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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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ihrer verkümmerten Existenz; Sie machen aus der Putzscheere eine xuc?erka und
aus dem Spiegel einen svixielski. Dieses Volk, welches in den Paar Dörfern,
die es bewohnt, fast ganz ans Edelleuten besteht, wurde durch das preußische Ge¬
setz, welches jeder Familie die Verpflichtung auferlegt, die Kinder in die Schule
zu schicken, und jeder Gemeinde, eine Schule zu unterhalten, beständig in der sü¬
ßen Gewohnheit ihres Daseins gestört. Ihre Väter hatten nie einen Buchstaben
gesehen und nie das Einmaleins gelernt, sie sahen nicht ein, warum ihre Kinder
in solchen Neuerungen aufwachsen sollten. Jeder neue Schulmeister erregte eine be¬
waffnete Insurrektion, und wenn er dann durch einen Gensd'armen glücklich in-
stallirt war, so schüttelten die Edelleute bedenklich ihre Köpfe und sammelten sich
auf den Gräbern ihrer Ahnen, um über den bösen AvitAeistsKi, zu klagen, der
das Einmaleins erfunden habe und die Schiefertafeln.

Aber es ist den Kaschuben doch nicht eingefallen, sich als autonomes Volk
constituiren zu wollen; so wenig, als den Wasserpolaken in Oberschlesien. Der¬
gleichen Einfälle entsprangen niemals aus der Gemeinsamkeit der Zunge, sondern
aus der geschichtlichen Reminiscenz und aus der geographisch-politischen Basis.
Nur geschichtliche Völker, wie die Polen und Ungarn haben an Unabhängigkeit
gedacht. Wiederherstellung der polnischen Republik, der Krone Arpad's --- so le-
gitimirte sich die Idee der Nationalität. Und es gehörte vollkommen zur Sache,
wenn die Polen bei jeder neuen Schilderhebung an den Wiedergewinn der Weich¬
selmündungen, wenn die Magyaren an die Unterwerfung der dreieinigen König¬
reiche dachten, wenn auch diese Küstenstriche einer fremden Zunge angehörten.
Denn ein Staat, der nicht mit dem Meere communicirt, hat in unseren Tagen
keinen Sinn.

In Ihrem System aber gehen beide Vorstellungen bunt durch einander. Im
Stillen liegt Ihnen das Reich der Libussa am Herzen; ich glaube nicht, daß Sie
"Ihren" legitimen Anspruch auf den Leitmeritzer Kreis werden fahren lassen. Nur
um einen Rechtstitel aus dem neumodischen Nationalitäts-Katechismus zu haben,
berufen Sie Sich auf die Grammatik.

Hochgeehrter Herr! Ich würde auf Ihr Sendschreiben nicht eingegangen sein,
wenn mit dem, was ich bis jetzt analysirt habe, der Inhalt desselben abgethan
wäre. Die Widersprüche liegen zu sehr auf der Hand, als daß man an die Aus¬
führbarkeit Ihres Systems denken könnte. Aber es hat auch eine sehr praktische
und sehr schlimme Seite.

Daß nämlich in einem aus so verschiedenen Elementen zusammengesetzten Staat,
wie es Oestreich ist, neben der Centralverwaltnng eine sehr thätige Provincial-
verwaltung stattfinden müsse, diese Nothwendigkeit wird kein Staatsmann verken¬
nen. Der Grundzug Ihres Systems ist nun dieser, beide Verwaltungen nicht
organisch auseinander zu entwickeln, sondern sie gradezu entgegenzusetzen, und
alles productive, organische Staatsleben den Provinzen und den Landtagen, alles


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ihrer verkümmerten Existenz; Sie machen aus der Putzscheere eine xuc?erka und
aus dem Spiegel einen svixielski. Dieses Volk, welches in den Paar Dörfern,
die es bewohnt, fast ganz ans Edelleuten besteht, wurde durch das preußische Ge¬
setz, welches jeder Familie die Verpflichtung auferlegt, die Kinder in die Schule
zu schicken, und jeder Gemeinde, eine Schule zu unterhalten, beständig in der sü¬
ßen Gewohnheit ihres Daseins gestört. Ihre Väter hatten nie einen Buchstaben
gesehen und nie das Einmaleins gelernt, sie sahen nicht ein, warum ihre Kinder
in solchen Neuerungen aufwachsen sollten. Jeder neue Schulmeister erregte eine be¬
waffnete Insurrektion, und wenn er dann durch einen Gensd'armen glücklich in-
stallirt war, so schüttelten die Edelleute bedenklich ihre Köpfe und sammelten sich
auf den Gräbern ihrer Ahnen, um über den bösen AvitAeistsKi, zu klagen, der
das Einmaleins erfunden habe und die Schiefertafeln.

Aber es ist den Kaschuben doch nicht eingefallen, sich als autonomes Volk
constituiren zu wollen; so wenig, als den Wasserpolaken in Oberschlesien. Der¬
gleichen Einfälle entsprangen niemals aus der Gemeinsamkeit der Zunge, sondern
aus der geschichtlichen Reminiscenz und aus der geographisch-politischen Basis.
Nur geschichtliche Völker, wie die Polen und Ungarn haben an Unabhängigkeit
gedacht. Wiederherstellung der polnischen Republik, der Krone Arpad's —- so le-
gitimirte sich die Idee der Nationalität. Und es gehörte vollkommen zur Sache,
wenn die Polen bei jeder neuen Schilderhebung an den Wiedergewinn der Weich¬
selmündungen, wenn die Magyaren an die Unterwerfung der dreieinigen König¬
reiche dachten, wenn auch diese Küstenstriche einer fremden Zunge angehörten.
Denn ein Staat, der nicht mit dem Meere communicirt, hat in unseren Tagen
keinen Sinn.

