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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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einzelt stehenden Gehöften vorüber; meist Sägewerkstätten und Schuppen, wo die
Bretter zu Salza- und Donaunachen zugeschnitten werden. Die Bevölkerung schien
ausgewandert oder hatte das linde Sommerwetter zu einer fernen Wallfahrt be¬
nutzt; mein Verkehr mit der Menschheit mußte sich diesen Tag auf ein paar Worte
mit fechtenden Handwerksburschen, einer alten Bettlerin und Baby beschränken;
aber ich genoß die Einsamkeit in der schönen sabbathstillen Natur in bester Laune.
Vergelt's Gott tausendmal! sagten die Handwerksburschen, wenn ein paar Kreuzer
in ihre Mütze fielen, und ich betrachtete daher jeden gebückten Felleisenträger,
der von Weitem nahte, als eine Art Onkel, ans Kalifornien herbeieilend, um mich
glücklich zu machen. Rothschild, fiel mir ein, brummte einmal zur Antwort auf den
ähnlichen Dank eines Bettlers: "Nu, was thu ich mit sechze Guide vierzig Kreuzer!"
Der Undankbare! Es lag ja nur an ihm! Konnte er nicht jeden Augenblick ,
Montechristo überbieten, wenn er den Einsatz von einem Kreuzer auf eine Million
erhöhte? In diesen und andern Betrachtungen störte mich ein Bursche, der mit
einem einfachen: Vergelts Gott! weiter marschirte. Ich war diese unbestimmte
Anweisung nicht mehr gewöhnt. He da, guter Freund, rief ich ihm nach; wie
vielmal? -- Wie vielmal? wiederholte er, nicht verstehend, und glotzte mich mit
großen wässrigen Augen an. Seine Gedanken waren wohl schon längst wieder
hinter dem Ofen in der Herberge oder gingen mit seinem Schatz im Wiener
Wnrstlprater spazieren. -- Ich erklärte mich deutlicher. -- Bitt' schön um Ver¬
zeihung, sagte er darauf demüthig und lüftete die Mütze; ich Hab's ganz vergessen.
Tausendmal, versteht sich, tausendmal! -- Am herzlichsten belustigte mich die Ver¬
sicherung einer frommen alten Frau, die eine Anleihe von einem Groschen bei mir
erhob: "Ich werd' für Sie betten in Himmel aussi! -- und" rief sie mir zu
wiederholten Malen nach, "Sie können Ihnen auf mich verlassen, ganz gewiß,
ich werd' für Sie betten!" Wahrscheinlich gibt es dort alte Weiber, die so eigen¬
nützig sind, ihr Versprechen nicht zu halten, die wirksamsten Gebete zu ihrem
eignen Besten verwenden und auf diese Art harmlose Wanderer um die Zinsen ihrer
Wohlthätigkeit betrügen.

Am lebendigsten hat sich jedoch in meiner Erinnerung das ehrwürdige Antlitz
des frommen Schasbocks erhalten. Ich kann mir nicht helfen: so oft von dem
tüchtigen Stamm der Altbaiern die Rede ist; wie er so treu an der Sitte der
Väter und dem Ruhm der bavarischen Kaiser festhält, sehe ich den Haust vor
mir, "der schon wieder an' Rausch hat." Er ist vor den Pforten der glorreichen
tausendjährigen Mrticulargeschichte gelagert, die mächtigen Hörner zum Kampf
gefällt; bald wiederkäuend, bald träumerisch gähnend, starrt er in die Nebel der
deutschen Zukunft hinaus.


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einzelt stehenden Gehöften vorüber; meist Sägewerkstätten und Schuppen, wo die
Bretter zu Salza- und Donaunachen zugeschnitten werden. Die Bevölkerung schien
ausgewandert oder hatte das linde Sommerwetter zu einer fernen Wallfahrt be¬
nutzt; mein Verkehr mit der Menschheit mußte sich diesen Tag auf ein paar Worte
mit fechtenden Handwerksburschen, einer alten Bettlerin und Baby beschränken;
aber ich genoß die Einsamkeit in der schönen sabbathstillen Natur in bester Laune.
Vergelt's Gott tausendmal! sagten die Handwerksburschen, wenn ein paar Kreuzer
in ihre Mütze fielen, und ich betrachtete daher jeden gebückten Felleisenträger,
der von Weitem nahte, als eine Art Onkel, ans Kalifornien herbeieilend, um mich
glücklich zu machen. Rothschild, fiel mir ein, brummte einmal zur Antwort auf den
ähnlichen Dank eines Bettlers: „Nu, was thu ich mit sechze Guide vierzig Kreuzer!"
Der Undankbare! Es lag ja nur an ihm! Konnte er nicht jeden Augenblick ,
Montechristo überbieten, wenn er den Einsatz von einem Kreuzer auf eine Million
erhöhte? In diesen und andern Betrachtungen störte mich ein Bursche, der mit
einem einfachen: Vergelts Gott! weiter marschirte. Ich war diese unbestimmte
Anweisung nicht mehr gewöhnt. He da, guter Freund, rief ich ihm nach; wie
vielmal? — Wie vielmal? wiederholte er, nicht verstehend, und glotzte mich mit
großen wässrigen Augen an. Seine Gedanken waren wohl schon längst wieder
hinter dem Ofen in der Herberge oder gingen mit seinem Schatz im Wiener
Wnrstlprater spazieren. — Ich erklärte mich deutlicher. — Bitt' schön um Ver¬
zeihung, sagte er darauf demüthig und lüftete die Mütze; ich Hab's ganz vergessen.
Tausendmal, versteht sich, tausendmal! — Am herzlichsten belustigte mich die Ver¬
sicherung einer frommen alten Frau, die eine Anleihe von einem Groschen bei mir
erhob: „Ich werd' für Sie betten in Himmel aussi! — und" rief sie mir zu
wiederholten Malen nach, „Sie können Ihnen auf mich verlassen, ganz gewiß,
ich werd' für Sie betten!" Wahrscheinlich gibt es dort alte Weiber, die so eigen¬
nützig sind, ihr Versprechen nicht zu halten, die wirksamsten Gebete zu ihrem
eignen Besten verwenden und auf diese Art harmlose Wanderer um die Zinsen ihrer
Wohlthätigkeit betrügen.

