Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

wiederholte -- von rauschender Musik begleitet -- den kräftigen Vers aus Petöfi's
Nationalhymne, der ungarischen Marseillaise:


^ AüilAz?!u-oK.öfter^re "zsküsxüvk!"
(Beim Gott der Magyaren sei's geschworen) ......

Die Aufregung währte in den hellerleuchteten Gassen bis Mitternacht fort,
und in der nahen Promenade wurde Kossuth's Name und Ungarns Freiheit noch
lange unter Sang und Klang gefeiert. Die Szegediner waren von Freude und
Patriotismus berauscht, wie nie. Sie hätten es damals mit einer Welt voll Ko¬
saken aufgenommen.

Es war die letzte Serenade, welche dem "Befreier Ungarns" und der un¬
garischen Sache in Ungarn gebracht wurde. --




Reisetagebuch aus dem östreichischen Oberland.



2. Der Schafbock.

Baby! rief eine schrille Stimme von draußen. --- Was is? schrie die Kell¬
nerin zurück, während sie mir ein Glas Bier brachte. -- Der Haust hat schon
wieder an Rausch, antwortete die Stimme; wirst's gleich sehen. Ich glaubte, es
sei von einem Hausknecht oder Stammgast die Rede, bis der Zecher, eine zwei
Schuh hohe Creatur, zur offenen Thür hereintrat und grad auf mich zuging, die
Augen sehnsüchtig zu dem Tisch erhebend, auf dem mein schaumgekröntes Deckel¬
glas stand. Ja, sagte die Kellnerin, als ich mit Erstaunen fragte, ob das der
Haust sei; ein Maßl hat er heut schon trunken, der Lump; er is aus'in Basi¬
schen. Ich bot dem Saufans zur Probe mein Glas. Ihr müßt aber wissen, daß
er vier Füße hatte, ein paar gewaltige, schön gewundene Hörner und die längsten
weißen Zotteln, die ich je an einem Widder gesehen; im Gesicht war ein Gemisch
von Frömmigkeit und hartnäckiger Rauflust ausgeprägt; der Rücken lang und der
Leib stark wie der eines Wolfshundes. Der Schafbock, an dessen Bauch geklam¬
mert, Odysseus sich aus der Höhle des menschenfressenden Cyklopen schmuggelte,
konnte nicht würdevoller und patriarchalischer einherschreiten als dieses Prachtstück
von einem Thiere. Fest packte er mit den Zähnen das Glas in meiner Hand.
Lassen's nur aus, sagte Baby; er läßt nix fallen. Ich ließ ihm also die
Halbe, die er künstlich genug bis auf den letzten Tropfen leerte. Dann senkte


Grenzboten, i. 18S0. . , 10

wiederholte — von rauschender Musik begleitet — den kräftigen Vers aus Petöfi's
Nationalhymne, der ungarischen Marseillaise:


^ AüilAz?!u-oK.öfter^re «zsküsxüvk!"
(Beim Gott der Magyaren sei's geschworen) ......

Die Aufregung währte in den hellerleuchteten Gassen bis Mitternacht fort,
und in der nahen Promenade wurde Kossuth's Name und Ungarns Freiheit noch
lange unter Sang und Klang gefeiert. Die Szegediner waren von Freude und
Patriotismus berauscht, wie nie. Sie hätten es damals mit einer Welt voll Ko¬
saken aufgenommen.

Es war die letzte Serenade, welche dem „Befreier Ungarns" und der un¬
garischen Sache in Ungarn gebracht wurde. —




Reisetagebuch aus dem östreichischen Oberland.



2. Der Schafbock.

Baby! rief eine schrille Stimme von draußen. -— Was is? schrie die Kell¬
nerin zurück, während sie mir ein Glas Bier brachte. — Der Haust hat schon
wieder an Rausch, antwortete die Stimme; wirst's gleich sehen. Ich glaubte, es
sei von einem Hausknecht oder Stammgast die Rede, bis der Zecher, eine zwei
Schuh hohe Creatur, zur offenen Thür hereintrat und grad auf mich zuging, die
Augen sehnsüchtig zu dem Tisch erhebend, auf dem mein schaumgekröntes Deckel¬
glas stand. Ja, sagte die Kellnerin, als ich mit Erstaunen fragte, ob das der
Haust sei; ein Maßl hat er heut schon trunken, der Lump; er is aus'in Basi¬
schen. Ich bot dem Saufans zur Probe mein Glas. Ihr müßt aber wissen, daß
er vier Füße hatte, ein paar gewaltige, schön gewundene Hörner und die längsten
weißen Zotteln, die ich je an einem Widder gesehen; im Gesicht war ein Gemisch
von Frömmigkeit und hartnäckiger Rauflust ausgeprägt; der Rücken lang und der
Leib stark wie der eines Wolfshundes. Der Schafbock, an dessen Bauch geklam¬
mert, Odysseus sich aus der Höhle des menschenfressenden Cyklopen schmuggelte,
konnte nicht würdevoller und patriarchalischer einherschreiten als dieses Prachtstück
von einem Thiere. Fest packte er mit den Zähnen das Glas in meiner Hand.
Lassen's nur aus, sagte Baby; er läßt nix fallen. Ich ließ ihm also die
Halbe, die er künstlich genug bis auf den letzten Tropfen leerte. Dann senkte


