnten wir noch viele andere Erscheinungen auf¬
zählen. Dazu kam das neuerwachte Interesse an dem fast vergessenen Griechi¬
schen Volk, in welchen: es schon damals unklar gährte. Lord Byron schrieb
seine Griechisch-Türkischen Gedichte. Es waren nicht mehr die Türken Racine's
und Voltaire's, jene mit Turban und Pantoffeln ausgeputzten Salonmenschen,
die Orosman, Bajazet, Roxane n. s. w., sondern die wüsten Morgenländer in
aller Gewalt ihres Hasses nud ihrer Liebe, in den glänzendsten Localfarbcn ge¬
schildert und noch romantischer ausgestattet durch die Sagen ihrer Heimath von
Vampyren und andern bösen Geistern. Durch ihn wurde der Orient zum fashio-
nabeln Gegenstand der Britischen Muse.

Moore leitete seine Orientalischen Dichtungen durch die Abende in Grie¬
chenland ein, eine durchaus musikalisch gehaltene Sammlung von kleinen Bildern
ohne tiefere Bedeutung. Sein Hauptwerk aber ist Lalla Rook. Gleich nach¬
dem er die Absicht gefaßt hatte, es zu schreiben (1812), unterhandelten seine
Freunde mit den Buchhändlern Longman, und Diese sicherten dem Dichter, ohne
sein Werk gesehen zu haben, ein Honorar von dreitausend Pfund Sterling Z",
das ihm nach dem Erscheinen des Gedichts, 1817, trotz der schlechten Zeiten
auch wirklich ausgezahlt wurde. Mit Staunen und Verehrung müssen unsre
Deutschen Dichter von einem solchen Preise hören, für ein Werk, welches in der
Tanchnitz'schen Ausgabe ungefähr einen halben Band ausmacht; aber in England
kann der Buchhändler auch Etwas zahlen, weil es dort Sitte ist, berühmte Bücher
nicht blos zu lesen, sondern auch zu kaufe". Lalla Rook erlebte in nicht langer


in viel größeren Umfang ihre Indischen Kriege den Orient zur halben Heimath.
Schon damals hatte William Jules (geboren -1746, starb 179i) mit Einsicht und
Gründlichkeit die Orientalischen Studien geleitet; militairische Schriftsteller versuchten
die alte Geschichte aufzuklären, so Malcolm und Andere. Zwar hat in neuester
Zeit dieses Studium durch die monumentalen Entdeckungen, durch die Entzifferung
der Keilschriften und Aehnliches solche Fortschritte gemacht, daß jene frühern For¬
schungen unbedeutend dagegen aussehen; dafür hat sich aber auch die Gelehr¬
samkeit fast ausschließlich der Sache bemächtigt, während damals das unmittelbare
Interesse lebendiger und frischer war. Gleich zu Anfang ging die belletristische
Literatur auf diesen willkommenen Stoff ein. James Morier, zuerst Tourist,
dann Gesandter in Persien (181V), gab in den Jahren 1812 und 1818 seine
Orientalischen Reisebeschreibungen heraus, die bereits großes Interesse erregten;
nach seiner Rückkehr verarbeitete er den gewonnenen Stoff in romantischer Form.
Sein Hadji-Baba von Jspahan erschien 1824, die Fortsetzung 1828, Zohrab
der Geißel 1832. Auch Lady Morgan wandte sich von ihre» irischen Nativnal-
geschichtcn ab, und schrieb den Orientalischen Roman „Ayesha, oder die Propheten
von Kashmir". Washington Jrwing, nach Goldsmith der ausgezeichnetste Genre-
maler des Britischen Volkslebens, ließ sich dnrch die Anschauung der Alhambra
deu Orient vermitteln. Und so könnten wir noch viele andere Erscheinungen auf¬
zählen. Dazu kam das neuerwachte Interesse an dem fast vergessenen Griechi¬
schen Volk, in welchen: es schon damals unklar gährte. Lord Byron schrieb
seine Griechisch-Türkischen Gedichte. Es waren nicht mehr die Türken Racine's
und Voltaire's, jene mit Turban und Pantoffeln ausgeputzten Salonmenschen,
die Orosman, Bajazet, Roxane n. s. w., sondern die wüsten Morgenländer in
aller Gewalt ihres Hasses nud ihrer Liebe, in den glänzendsten Localfarbcn ge¬
schildert und noch romantischer ausgestattet durch die Sagen ihrer Heimath von
Vampyren und andern bösen Geistern. Durch ihn wurde der Orient zum fashio-
nabeln Gegenstand der Britischen Muse.

