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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Unterliegen gegen die gemeinsamen Gegner, die Radikalen, büßen mußte. Im
Lager dieser Letzter" war zwar auch eine Spaltung ausgebrochen. Die Aeußersten
wollten die Wahlen so viel als möglich auf Solche lenken, die wegen ihrer Be¬
theiligung am Maiaufstände landesflüchtig geworden, in Hast und Untersuchung
oder von ihren Aemtern entfernt waren. Entweder hofften sie dadurch diesen zur
Rückkehr oder Freiheit und zur Einstellung der gegen sie eingeleiteten Unter¬
suchungen zu verhelfen, oder sie wollten wenigstens das Princip retten. Die klü¬
geren Führer der Linken sahen das Gefährliche eines Beginnens ein, welches die
Reihen der Linken für längere Zeit unvollzählig machen mußte, und riethen nach
Kräften davon ab, konnten aber doch nicht verhindern, daß über ein Dutzend
Wahlen auf suspendirte sielen, die nach dem Wortlaute des Wahlgesetzes nicht
wählbar siud. Davon abgesehen indeß, trat auch die Linke meist als eine einige,
geschlossene Partei bei den Wahlen ans.

Die Blätter beider Farben verfehlten nicht, die Gewählten, je nachdem sie
der einen oder andern Partei ihre Erwählung verdankten, als "gut" oder "schlecht",
als Böcke oder Schafe einzuregistriren, sie mit einem ^ zu begnadigen oder mit
einem 1' zu brandmarken. So kam denn jeder Gewählte sogleich mit einem ferti¬
gen Signalement und Leumundszeugniß in Dresden an; wußte man auch von den
Meisten noch wenig oder nichts Zuverlässiges über ihre politische Richtung, weil
sie zum ersten Male den Boden der Öffentlichkeit betraten, so genügte es, daß
man sie in den conservativen Blättern mit einem 1', in den radicalen mit einem "
bezeichnet fand, um sie der Linken einzurangiren und ebenso umgekehrt.

Dieser Umstand war für die Gruppirung der Parteien von größerem Einfluß,
als mau vielleicht glauben möchte. Die Nothwendigkeit einer festen Parteibildung
hatten die Conservativen schon beim letzten Landtag von den Radicalen gelernt.
Einige in Dresden wohnhaste Abgeordnete jener Richtung waren daher beeifert,
die in Dresden ankommenden College", so weit sie bei denselben die gleiche Ge¬
sinnung voraussetzen durste", sofort an sich heran zu ziehen und zu vereinigen.
Für die Linke hatte bereits dasselbe Geschäft mit gewohnter Behendigkeit und ge¬
übtem Takt der Abgeordnete Dr. Joseph übernommen. Er wußte seine Leute
rasch herauszufinden und sie nicht blos "anzuziehen," sondern auch "festzuhalten."

Die auf Gründung einer conservativen Partei Bedachten hatten weder die
Praxis, noch die Personalkenntniß des radikalen Führers; sie begnügten sich da¬
her, Diejenigen zum Beitritt aufzufordern, welche von der Presse als der conser¬
vativen Partei zugehörig bezeichnet waren. So entstanden von vornherein zwei
große Heerlager, ein cvnservatives (oder besser gesagt, nichtradikales) und ein ra¬
dikales. Auf bestimmte Programme einigte man sich nicht; die Linke schaarte
sich um die Traditionen der alten Vaterlandsvereinspartei und um die bekannten
Persönlichkeiten, in denen diese Traditionen sich verkörperten; zur Rechten dagegen
hielten alle Die, auf welche gerade jene Traditionen und jene Persönlichkeiten eine


Unterliegen gegen die gemeinsamen Gegner, die Radikalen, büßen mußte. Im
Lager dieser Letzter» war zwar auch eine Spaltung ausgebrochen. Die Aeußersten
wollten die Wahlen so viel als möglich auf Solche lenken, die wegen ihrer Be¬
theiligung am Maiaufstände landesflüchtig geworden, in Hast und Untersuchung
oder von ihren Aemtern entfernt waren. Entweder hofften sie dadurch diesen zur
Rückkehr oder Freiheit und zur Einstellung der gegen sie eingeleiteten Unter¬
suchungen zu verhelfen, oder sie wollten wenigstens das Princip retten. Die klü¬
geren Führer der Linken sahen das Gefährliche eines Beginnens ein, welches die
Reihen der Linken für längere Zeit unvollzählig machen mußte, und riethen nach
Kräften davon ab, konnten aber doch nicht verhindern, daß über ein Dutzend
Wahlen auf suspendirte sielen, die nach dem Wortlaute des Wahlgesetzes nicht
wählbar siud. Davon abgesehen indeß, trat auch die Linke meist als eine einige,
geschlossene Partei bei den Wahlen ans.

