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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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können, und habe es nur aus "höheren strategischen Rücksichten" aufgegeben. Sie
begrüßten uns als hohe Gäste, die ihnen Glück und Ehre bringen, denn unser
Aufenthalt daselbst erhob ihre Stadt zur Hauptstadt, in deren Mauern fürderhin
das Schicksal Ungarns und -- wie patriotische Sanguiniker hinzufügten -- auch
das Schicksal der europäischen Freiheit entschieden werden sollte. . . .

Besonders aber freuten sie sich über die Ankunft Kossutl/ö. Beinahe ein
ganzes Jahr war verflossen, seit sie den Liebling der Nation nicht in ihren Mauern
begrüßt. Und welches Jahr! Was hatte dieser Mann im Laufe desselben nicht
geschaffen und vollbracht! Aus der Rundreise, die er im vorigen Jahre zur Fa-
radisirung des Volkes und Aufbietung des Landsturmes gemacht, war er am vier¬
ten August auch bei ihnen eingekehrt. Welcher Unterschied zwischen damals und
jetzt! Damals kam er als schlichter Volksmann (seine Stellung als Finanzminister
stand mit dieser Rundreise in keiner Beziehung) um Hilfe für das bedrängte Va¬
terland, bewaffneten Widerstand gegen den kroatisch-serbischen Aufstand zu erflehen.
Er forderte von dem an solche Opfer damals noch nicht gewöhnten Volk das Höchste
und Theuerste: Gut und Blut. Sie boten es willig dar und kamen ihm mit solcher
Liebe und Wärme entgegen, daß er in seiner, vor einer zahlreichen Volksversamm¬
lung gehaltenen Rede mit Thränen in den Augen gestand: "Anderswo suche er
Begeisterung zu wecken; hier schöpfe er sie selbst." .... Heute kam er als sieg-
gekröuter Befreier, an der Spitze einer großen Armee, an der Spitze der natio¬
nalen Regierung der unabhängigen ungarischen Republik; -- die freudetrunkenen
Szegediner wußten kaum, wie sie ihn würdig genug empfangen sollten.

Eine großartige Serenade, am ersten Abend nach seiner Ankunft veranstaltet,
sollte der schwache Dollmetscher ihrer überströmenden Gefühle der Freude und Ver¬
ehrung sein.

Serenaden und Fackelzüge sind in unserem Jahrzehnt, besonders während der
letzten zwei Jahre, in Menge veranstaltet worden. Wir sahen aber keine einzige,
welche von eiuer so ungeheueren Volksmenge besticht, keine, deren Anblick ergrei¬
fender war, als die Serenade der Stadt Szegedin am Mittwoch, den 11. Juli 1849.

Schon seit zwei Tagen war das Landvolk aus der Umgegend in Massen nach
Szegedin gepilgert, um den "Befreier" von Angesicht zu Angesicht zu sehen und
aus seinem Munde die zauberkräftigen Worte zu vernehmen, die es bisher durch
todte Schriftzüge kennen gelernt hatte. Sie sahen in ihm nicht blos den Befreier
Ungarns, sondern das iukarnirte Magyareuthnm und die inkarnirte Freiheit. Der
gemessene, selbst im ärgsten Begeisterungsrausch noch immer reflektirende Deutsche
kann diese Art der Hingebung, deren der heißblutige und schwärmerische Magyare
fähig ist, kaum begreifen.

Von Pesthofen und der Umgegend waren Hunderte Beamte, Literaten, Lie¬
feranten, Handwerker u. f. w. der Negierung hierher gefolgt. Unbeschäftigt, wie
sie waren, schlössen auch sie sich allesammt willig dem Zuge an; um so mehr, da


können, und habe es nur aus „höheren strategischen Rücksichten" aufgegeben. Sie
begrüßten uns als hohe Gäste, die ihnen Glück und Ehre bringen, denn unser
Aufenthalt daselbst erhob ihre Stadt zur Hauptstadt, in deren Mauern fürderhin
das Schicksal Ungarns und — wie patriotische Sanguiniker hinzufügten — auch
das Schicksal der europäischen Freiheit entschieden werden sollte. . . .

Besonders aber freuten sie sich über die Ankunft Kossutl/ö. Beinahe ein
ganzes Jahr war verflossen, seit sie den Liebling der Nation nicht in ihren Mauern
begrüßt. Und welches Jahr! Was hatte dieser Mann im Laufe desselben nicht
geschaffen und vollbracht! Aus der Rundreise, die er im vorigen Jahre zur Fa-
radisirung des Volkes und Aufbietung des Landsturmes gemacht, war er am vier¬
ten August auch bei ihnen eingekehrt. Welcher Unterschied zwischen damals und
jetzt! Damals kam er als schlichter Volksmann (seine Stellung als Finanzminister
stand mit dieser Rundreise in keiner Beziehung) um Hilfe für das bedrängte Va¬
terland, bewaffneten Widerstand gegen den kroatisch-serbischen Aufstand zu erflehen.
Er forderte von dem an solche Opfer damals noch nicht gewöhnten Volk das Höchste
und Theuerste: Gut und Blut. Sie boten es willig dar und kamen ihm mit solcher
Liebe und Wärme entgegen, daß er in seiner, vor einer zahlreichen Volksversamm¬
lung gehaltenen Rede mit Thränen in den Augen gestand: „Anderswo suche er
Begeisterung zu wecken; hier schöpfe er sie selbst." .... Heute kam er als sieg-
gekröuter Befreier, an der Spitze einer großen Armee, an der Spitze der natio¬
nalen Regierung der unabhängigen ungarischen Republik; — die freudetrunkenen
Szegediner wußten kaum, wie sie ihn würdig genug empfangen sollten.

Eine großartige Serenade, am ersten Abend nach seiner Ankunft veranstaltet,
sollte der schwache Dollmetscher ihrer überströmenden Gefühle der Freude und Ver¬
ehrung sein.

Serenaden und Fackelzüge sind in unserem Jahrzehnt, besonders während der
letzten zwei Jahre, in Menge veranstaltet worden. Wir sahen aber keine einzige,
welche von eiuer so ungeheueren Volksmenge besticht, keine, deren Anblick ergrei¬
fender war, als die Serenade der Stadt Szegedin am Mittwoch, den 11. Juli 1849.

Schon seit zwei Tagen war das Landvolk aus der Umgegend in Massen nach
Szegedin gepilgert, um den „Befreier" von Angesicht zu Angesicht zu sehen und
aus seinem Munde die zauberkräftigen Worte zu vernehmen, die es bisher durch
todte Schriftzüge kennen gelernt hatte. Sie sahen in ihm nicht blos den Befreier
Ungarns, sondern das iukarnirte Magyareuthnm und die inkarnirte Freiheit. Der
gemessene, selbst im ärgsten Begeisterungsrausch noch immer reflektirende Deutsche
kann diese Art der Hingebung, deren der heißblutige und schwärmerische Magyare
fähig ist, kaum begreifen.

Von Pesthofen und der Umgegend waren Hunderte Beamte, Literaten, Lie¬
feranten, Handwerker u. f. w. der Negierung hierher gefolgt. Unbeschäftigt, wie
sie waren, schlössen auch sie sich allesammt willig dem Zuge an; um so mehr, da


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/77>, abgerufen am 24.07.2024.