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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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3. In Salzburg.

Hulcis, "dliviit vit"e! steht in goldenen Lettern über dem Portal eines Land¬
hauses vor Salzburg. Wahrlich, hier muß selbst Oestreich und seine Misere sich
vergessen lassen! Je näher man der Stadt kommt, desto freundlicher heimelt das
Villen- und gärtenrciche Salzathal an, mit der schloßüberragteu Stadt auf beiden
Flußusern, der die flachen Dächer ein italienisches Ansehen geben, und dem
duftig blauen Hintergrund, den weiße und dunkel violette, malerisch gezackte Berg¬
wände amphitheatralisch umzäunen. Auch die Bergumrisse haben halbitalienischen
Charakter. Und wie ich, kaum durch's Thor, in der schmutzigen Linzer Straße,
von einigen Dutzend Jodlern, lustigen Burschen mit blumengeschmückten Hüten,
begrüßt ward, gelobte ich mir, volle 24 Stunden keine Politik zu sprechen oder
zu denken, und hielt drei Stunden laug Wort. Jedem Leser wünsche ich in
Salzburg so blauen Himmel, wie er mir lächelte, und rathe ihm, in diesem Falle
gleich bei der Ankunft, den Mönchs-, Schloß- oder Kapuzinerberg zu besteigen
oder die Abendbeleuchtung von Eigen oder von dem hügeligen Wallfahrtsort Ma¬
ria Plain aus zu genießen.

Im "Mohren" saß denselben Abend eine Gesellschaft von Offizieren um den
Tisch, und da ihre nicht sehr erbaulichen politischen Gespräche mir statt der Tafel¬
musik dienten, so ging mein guter Vorsatz die Hölle pflastern, und die halbe Nacht
sah ich in wirren Traumbildern die ungrisch-italienischen Gräulszenen vor Augen,
welche sie beim Essen behaglich, als wären es lustige Waidmannsstückchen, er¬
zählten. Ein junger Lieutenant, der den Schirm seiner Mütze renommistisch in
die Höh' geklappt hatte, um sein braunrothes Raufboldgesicht voll zu zeigen,
ein Slowak, nach seiner Mundart zu schließen, brachte durch seine grotesken An¬
sichten über gewisse kroatische Heldenthaten einigen Humor in das Symposion.
"Da werden's kommen," rief er mit weinschwercr Zunge, "und werden sie schrei¬
ben in Geh-schichte, daß Kroäk hat geplündert. Obber warum hat Kroäk geplündert?
Die Prämmissen sogen's uit, die Hundsfötter. Nit weil hat wollen stehlen, obber
hat er denkt, soll ich dir uoch Hand küssen, dn Neböller, was is legen mein Kai¬
ser, und willst hoben schönes Hans! Wart, denkt er, nimmt er Uhr von die Wand
und Ring aus die Ohren, -- nit weil is von Gold, obber zu Straf." -- Stanke-
witsch! Du bist ein Philosoph! lachten die Andern. -- Die Rede kam auch auf
das Verfahren gegen den unbewaffneten Theil der Bevölkerung in übelgesinnten Ort¬
schaften. Jemand empfahl die Methode eiues russischen Generals im polnischen
Jnsurrectionskrieg, der Alles , was ausreißen wollte, für schuldig hielt und nieder-,
machen ließ, als die kürzeste und zweckmäßigste Taktik. Keiner widersprach dieser
Empfehlung, bis endlich ein Offizier in mittleren Jahren bemerkte: "Mir scheint
eS doch nicht Recht; man hat immer so viel Zeit, um zu untersuchen, ob nicht


3. In Salzburg.

Hulcis, »dliviit vit»e! steht in goldenen Lettern über dem Portal eines Land¬
hauses vor Salzburg. Wahrlich, hier muß selbst Oestreich und seine Misere sich
vergessen lassen! Je näher man der Stadt kommt, desto freundlicher heimelt das
Villen- und gärtenrciche Salzathal an, mit der schloßüberragteu Stadt auf beiden
Flußusern, der die flachen Dächer ein italienisches Ansehen geben, und dem
duftig blauen Hintergrund, den weiße und dunkel violette, malerisch gezackte Berg¬
wände amphitheatralisch umzäunen. Auch die Bergumrisse haben halbitalienischen
Charakter. Und wie ich, kaum durch's Thor, in der schmutzigen Linzer Straße,
von einigen Dutzend Jodlern, lustigen Burschen mit blumengeschmückten Hüten,
begrüßt ward, gelobte ich mir, volle 24 Stunden keine Politik zu sprechen oder
zu denken, und hielt drei Stunden laug Wort. Jedem Leser wünsche ich in
Salzburg so blauen Himmel, wie er mir lächelte, und rathe ihm, in diesem Falle
gleich bei der Ankunft, den Mönchs-, Schloß- oder Kapuzinerberg zu besteigen
oder die Abendbeleuchtung von Eigen oder von dem hügeligen Wallfahrtsort Ma¬
ria Plain aus zu genießen.