In Ihrem System aber gehen beide Vorstellungen bunt durch einander. Im
Stillen liegt Ihnen das Reich der Libussa am Herzen; ich glaube nicht, daß Sie
„Ihren" legitimen Anspruch auf den Leitmeritzer Kreis werden fahren lassen. Nur
um einen Rechtstitel aus dem neumodischen Nationalitäts-Katechismus zu haben,
berufen Sie Sich auf die Grammatik.

Hochgeehrter Herr! Ich würde auf Ihr Sendschreiben nicht eingegangen sein,
wenn mit dem, was ich bis jetzt analysirt habe, der Inhalt desselben abgethan
wäre. Die Widersprüche liegen zu sehr auf der Hand, als daß man an die Aus¬
führbarkeit Ihres Systems denken könnte. Aber es hat auch eine sehr praktische
und sehr schlimme Seite.

Daß nämlich in einem aus so verschiedenen Elementen zusammengesetzten Staat,
wie es Oestreich ist, neben der Centralverwaltnng eine sehr thätige Provincial-
verwaltung stattfinden müsse, diese Nothwendigkeit wird kein Staatsmann verken¬
nen. Der Grundzug Ihres Systems ist nun dieser, beide Verwaltungen nicht
organisch auseinander zu entwickeln, sondern sie gradezu entgegenzusetzen, und
alles productive, organische Staatsleben den Provinzen und den Landtagen, alles


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[0091] ihrer verkümmerten Existenz; Sie machen aus der Putzscheere eine xuc?erka und aus dem Spiegel einen svixielski. Dieses Volk, welches in den Paar Dörfern, die es bewohnt, fast ganz ans Edelleuten besteht, wurde durch das preußische Ge¬ setz, welches jeder Familie die Verpflichtung auferlegt, die Kinder in die Schule zu schicken, und jeder Gemeinde, eine Schule zu unterhalten, beständig in der sü¬ ßen Gewohnheit ihres Daseins gestört. Ihre Väter hatten nie einen Buchstaben gesehen und nie das Einmaleins gelernt, sie sahen nicht ein, warum ihre Kinder in solchen Neuerungen aufwachsen sollten. Jeder neue Schulmeister erregte eine be¬ waffnete Insurrektion, und wenn er dann durch einen Gensd'armen glücklich in- stallirt war, so schüttelten die Edelleute bedenklich ihre Köpfe und sammelten sich auf den Gräbern ihrer Ahnen, um über den bösen AvitAeistsKi, zu klagen, der das Einmaleins erfunden habe und die Schiefertafeln. Aber es ist den Kaschuben doch nicht eingefallen, sich als autonomes Volk constituiren zu wollen; so wenig, als den Wasserpolaken in Oberschlesien. Der¬ gleichen Einfälle entsprangen niemals aus der Gemeinsamkeit der Zunge, sondern aus der geschichtlichen Reminiscenz und aus der geographisch-politischen Basis. Nur geschichtliche Völker, wie die Polen und Ungarn haben an Unabhängigkeit gedacht. Wiederherstellung der polnischen Republik, der Krone Arpad's —- so le- gitimirte sich die Idee der Nationalität. Und es gehörte vollkommen zur Sache, wenn die Polen bei jeder neuen Schilderhebung an den Wiedergewinn der Weich¬ selmündungen, wenn die Magyaren an die Unterwerfung der dreieinigen König¬ reiche dachten, wenn auch diese Küstenstriche einer fremden Zunge angehörten. Denn ein Staat, der nicht mit dem Meere communicirt, hat in unseren Tagen keinen Sinn. In Ihrem System aber gehen beide Vorstellungen bunt durch einander. Im Stillen liegt Ihnen das Reich der Libussa am Herzen; ich glaube nicht, daß Sie „Ihren" legitimen Anspruch auf den Leitmeritzer Kreis werden fahren lassen. Nur um einen Rechtstitel aus dem neumodischen Nationalitäts-Katechismus zu haben, berufen Sie Sich auf die Grammatik. Hochgeehrter Herr! Ich würde auf Ihr Sendschreiben nicht eingegangen sein, wenn mit dem, was ich bis jetzt analysirt habe, der Inhalt desselben abgethan wäre. Die Widersprüche liegen zu sehr auf der Hand, als daß man an die Aus¬ führbarkeit Ihres Systems denken könnte. Aber es hat auch eine sehr praktische und sehr schlimme Seite. Daß nämlich in einem aus so verschiedenen Elementen zusammengesetzten Staat, wie es Oestreich ist, neben der Centralverwaltnng eine sehr thätige Provincial- verwaltung stattfinden müsse, diese Nothwendigkeit wird kein Staatsmann verken¬ nen. Der Grundzug Ihres Systems ist nun dieser, beide Verwaltungen nicht organisch auseinander zu entwickeln, sondern sie gradezu entgegenzusetzen, und alles productive, organische Staatsleben den Provinzen und den Landtagen, alles 11*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/91>, abgerufen am 04.07.2024.