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Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band.

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Beim nähern Umgang wurde man noch weiter enttäuscht. Man erwartete unaus¬
gesetzte philosophische Deductionen und ein scharfes, eifriges, aigrirtes Eingehen
aus jede Richtung, die mit seinem Princip irgend im Zusammenhang stand. Nun
sprach er zwar zuweilen von der Dialektik der Idee", vom Sein und Nichtsein und
dergleichen, aber uur, wenn er zu träge war, um irgend einen bestimmten Ge¬
danken zu verfolge". Jene Redensarten waren ihm so geläufig, daß er sie ledi¬
glich benutzte, um die Lücken des Gesprächs auszufallen, und daß er keinen großem
Inhalt hineinlegte, als in die viel bequemern Kategorien "Pferde, Verräther, Un¬
menschen" u. f. w., mit denen er sehr freigebig war. Zwar hatte er allerlei
von einzelnen interessanten Richtungen in der Wissenschaft und im Leben gehört,
aber nur, wenn sie ihm dnrch persönliche Berührung nahe gerückt, oder ihm auch
geradezu vou seinen Freunden zurecht gemacht waren. Im Ganzen herrschte bei
ihm auch über die bekanntesten Dinge eine Unwissenheit, wie sie bei einem litera¬
risch Gebildeten vielleicht nicht wieder anzutreffen sein würde. Er machte daraus
auch gar kein Hehl, war vollkommen zufrieden mit dem geringen Vorrath von
Kenntnissen, die sich fast alle aus der Zeit herschricbeu, wo er auf der Festung
saß, zeigte nicht die geringste Lust, sich zu weitern Studien herzugeben, und staunte
mit halber Ehrfurcht, mit halbem Lächeln einen Jeden an, der ihm dnrch positive
Facta imponirte, so lange ihm diese Empfindung der Überlegenheit nicht unbe¬
quem wurde. Am Liebsten ging er daher mit jungen Leuten um, denen er einige
Detailstudien gern verzeihen konnte, da sie in ihm doch im Ganzen den Patri¬
archen der Philosophie verehrten; auch mit Frauen und Geschäftsleuten, denen
er sich zuweilen durch eingestreute Hegel'sche Reminiscenzen als Philosophen
documentirte, die er aber am Liebsten durch humoristisch vorgetragene Anekdoten,
pikante Charakteristiken und Witze unterhielt. Die Witze waren meistens gut
und sein Humor um so eindringlicher, da er durchaus nichts Gemachtes hatte, da
überall die herzliche Freude durchblickte, die er selber darüber empfand. Nichts
kann falscher sein, als die Vorstellung, die Viele von ihm haben: er mache den
Eindruck eiues Deutschen Gelehrten. Wie er sich bei den meisten Büchern lang¬
weilte, so war ihm dagegen der Umgang, wo mau peripatetisch über allerlei inter¬
essante Gegenstände discutirte, sehr angenehm, namentlich wenn man schlagfertig
war, rasch die Pointen sand und Spaß verstand und ausübte. Freilich hat er
bei solchen Gelegenheiten die Eitelkeit Vieler verletzt, weil er sowol in der Hitze
wie im Scherze es mit seinem Ausdruck nicht genan nahm, für den Unbefangenen
aber ließ sich ein bequemerer Umgang nicht denken. Wenn er auch im Anfange
durch die schiefsten Urtheile über Kunst, Literatur, Politik in Erstaunen
setzte, so kam man bald dahinter, daß die Verkehrtheit derselben nnr ans voll¬
ständiger Unkenntnis) beruhte; im Allgemeine" aber erstellte er sich eines sehr gesun¬
den Menschenverstandes und einer schnellen Beweglichkeit des Geistes, die leicht
auffaßte, die sich freilich auch vor jeder Mühe des Anssassens scheute. Was


Beim nähern Umgang wurde man noch weiter enttäuscht. Man erwartete unaus¬
gesetzte philosophische Deductionen und ein scharfes, eifriges, aigrirtes Eingehen
aus jede Richtung, die mit seinem Princip irgend im Zusammenhang stand. Nun
sprach er zwar zuweilen von der Dialektik der Idee», vom Sein und Nichtsein und
dergleichen, aber uur, wenn er zu träge war, um irgend einen bestimmten Ge¬
danken zu verfolge». Jene Redensarten waren ihm so geläufig, daß er sie ledi¬
glich benutzte, um die Lücken des Gesprächs auszufallen, und daß er keinen großem
Inhalt hineinlegte, als in die viel bequemern Kategorien „Pferde, Verräther, Un¬
menschen" u. f. w., mit denen er sehr freigebig war. Zwar hatte er allerlei
von einzelnen interessanten Richtungen in der Wissenschaft und im Leben gehört,
aber nur, wenn sie ihm dnrch persönliche Berührung nahe gerückt, oder ihm auch
geradezu vou seinen Freunden zurecht gemacht waren. Im Ganzen herrschte bei
ihm auch über die bekanntesten Dinge eine Unwissenheit, wie sie bei einem litera¬
risch Gebildeten vielleicht nicht wieder anzutreffen sein würde. Er machte daraus
auch gar kein Hehl, war vollkommen zufrieden mit dem geringen Vorrath von
Kenntnissen, die sich fast alle aus der Zeit herschricbeu, wo er auf der Festung
saß, zeigte nicht die geringste Lust, sich zu weitern Studien herzugeben, und staunte
mit halber Ehrfurcht, mit halbem Lächeln einen Jeden an, der ihm dnrch positive
Facta imponirte, so lange ihm diese Empfindung der Überlegenheit nicht unbe¬
quem wurde. Am Liebsten ging er daher mit jungen Leuten um, denen er einige
Detailstudien gern verzeihen konnte, da sie in ihm doch im Ganzen den Patri¬
archen der Philosophie verehrten; auch mit Frauen und Geschäftsleuten, denen
er sich zuweilen durch eingestreute Hegel'sche Reminiscenzen als Philosophen
documentirte, die er aber am Liebsten durch humoristisch vorgetragene Anekdoten,
pikante Charakteristiken und Witze unterhielt. Die Witze waren meistens gut
und sein Humor um so eindringlicher, da er durchaus nichts Gemachtes hatte, da
überall die herzliche Freude durchblickte, die er selber darüber empfand. Nichts
kann falscher sein, als die Vorstellung, die Viele von ihm haben: er mache den
Eindruck eiues Deutschen Gelehrten. Wie er sich bei den meisten Büchern lang¬
weilte, so war ihm dagegen der Umgang, wo mau peripatetisch über allerlei inter¬
essante Gegenstände discutirte, sehr angenehm, namentlich wenn man schlagfertig
war, rasch die Pointen sand und Spaß verstand und ausübte. Freilich hat er
bei solchen Gelegenheiten die Eitelkeit Vieler verletzt, weil er sowol in der Hitze
wie im Scherze es mit seinem Ausdruck nicht genan nahm, für den Unbefangenen
aber ließ sich ein bequemerer Umgang nicht denken. Wenn er auch im Anfange
durch die schiefsten Urtheile über Kunst, Literatur, Politik in Erstaunen
setzte, so kam man bald dahinter, daß die Verkehrtheit derselben nnr ans voll¬
ständiger Unkenntnis) beruhte; im Allgemeine» aber erstellte er sich eines sehr gesun¬
den Menschenverstandes und einer schnellen Beweglichkeit des Geistes, die leicht
auffaßte, die sich freilich auch vor jeder Mühe des Anssassens scheute. Was


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 10, 1851, II. Semester. III. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341570_280086/170>, abgerufen am 03.07.2024.