Im „Mohren" saß denselben Abend eine Gesellschaft von Offizieren um den
Tisch, und da ihre nicht sehr erbaulichen politischen Gespräche mir statt der Tafel¬
musik dienten, so ging mein guter Vorsatz die Hölle pflastern, und die halbe Nacht
sah ich in wirren Traumbildern die ungrisch-italienischen Gräulszenen vor Augen,
welche sie beim Essen behaglich, als wären es lustige Waidmannsstückchen, er¬
zählten. Ein junger Lieutenant, der den Schirm seiner Mütze renommistisch in
die Höh' geklappt hatte, um sein braunrothes Raufboldgesicht voll zu zeigen,
ein Slowak, nach seiner Mundart zu schließen, brachte durch seine grotesken An¬
sichten über gewisse kroatische Heldenthaten einigen Humor in das Symposion.
„Da werden's kommen," rief er mit weinschwercr Zunge, „und werden sie schrei¬
ben in Geh-schichte, daß Kroäk hat geplündert. Obber warum hat Kroäk geplündert?
Die Prämmissen sogen's uit, die Hundsfötter. Nit weil hat wollen stehlen, obber
hat er denkt, soll ich dir uoch Hand küssen, dn Neböller, was is legen mein Kai¬
ser, und willst hoben schönes Hans! Wart, denkt er, nimmt er Uhr von die Wand
und Ring aus die Ohren, — nit weil is von Gold, obber zu Straf." — Stanke-
witsch! Du bist ein Philosoph! lachten die Andern. — Die Rede kam auch auf
das Verfahren gegen den unbewaffneten Theil der Bevölkerung in übelgesinnten Ort¬
schaften. Jemand empfahl die Methode eiues russischen Generals im polnischen
Jnsurrectionskrieg, der Alles , was ausreißen wollte, für schuldig hielt und nieder-,
machen ließ, als die kürzeste und zweckmäßigste Taktik. Keiner widersprach dieser
Empfehlung, bis endlich ein Offizier in mittleren Jahren bemerkte: „Mir scheint
eS doch nicht Recht; man hat immer so viel Zeit, um zu untersuchen, ob nicht


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[0084] 3. In Salzburg. Hulcis, »dliviit vit»e! steht in goldenen Lettern über dem Portal eines Land¬ hauses vor Salzburg. Wahrlich, hier muß selbst Oestreich und seine Misere sich vergessen lassen! Je näher man der Stadt kommt, desto freundlicher heimelt das Villen- und gärtenrciche Salzathal an, mit der schloßüberragteu Stadt auf beiden Flußusern, der die flachen Dächer ein italienisches Ansehen geben, und dem duftig blauen Hintergrund, den weiße und dunkel violette, malerisch gezackte Berg¬ wände amphitheatralisch umzäunen. Auch die Bergumrisse haben halbitalienischen Charakter. Und wie ich, kaum durch's Thor, in der schmutzigen Linzer Straße, von einigen Dutzend Jodlern, lustigen Burschen mit blumengeschmückten Hüten, begrüßt ward, gelobte ich mir, volle 24 Stunden keine Politik zu sprechen oder zu denken, und hielt drei Stunden laug Wort. Jedem Leser wünsche ich in Salzburg so blauen Himmel, wie er mir lächelte, und rathe ihm, in diesem Falle gleich bei der Ankunft, den Mönchs-, Schloß- oder Kapuzinerberg zu besteigen oder die Abendbeleuchtung von Eigen oder von dem hügeligen Wallfahrtsort Ma¬ ria Plain aus zu genießen. Im „Mohren" saß denselben Abend eine Gesellschaft von Offizieren um den Tisch, und da ihre nicht sehr erbaulichen politischen Gespräche mir statt der Tafel¬ musik dienten, so ging mein guter Vorsatz die Hölle pflastern, und die halbe Nacht sah ich in wirren Traumbildern die ungrisch-italienischen Gräulszenen vor Augen, welche sie beim Essen behaglich, als wären es lustige Waidmannsstückchen, er¬ zählten. Ein junger Lieutenant, der den Schirm seiner Mütze renommistisch in die Höh' geklappt hatte, um sein braunrothes Raufboldgesicht voll zu zeigen, ein Slowak, nach seiner Mundart zu schließen, brachte durch seine grotesken An¬ sichten über gewisse kroatische Heldenthaten einigen Humor in das Symposion. „Da werden's kommen," rief er mit weinschwercr Zunge, „und werden sie schrei¬ ben in Geh-schichte, daß Kroäk hat geplündert. Obber warum hat Kroäk geplündert? Die Prämmissen sogen's uit, die Hundsfötter. Nit weil hat wollen stehlen, obber hat er denkt, soll ich dir uoch Hand küssen, dn Neböller, was is legen mein Kai¬ ser, und willst hoben schönes Hans! Wart, denkt er, nimmt er Uhr von die Wand und Ring aus die Ohren, — nit weil is von Gold, obber zu Straf." — Stanke- witsch! Du bist ein Philosoph! lachten die Andern. — Die Rede kam auch auf das Verfahren gegen den unbewaffneten Theil der Bevölkerung in übelgesinnten Ort¬ schaften. Jemand empfahl die Methode eiues russischen Generals im polnischen Jnsurrectionskrieg, der Alles , was ausreißen wollte, für schuldig hielt und nieder-, machen ließ, als die kürzeste und zweckmäßigste Taktik. Keiner widersprach dieser Empfehlung, bis endlich ein Offizier in mittleren Jahren bemerkte: „Mir scheint eS doch nicht Recht; man hat immer so viel Zeit, um zu untersuchen, ob nicht

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/84>, abgerufen am 04.07.2024.