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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Absurdität; die Regierung dagegen als eine fremde Macht außerhalb und über
diesen politischen Organismen stehen zu lassen, eine Verruchtheit.

Noch vor einem Jahre wäre es unendlich schwer gewesen, Oestreich einen
Weg anzugeben, auf dem es sich nach dem Begriff eines Culturstaats hätte ent¬
wickeln können. Die Geschichte hat diesen Weg -- einen schrecklichen! -- gebahnt;
jetzt zurück zu gehen, wäre nicht nur ein Leichtsinn, sondern eine Barbarei. Das
Blut auf den ungarischen Schlachtfeldern, das Blut auf den Straßen in Wien
darf nicht vergebens geflossen sein. Was in Frankreich die Revolution, hat in
Oestreich die militärische Contrerevolution gethan; die alten geschichtlichen Grenz¬
pfähle sind umgestoßen, die spröden Nationalitäten beugen sich gemeinsam unter
das Joch des Hauses Lothringen. Sie dürfen sich nicht wieder in dem alten un->
gebändigten Starrsinn, in der wüsten Naturwüchsigkeit ihres früheren Lebens er¬
heben, wenn Oestreich seinen Platz in der Weltgeschichte ausfüllen soll. Dem
barbarischen Naturzustand der Serben, Rumänen, Szekler gegenüber ist der öst¬
reichische Militärdespotismus in seinem Recht, wenn auch nicht das gegenwärtige
Büttelregiment. Oestreicher zu werden, ist für diese Naturkinder noch ein Avancement.

Der Kaiserstaat ist in der Lage, daß die kleinen politischen Organisationen,
in denen das Volk sich selbst regieren soll, von dem Staat erst geschaffen
werden müssen. Darüber enthält das schlecht stylisirte Schul-Exercitium,
mit welchem der allerunterthäntgste Ministerrath am 29. December seinen Kaiser
regalirt hat, und in dem übrigens weiter nichts zu finden ist, als eine lose An¬
einanderreihung leerer, abgedroschener Phrasen, einen seiner Naivetät wegen sehr
bemerkenswerthen Passus. Nachdem Herr Bach vorher auf die schickliche Weise
deklamirt hat: "Die Grundlage des Staats ist die freie Gemeinde, und die freie
Gemeinde soll vollständig autonom sein," fährt er fort: "Eine befriedigende Lösung
dieser Aufgaben setzt aber das Bestehen derjenigen öffentlichen Organe vor¬
aus, welche berufen sind, Mit und in der Gemeinde zu leben und zu wirken,
und von denen allein die wahrhaft lebensfähige Begründung der Gemeinde-Insti¬
tutionen zu erwarten ist. Sobald daher die der Gliederung der Communen an¬
gepaßten Verwaltungsbehörden in Wirksamkeit treten, wird es eine ihrer ersten
Aufgaben sein. die Constituirung der Gemeinden zu vollenden" (d.h. sie anzufan¬
gen). Also nicht die Gemeinden sollen ihre Verwaltung organisiren, sondern die
Verwaltung soll die Gemeinden organisiren.

Ein Satz, der so richtig ist, daß man sich wundert, ihm in einem östreichi¬
schen Vortrage zu begegnen.

Bei den primitiven Zuständen in dem größeren Theile des Staates ist aller¬
dings die erste Aufgabe der Regierung, durch Beamte, welche mit den lokalen
Verhältnissen vertraut und doch energisch genug sind, das Barbarische in denselben
auszurotten, ein wirkliches Gemeindeleben zu organisiren. Erst dann wird sie
dieselben zu größeren Distrikten, denen eine relative Selbstständigkeit zugestanden


Absurdität; die Regierung dagegen als eine fremde Macht außerhalb und über
diesen politischen Organismen stehen zu lassen, eine Verruchtheit.

Noch vor einem Jahre wäre es unendlich schwer gewesen, Oestreich einen
Weg anzugeben, auf dem es sich nach dem Begriff eines Culturstaats hätte ent¬
wickeln können. Die Geschichte hat diesen Weg — einen schrecklichen! — gebahnt;
jetzt zurück zu gehen, wäre nicht nur ein Leichtsinn, sondern eine Barbarei. Das
Blut auf den ungarischen Schlachtfeldern, das Blut auf den Straßen in Wien
darf nicht vergebens geflossen sein. Was in Frankreich die Revolution, hat in
Oestreich die militärische Contrerevolution gethan; die alten geschichtlichen Grenz¬
pfähle sind umgestoßen, die spröden Nationalitäten beugen sich gemeinsam unter
das Joch des Hauses Lothringen. Sie dürfen sich nicht wieder in dem alten un->
gebändigten Starrsinn, in der wüsten Naturwüchsigkeit ihres früheren Lebens er¬
heben, wenn Oestreich seinen Platz in der Weltgeschichte ausfüllen soll. Dem
barbarischen Naturzustand der Serben, Rumänen, Szekler gegenüber ist der öst¬
reichische Militärdespotismus in seinem Recht, wenn auch nicht das gegenwärtige
Büttelregiment. Oestreicher zu werden, ist für diese Naturkinder noch ein Avancement.

