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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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werden mag, mit einander verbinden. Dabei muß aber stets der Grundsatz fest¬
gehalten werden, daß die Distrikts - Verwaltung nicht der allgemeinen gegenüber¬
stehen, sondern sie ergänzen soll.

Die Provinzen aber sollen als historische, nationale Staatengebilde nicht
weiter fortbestehn, denn eigne Staaten können sie nicht werden, und als Theile
des Staats lahmen sie die Wirksamkeit desselben. Sie dürfen deshalb nicht fürchten,
daß man Ihr Böhmen zerschlagen wird, denn es ist ein natürliches Ganze; es wird
fortbestehn, aber nicht als czechisches Königreich, sondern als östreichische Provinz.

Diejenigen Volksthümlichkeiten, welche sich einer wirklichen Individualität und
einer bildungsfähigen Sprache erfreuen, werden durch diese neue Gliederung nicht
beeinträchtigt werden; die aber dabei von einem mächtigeren Organismus absor-
birt werden, nun die verdienen es, und können die Vorsehung preisen, einer hö¬
hern Bestimmung entgegengeführt zu werdeu. Die Freiheit und das Glück der
Einzelnen soll nicht dem Schemen einer aus verschrobener Gelehrsamkeit hervorge¬
gangenen Abstraction, dem sogenannten Volk geopfert werden.

Schon nach dem bisherigen Gesichtspunkt stellt sich der Regierung eine Auf¬
gabe, der sie allein nicht gewachsen ist, und zu deren Vollendung sie, sobald die
nöthige Reihe der Schulexercitien verfertigt sein wird, eine Ergänzung suchen
muß. Die Nothwendigkeit, in die sie sich versetzt steht, über die abstracte Thä¬
tigkeit des Steuerempfangens und Rekrutenaushebens hinauszugehn, wenn sie
überhaupt auf die Dauer auch nur dieser Lieblingsbeschäftigungen mächtig bleiben
will, ist zugleich die Basis für die Hoffnungen Oestreichs.

Diese Hoffnungen bastren, was auch meine politischen Freunde in Oestreich
über die Unmöglichkeit behaupten mögen, Völker verschiedener Zungen und ent¬
gegengesetzter historischer Erinnerungen in einem Reichstag zu verewigen, auf der
constitutionellen Centralisation des Staats. Ich bin darin nicht im geringsten
sanguinisch; ich bin überzeugt, daß, was man auch für ein Wahlgesetz geben
möge, für den ersten Anfang häufig und vielleicht der Mehrzahl nach ungeschickte
Wahlen herauskommen; daß die Stände trotz aller guten Absichten von beiden
Seiten, dennoch mit der Regierung in Conflict kommen, daß sie ein, zwei, drei¬
mal nach Hause geschickt werden. Aber sie müsse" dennoch wieder einberufen wer¬
den, aus dem einfachen Grunde, weil die Regierung in sich selber nicht die Kräfte
finden wird, wirklich zu regiere", und weil sie sich diejenigen Männer, die es
versteh", erst muß bezeichnen lassen.

Sie würden das constitutionelle Prinzip nur zur Hälfte würdigen, wenn Sie
Ihre Aufmerksamkeit nur auf seine unmittelbaren Erfolge, nur auf die Beschlüsse rich¬
ten wollten, die vom Reichstag ausgehn, auf die Gesetze, denen er seine Bestäti¬
gung gibt. Die Hauptsache, und das namentlich für einen Staat, der sich selber
so eine terr.T incoAmt-l ist, wie Oestreich, liegt in der Gelegenheit, der eignen
Kräfte bewußt zu werden. Dazu ist freilich nöthig, daß der Reichstag nicht auf


werden mag, mit einander verbinden. Dabei muß aber stets der Grundsatz fest¬
gehalten werden, daß die Distrikts - Verwaltung nicht der allgemeinen gegenüber¬
stehen, sondern sie ergänzen soll.

Die Provinzen aber sollen als historische, nationale Staatengebilde nicht
weiter fortbestehn, denn eigne Staaten können sie nicht werden, und als Theile
des Staats lahmen sie die Wirksamkeit desselben. Sie dürfen deshalb nicht fürchten,
daß man Ihr Böhmen zerschlagen wird, denn es ist ein natürliches Ganze; es wird
fortbestehn, aber nicht als czechisches Königreich, sondern als östreichische Provinz.

Diejenigen Volksthümlichkeiten, welche sich einer wirklichen Individualität und
einer bildungsfähigen Sprache erfreuen, werden durch diese neue Gliederung nicht
beeinträchtigt werden; die aber dabei von einem mächtigeren Organismus absor-
birt werden, nun die verdienen es, und können die Vorsehung preisen, einer hö¬
hern Bestimmung entgegengeführt zu werdeu. Die Freiheit und das Glück der
Einzelnen soll nicht dem Schemen einer aus verschrobener Gelehrsamkeit hervorge¬
gangenen Abstraction, dem sogenannten Volk geopfert werden.

Schon nach dem bisherigen Gesichtspunkt stellt sich der Regierung eine Auf¬
gabe, der sie allein nicht gewachsen ist, und zu deren Vollendung sie, sobald die
nöthige Reihe der Schulexercitien verfertigt sein wird, eine Ergänzung suchen
muß. Die Nothwendigkeit, in die sie sich versetzt steht, über die abstracte Thä¬
tigkeit des Steuerempfangens und Rekrutenaushebens hinauszugehn, wenn sie
überhaupt auf die Dauer auch nur dieser Lieblingsbeschäftigungen mächtig bleiben
will, ist zugleich die Basis für die Hoffnungen Oestreichs.