Am lebendigsten hat sich jedoch in meiner Erinnerung das ehrwürdige Antlitz
des frommen Schasbocks erhalten. Ich kann mir nicht helfen: so oft von dem
tüchtigen Stamm der Altbaiern die Rede ist; wie er so treu an der Sitte der
Väter und dem Ruhm der bavarischen Kaiser festhält, sehe ich den Haust vor
mir, „der schon wieder an' Rausch hat." Er ist vor den Pforten der glorreichen
tausendjährigen Mrticulargeschichte gelagert, die mächtigen Hörner zum Kampf
gefällt; bald wiederkäuend, bald träumerisch gähnend, starrt er in die Nebel der
deutschen Zukunft hinaus.


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[0083] einzelt stehenden Gehöften vorüber; meist Sägewerkstätten und Schuppen, wo die Bretter zu Salza- und Donaunachen zugeschnitten werden. Die Bevölkerung schien ausgewandert oder hatte das linde Sommerwetter zu einer fernen Wallfahrt be¬ nutzt; mein Verkehr mit der Menschheit mußte sich diesen Tag auf ein paar Worte mit fechtenden Handwerksburschen, einer alten Bettlerin und Baby beschränken; aber ich genoß die Einsamkeit in der schönen sabbathstillen Natur in bester Laune. Vergelt's Gott tausendmal! sagten die Handwerksburschen, wenn ein paar Kreuzer in ihre Mütze fielen, und ich betrachtete daher jeden gebückten Felleisenträger, der von Weitem nahte, als eine Art Onkel, ans Kalifornien herbeieilend, um mich glücklich zu machen. Rothschild, fiel mir ein, brummte einmal zur Antwort auf den ähnlichen Dank eines Bettlers: „Nu, was thu ich mit sechze Guide vierzig Kreuzer!" Der Undankbare! Es lag ja nur an ihm! Konnte er nicht jeden Augenblick , Montechristo überbieten, wenn er den Einsatz von einem Kreuzer auf eine Million erhöhte? In diesen und andern Betrachtungen störte mich ein Bursche, der mit einem einfachen: Vergelts Gott! weiter marschirte. Ich war diese unbestimmte Anweisung nicht mehr gewöhnt. He da, guter Freund, rief ich ihm nach; wie vielmal? — Wie vielmal? wiederholte er, nicht verstehend, und glotzte mich mit großen wässrigen Augen an. Seine Gedanken waren wohl schon längst wieder hinter dem Ofen in der Herberge oder gingen mit seinem Schatz im Wiener Wnrstlprater spazieren. — Ich erklärte mich deutlicher. — Bitt' schön um Ver¬ zeihung, sagte er darauf demüthig und lüftete die Mütze; ich Hab's ganz vergessen. Tausendmal, versteht sich, tausendmal! — Am herzlichsten belustigte mich die Ver¬ sicherung einer frommen alten Frau, die eine Anleihe von einem Groschen bei mir erhob: „Ich werd' für Sie betten in Himmel aussi! — und" rief sie mir zu wiederholten Malen nach, „Sie können Ihnen auf mich verlassen, ganz gewiß, ich werd' für Sie betten!" Wahrscheinlich gibt es dort alte Weiber, die so eigen¬ nützig sind, ihr Versprechen nicht zu halten, die wirksamsten Gebete zu ihrem eignen Besten verwenden und auf diese Art harmlose Wanderer um die Zinsen ihrer Wohlthätigkeit betrügen. Am lebendigsten hat sich jedoch in meiner Erinnerung das ehrwürdige Antlitz des frommen Schasbocks erhalten. Ich kann mir nicht helfen: so oft von dem tüchtigen Stamm der Altbaiern die Rede ist; wie er so treu an der Sitte der Väter und dem Ruhm der bavarischen Kaiser festhält, sehe ich den Haust vor mir, „der schon wieder an' Rausch hat." Er ist vor den Pforten der glorreichen tausendjährigen Mrticulargeschichte gelagert, die mächtigen Hörner zum Kampf gefällt; bald wiederkäuend, bald träumerisch gähnend, starrt er in die Nebel der deutschen Zukunft hinaus. 10*

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/83>, abgerufen am 04.07.2024.