Grenzboten, i. 18S0. . , 10
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0081" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92904"/>
          <p xml:id="ID_245" prev="#ID_244"> wiederholte &#x2014; von rauschender Musik begleitet &#x2014; den kräftigen Vers aus Petöfi's<lb/>
Nationalhymne, der ungarischen Marseillaise:</p><lb/>
          <quote> ^ AüilAz?!u-oK.öfter^re «zsküsxüvk!"<lb/>
(Beim Gott der Magyaren sei's geschworen) ......</quote><lb/>
          <p xml:id="ID_246"> Die Aufregung währte in den hellerleuchteten Gassen bis Mitternacht fort,<lb/>
und in der nahen Promenade wurde Kossuth's Name und Ungarns Freiheit noch<lb/>
lange unter Sang und Klang gefeiert. Die Szegediner waren von Freude und<lb/>
Patriotismus berauscht, wie nie. Sie hätten es damals mit einer Welt voll Ko¬<lb/>
saken aufgenommen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_247"> Es war die letzte Serenade, welche dem &#x201E;Befreier Ungarns" und der un¬<lb/>
garischen Sache in Ungarn gebracht wurde. &#x2014;</p><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
        </div>
        <div n="1">
          <head> Reisetagebuch aus dem östreichischen Oberland.</head><lb/>
          <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/>
          <div n="2">
            <head> 2. Der Schafbock.</head><lb/>
            <p xml:id="ID_248" next="#ID_249"> Baby! rief eine schrille Stimme von draußen. -&#x2014; Was is? schrie die Kell¬<lb/>
nerin zurück, während sie mir ein Glas Bier brachte. &#x2014; Der Haust hat schon<lb/>
wieder an Rausch, antwortete die Stimme; wirst's gleich sehen. Ich glaubte, es<lb/>
sei von einem Hausknecht oder Stammgast die Rede, bis der Zecher, eine zwei<lb/>
Schuh hohe Creatur, zur offenen Thür hereintrat und grad auf mich zuging, die<lb/>
Augen sehnsüchtig zu dem Tisch erhebend, auf dem mein schaumgekröntes Deckel¬<lb/>
glas stand. Ja, sagte die Kellnerin, als ich mit Erstaunen fragte, ob das der<lb/>
Haust sei; ein Maßl hat er heut schon trunken, der Lump; er is aus'in Basi¬<lb/>
schen. Ich bot dem Saufans zur Probe mein Glas. Ihr müßt aber wissen, daß<lb/>
er vier Füße hatte, ein paar gewaltige, schön gewundene Hörner und die längsten<lb/>
weißen Zotteln, die ich je an einem Widder gesehen; im Gesicht war ein Gemisch<lb/>
von Frömmigkeit und hartnäckiger Rauflust ausgeprägt; der Rücken lang und der<lb/>
Leib stark wie der eines Wolfshundes. Der Schafbock, an dessen Bauch geklam¬<lb/>
mert, Odysseus sich aus der Höhle des menschenfressenden Cyklopen schmuggelte,<lb/>
konnte nicht würdevoller und patriarchalischer einherschreiten als dieses Prachtstück<lb/>
von einem Thiere. Fest packte er mit den Zähnen das Glas in meiner Hand.<lb/>
Lassen's nur aus, sagte Baby; er läßt nix fallen. Ich ließ ihm also die<lb/>
Halbe, die er künstlich genug bis auf den letzten Tropfen leerte. Dann senkte</p><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten, i. 18S0. .   , 10</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0081] wiederholte — von rauschender Musik begleitet — den kräftigen Vers aus Petöfi's Nationalhymne, der ungarischen Marseillaise: ^ AüilAz?!u-oK.öfter^re «zsküsxüvk!" (Beim Gott der Magyaren sei's geschworen) ...... Die Aufregung währte in den hellerleuchteten Gassen bis Mitternacht fort, und in der nahen Promenade wurde Kossuth's Name und Ungarns Freiheit noch lange unter Sang und Klang gefeiert. Die Szegediner waren von Freude und Patriotismus berauscht, wie nie. Sie hätten es damals mit einer Welt voll Ko¬ saken aufgenommen. Es war die letzte Serenade, welche dem „Befreier Ungarns" und der un¬ garischen Sache in Ungarn gebracht wurde. — Reisetagebuch aus dem östreichischen Oberland. 2. Der Schafbock. Baby! rief eine schrille Stimme von draußen. -— Was is? schrie die Kell¬ nerin zurück, während sie mir ein Glas Bier brachte. — Der Haust hat schon wieder an Rausch, antwortete die Stimme; wirst's gleich sehen. Ich glaubte, es sei von einem Hausknecht oder Stammgast die Rede, bis der Zecher, eine zwei Schuh hohe Creatur, zur offenen Thür hereintrat und grad auf mich zuging, die Augen sehnsüchtig zu dem Tisch erhebend, auf dem mein schaumgekröntes Deckel¬ glas stand. Ja, sagte die Kellnerin, als ich mit Erstaunen fragte, ob das der Haust sei; ein Maßl hat er heut schon trunken, der Lump; er is aus'in Basi¬ schen. Ich bot dem Saufans zur Probe mein Glas. Ihr müßt aber wissen, daß er vier Füße hatte, ein paar gewaltige, schön gewundene Hörner und die längsten weißen Zotteln, die ich je an einem Widder gesehen; im Gesicht war ein Gemisch von Frömmigkeit und hartnäckiger Rauflust ausgeprägt; der Rücken lang und der Leib stark wie der eines Wolfshundes. Der Schafbock, an dessen Bauch geklam¬ mert, Odysseus sich aus der Höhle des menschenfressenden Cyklopen schmuggelte, konnte nicht würdevoller und patriarchalischer einherschreiten als dieses Prachtstück von einem Thiere. Fest packte er mit den Zähnen das Glas in meiner Hand. Lassen's nur aus, sagte Baby; er läßt nix fallen. Ich ließ ihm also die Halbe, die er künstlich genug bis auf den letzten Tropfen leerte. Dann senkte Grenzboten, i. 18S0. . , 10

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/81
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/81>, abgerufen am 24.07.2024.