Moore leitete seine Orientalischen Dichtungen durch die Abende in Grie¬
chenland ein, eine durchaus musikalisch gehaltene Sammlung von kleinen Bildern
ohne tiefere Bedeutung. Sein Hauptwerk aber ist Lalla Rook. Gleich nach¬
dem er die Absicht gefaßt hatte, es zu schreiben (1812), unterhandelten seine
Freunde mit den Buchhändlern Longman, und Diese sicherten dem Dichter, ohne
sein Werk gesehen zu haben, ein Honorar von dreitausend Pfund Sterling Z",
das ihm nach dem Erscheinen des Gedichts, 1817, trotz der schlechten Zeiten
auch wirklich ausgezahlt wurde. Mit Staunen und Verehrung müssen unsre
Deutschen Dichter von einem solchen Preise hören, für ein Werk, welches in der
Tanchnitz'schen Ausgabe ungefähr einen halben Band ausmacht; aber in England
kann der Buchhändler auch Etwas zahlen, weil es dort Sitte ist, berühmte Bücher
nicht blos zu lesen, sondern auch zu kaufe». Lalla Rook erlebte in nicht langer


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[0260] in viel größeren Umfang ihre Indischen Kriege den Orient zur halben Heimath. Schon damals hatte William Jules (geboren -1746, starb 179i) mit Einsicht und Gründlichkeit die Orientalischen Studien geleitet; militairische Schriftsteller versuchten die alte Geschichte aufzuklären, so Malcolm und Andere. Zwar hat in neuester Zeit dieses Studium durch die monumentalen Entdeckungen, durch die Entzifferung der Keilschriften und Aehnliches solche Fortschritte gemacht, daß jene frühern For¬ schungen unbedeutend dagegen aussehen; dafür hat sich aber auch die Gelehr¬ samkeit fast ausschließlich der Sache bemächtigt, während damals das unmittelbare Interesse lebendiger und frischer war. Gleich zu Anfang ging die belletristische Literatur auf diesen willkommenen Stoff ein. James Morier, zuerst Tourist, dann Gesandter in Persien (181V), gab in den Jahren 1812 und 1818 seine Orientalischen Reisebeschreibungen heraus, die bereits großes Interesse erregten; nach seiner Rückkehr verarbeitete er den gewonnenen Stoff in romantischer Form. Sein Hadji-Baba von Jspahan erschien 1824, die Fortsetzung 1828, Zohrab der Geißel 1832. Auch Lady Morgan wandte sich von ihre» irischen Nativnal- geschichtcn ab, und schrieb den Orientalischen Roman „Ayesha, oder die Propheten von Kashmir". Washington Jrwing, nach Goldsmith der ausgezeichnetste Genre- maler des Britischen Volkslebens, ließ sich dnrch die Anschauung der Alhambra deu Orient vermitteln. Und so könnten wir noch viele andere Erscheinungen auf¬ zählen. Dazu kam das neuerwachte Interesse an dem fast vergessenen Griechi¬ schen Volk, in welchen: es schon damals unklar gährte. Lord Byron schrieb seine Griechisch-Türkischen Gedichte. Es waren nicht mehr die Türken Racine's und Voltaire's, jene mit Turban und Pantoffeln ausgeputzten Salonmenschen, die Orosman, Bajazet, Roxane n. s. w., sondern die wüsten Morgenländer in aller Gewalt ihres Hasses nud ihrer Liebe, in den glänzendsten Localfarbcn ge¬ schildert und noch romantischer ausgestattet durch die Sagen ihrer Heimath von Vampyren und andern bösen Geistern. Durch ihn wurde der Orient zum fashio- nabeln Gegenstand der Britischen Muse. Moore leitete seine Orientalischen Dichtungen durch die Abende in Grie¬ chenland ein, eine durchaus musikalisch gehaltene Sammlung von kleinen Bildern ohne tiefere Bedeutung. Sein Hauptwerk aber ist Lalla Rook. Gleich nach¬ dem er die Absicht gefaßt hatte, es zu schreiben (1812), unterhandelten seine Freunde mit den Buchhändlern Longman, und Diese sicherten dem Dichter, ohne sein Werk gesehen zu haben, ein Honorar von dreitausend Pfund Sterling Z", das ihm nach dem Erscheinen des Gedichts, 1817, trotz der schlechten Zeiten auch wirklich ausgezahlt wurde. Mit Staunen und Verehrung müssen unsre Deutschen Dichter von einem solchen Preise hören, für ein Werk, welches in der Tanchnitz'schen Ausgabe ungefähr einen halben Band ausmacht; aber in England kann der Buchhändler auch Etwas zahlen, weil es dort Sitte ist, berühmte Bücher nicht blos zu lesen, sondern auch zu kaufe». Lalla Rook erlebte in nicht langer

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/260>, abgerufen am 04.07.2024.