Diese Hoffnungen bastren, was auch meine politischen Freunde in Oestreich
über die Unmöglichkeit behaupten mögen, Völker verschiedener Zungen und ent¬
gegengesetzter historischer Erinnerungen in einem Reichstag zu verewigen, auf der
constitutionellen Centralisation des Staats. Ich bin darin nicht im geringsten
sanguinisch; ich bin überzeugt, daß, was man auch für ein Wahlgesetz geben
möge, für den ersten Anfang häufig und vielleicht der Mehrzahl nach ungeschickte
Wahlen herauskommen; daß die Stände trotz aller guten Absichten von beiden
Seiten, dennoch mit der Regierung in Conflict kommen, daß sie ein, zwei, drei¬
mal nach Hause geschickt werden. Aber sie müsse» dennoch wieder einberufen wer¬
den, aus dem einfachen Grunde, weil die Regierung in sich selber nicht die Kräfte
finden wird, wirklich zu regiere», und weil sie sich diejenigen Männer, die es
versteh», erst muß bezeichnen lassen.

Sie würden das constitutionelle Prinzip nur zur Hälfte würdigen, wenn Sie
Ihre Aufmerksamkeit nur auf seine unmittelbaren Erfolge, nur auf die Beschlüsse rich¬
ten wollten, die vom Reichstag ausgehn, auf die Gesetze, denen er seine Bestäti¬
gung gibt. Die Hauptsache, und das namentlich für einen Staat, der sich selber
so eine terr.T incoAmt-l ist, wie Oestreich, liegt in der Gelegenheit, der eignen
Kräfte bewußt zu werden. Dazu ist freilich nöthig, daß der Reichstag nicht auf


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[0095] werden mag, mit einander verbinden. Dabei muß aber stets der Grundsatz fest¬ gehalten werden, daß die Distrikts - Verwaltung nicht der allgemeinen gegenüber¬ stehen, sondern sie ergänzen soll. Die Provinzen aber sollen als historische, nationale Staatengebilde nicht weiter fortbestehn, denn eigne Staaten können sie nicht werden, und als Theile des Staats lahmen sie die Wirksamkeit desselben. Sie dürfen deshalb nicht fürchten, daß man Ihr Böhmen zerschlagen wird, denn es ist ein natürliches Ganze; es wird fortbestehn, aber nicht als czechisches Königreich, sondern als östreichische Provinz. Diejenigen Volksthümlichkeiten, welche sich einer wirklichen Individualität und einer bildungsfähigen Sprache erfreuen, werden durch diese neue Gliederung nicht beeinträchtigt werden; die aber dabei von einem mächtigeren Organismus absor- birt werden, nun die verdienen es, und können die Vorsehung preisen, einer hö¬ hern Bestimmung entgegengeführt zu werdeu. Die Freiheit und das Glück der Einzelnen soll nicht dem Schemen einer aus verschrobener Gelehrsamkeit hervorge¬ gangenen Abstraction, dem sogenannten Volk geopfert werden. Schon nach dem bisherigen Gesichtspunkt stellt sich der Regierung eine Auf¬ gabe, der sie allein nicht gewachsen ist, und zu deren Vollendung sie, sobald die nöthige Reihe der Schulexercitien verfertigt sein wird, eine Ergänzung suchen muß. Die Nothwendigkeit, in die sie sich versetzt steht, über die abstracte Thä¬ tigkeit des Steuerempfangens und Rekrutenaushebens hinauszugehn, wenn sie überhaupt auf die Dauer auch nur dieser Lieblingsbeschäftigungen mächtig bleiben will, ist zugleich die Basis für die Hoffnungen Oestreichs. Diese Hoffnungen bastren, was auch meine politischen Freunde in Oestreich über die Unmöglichkeit behaupten mögen, Völker verschiedener Zungen und ent¬ gegengesetzter historischer Erinnerungen in einem Reichstag zu verewigen, auf der constitutionellen Centralisation des Staats. Ich bin darin nicht im geringsten sanguinisch; ich bin überzeugt, daß, was man auch für ein Wahlgesetz geben möge, für den ersten Anfang häufig und vielleicht der Mehrzahl nach ungeschickte Wahlen herauskommen; daß die Stände trotz aller guten Absichten von beiden Seiten, dennoch mit der Regierung in Conflict kommen, daß sie ein, zwei, drei¬ mal nach Hause geschickt werden. Aber sie müsse» dennoch wieder einberufen wer¬ den, aus dem einfachen Grunde, weil die Regierung in sich selber nicht die Kräfte finden wird, wirklich zu regiere», und weil sie sich diejenigen Männer, die es versteh», erst muß bezeichnen lassen. Sie würden das constitutionelle Prinzip nur zur Hälfte würdigen, wenn Sie Ihre Aufmerksamkeit nur auf seine unmittelbaren Erfolge, nur auf die Beschlüsse rich¬ ten wollten, die vom Reichstag ausgehn, auf die Gesetze, denen er seine Bestäti¬ gung gibt. Die Hauptsache, und das namentlich für einen Staat, der sich selber so eine terr.T incoAmt-l ist, wie Oestreich, liegt in der Gelegenheit, der eignen Kräfte bewußt zu werden. Dazu ist freilich nöthig, daß der Reichstag nicht auf

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/95>, abgerufen am 24.07.2024.