Der Kaiserstaat ist in der Lage, daß die kleinen politischen Organisationen,
in denen das Volk sich selbst regieren soll, von dem Staat erst geschaffen
werden müssen. Darüber enthält das schlecht stylisirte Schul-Exercitium,
mit welchem der allerunterthäntgste Ministerrath am 29. December seinen Kaiser
regalirt hat, und in dem übrigens weiter nichts zu finden ist, als eine lose An¬
einanderreihung leerer, abgedroschener Phrasen, einen seiner Naivetät wegen sehr
bemerkenswerthen Passus. Nachdem Herr Bach vorher auf die schickliche Weise
deklamirt hat: „Die Grundlage des Staats ist die freie Gemeinde, und die freie
Gemeinde soll vollständig autonom sein," fährt er fort: „Eine befriedigende Lösung
dieser Aufgaben setzt aber das Bestehen derjenigen öffentlichen Organe vor¬
aus, welche berufen sind, Mit und in der Gemeinde zu leben und zu wirken,
und von denen allein die wahrhaft lebensfähige Begründung der Gemeinde-Insti¬
tutionen zu erwarten ist. Sobald daher die der Gliederung der Communen an¬
gepaßten Verwaltungsbehörden in Wirksamkeit treten, wird es eine ihrer ersten
Aufgaben sein. die Constituirung der Gemeinden zu vollenden" (d.h. sie anzufan¬
gen). Also nicht die Gemeinden sollen ihre Verwaltung organisiren, sondern die
Verwaltung soll die Gemeinden organisiren.

Ein Satz, der so richtig ist, daß man sich wundert, ihm in einem östreichi¬
schen Vortrage zu begegnen.

Bei den primitiven Zuständen in dem größeren Theile des Staates ist aller¬
dings die erste Aufgabe der Regierung, durch Beamte, welche mit den lokalen
Verhältnissen vertraut und doch energisch genug sind, das Barbarische in denselben
auszurotten, ein wirkliches Gemeindeleben zu organisiren. Erst dann wird sie
dieselben zu größeren Distrikten, denen eine relative Selbstständigkeit zugestanden


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[0094] Absurdität; die Regierung dagegen als eine fremde Macht außerhalb und über diesen politischen Organismen stehen zu lassen, eine Verruchtheit. Noch vor einem Jahre wäre es unendlich schwer gewesen, Oestreich einen Weg anzugeben, auf dem es sich nach dem Begriff eines Culturstaats hätte ent¬ wickeln können. Die Geschichte hat diesen Weg — einen schrecklichen! — gebahnt; jetzt zurück zu gehen, wäre nicht nur ein Leichtsinn, sondern eine Barbarei. Das Blut auf den ungarischen Schlachtfeldern, das Blut auf den Straßen in Wien darf nicht vergebens geflossen sein. Was in Frankreich die Revolution, hat in Oestreich die militärische Contrerevolution gethan; die alten geschichtlichen Grenz¬ pfähle sind umgestoßen, die spröden Nationalitäten beugen sich gemeinsam unter das Joch des Hauses Lothringen. Sie dürfen sich nicht wieder in dem alten un-> gebändigten Starrsinn, in der wüsten Naturwüchsigkeit ihres früheren Lebens er¬ heben, wenn Oestreich seinen Platz in der Weltgeschichte ausfüllen soll. Dem barbarischen Naturzustand der Serben, Rumänen, Szekler gegenüber ist der öst¬ reichische Militärdespotismus in seinem Recht, wenn auch nicht das gegenwärtige Büttelregiment. Oestreicher zu werden, ist für diese Naturkinder noch ein Avancement. Der Kaiserstaat ist in der Lage, daß die kleinen politischen Organisationen, in denen das Volk sich selbst regieren soll, von dem Staat erst geschaffen werden müssen. Darüber enthält das schlecht stylisirte Schul-Exercitium, mit welchem der allerunterthäntgste Ministerrath am 29. December seinen Kaiser regalirt hat, und in dem übrigens weiter nichts zu finden ist, als eine lose An¬ einanderreihung leerer, abgedroschener Phrasen, einen seiner Naivetät wegen sehr bemerkenswerthen Passus. Nachdem Herr Bach vorher auf die schickliche Weise deklamirt hat: „Die Grundlage des Staats ist die freie Gemeinde, und die freie Gemeinde soll vollständig autonom sein," fährt er fort: „Eine befriedigende Lösung dieser Aufgaben setzt aber das Bestehen derjenigen öffentlichen Organe vor¬ aus, welche berufen sind, Mit und in der Gemeinde zu leben und zu wirken, und von denen allein die wahrhaft lebensfähige Begründung der Gemeinde-Insti¬ tutionen zu erwarten ist. Sobald daher die der Gliederung der Communen an¬ gepaßten Verwaltungsbehörden in Wirksamkeit treten, wird es eine ihrer ersten Aufgaben sein. die Constituirung der Gemeinden zu vollenden" (d.h. sie anzufan¬ gen). Also nicht die Gemeinden sollen ihre Verwaltung organisiren, sondern die Verwaltung soll die Gemeinden organisiren. Ein Satz, der so richtig ist, daß man sich wundert, ihm in einem östreichi¬ schen Vortrage zu begegnen. Bei den primitiven Zuständen in dem größeren Theile des Staates ist aller¬ dings die erste Aufgabe der Regierung, durch Beamte, welche mit den lokalen Verhältnissen vertraut und doch energisch genug sind, das Barbarische in denselben auszurotten, ein wirkliches Gemeindeleben zu organisiren. Erst dann wird sie dieselben zu größeren Distrikten, denen eine relative Selbstständigkeit zugestanden

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/94>, abgerufen am 27.07.2024.