Die Blätter beider Farben verfehlten nicht, die Gewählten, je nachdem sie
der einen oder andern Partei ihre Erwählung verdankten, als „gut" oder „schlecht",
als Böcke oder Schafe einzuregistriren, sie mit einem ^ zu begnadigen oder mit
einem 1' zu brandmarken. So kam denn jeder Gewählte sogleich mit einem ferti¬
gen Signalement und Leumundszeugniß in Dresden an; wußte man auch von den
Meisten noch wenig oder nichts Zuverlässiges über ihre politische Richtung, weil
sie zum ersten Male den Boden der Öffentlichkeit betraten, so genügte es, daß
man sie in den conservativen Blättern mit einem 1', in den radicalen mit einem "
bezeichnet fand, um sie der Linken einzurangiren und ebenso umgekehrt.

Dieser Umstand war für die Gruppirung der Parteien von größerem Einfluß,
als mau vielleicht glauben möchte. Die Nothwendigkeit einer festen Parteibildung
hatten die Conservativen schon beim letzten Landtag von den Radicalen gelernt.
Einige in Dresden wohnhaste Abgeordnete jener Richtung waren daher beeifert,
die in Dresden ankommenden College», so weit sie bei denselben die gleiche Ge¬
sinnung voraussetzen durste«, sofort an sich heran zu ziehen und zu vereinigen.
Für die Linke hatte bereits dasselbe Geschäft mit gewohnter Behendigkeit und ge¬
übtem Takt der Abgeordnete Dr. Joseph übernommen. Er wußte seine Leute
rasch herauszufinden und sie nicht blos „anzuziehen," sondern auch „festzuhalten."

Die auf Gründung einer conservativen Partei Bedachten hatten weder die
Praxis, noch die Personalkenntniß des radikalen Führers; sie begnügten sich da¬
her, Diejenigen zum Beitritt aufzufordern, welche von der Presse als der conser¬
vativen Partei zugehörig bezeichnet waren. So entstanden von vornherein zwei
große Heerlager, ein cvnservatives (oder besser gesagt, nichtradikales) und ein ra¬
dikales. Auf bestimmte Programme einigte man sich nicht; die Linke schaarte
sich um die Traditionen der alten Vaterlandsvereinspartei und um die bekannten
Persönlichkeiten, in denen diese Traditionen sich verkörperten; zur Rechten dagegen
hielten alle Die, auf welche gerade jene Traditionen und jene Persönlichkeiten eine


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[0071] Unterliegen gegen die gemeinsamen Gegner, die Radikalen, büßen mußte. Im Lager dieser Letzter» war zwar auch eine Spaltung ausgebrochen. Die Aeußersten wollten die Wahlen so viel als möglich auf Solche lenken, die wegen ihrer Be¬ theiligung am Maiaufstände landesflüchtig geworden, in Hast und Untersuchung oder von ihren Aemtern entfernt waren. Entweder hofften sie dadurch diesen zur Rückkehr oder Freiheit und zur Einstellung der gegen sie eingeleiteten Unter¬ suchungen zu verhelfen, oder sie wollten wenigstens das Princip retten. Die klü¬ geren Führer der Linken sahen das Gefährliche eines Beginnens ein, welches die Reihen der Linken für längere Zeit unvollzählig machen mußte, und riethen nach Kräften davon ab, konnten aber doch nicht verhindern, daß über ein Dutzend Wahlen auf suspendirte sielen, die nach dem Wortlaute des Wahlgesetzes nicht wählbar siud. Davon abgesehen indeß, trat auch die Linke meist als eine einige, geschlossene Partei bei den Wahlen ans. Die Blätter beider Farben verfehlten nicht, die Gewählten, je nachdem sie der einen oder andern Partei ihre Erwählung verdankten, als „gut" oder „schlecht", als Böcke oder Schafe einzuregistriren, sie mit einem ^ zu begnadigen oder mit einem 1' zu brandmarken. So kam denn jeder Gewählte sogleich mit einem ferti¬ gen Signalement und Leumundszeugniß in Dresden an; wußte man auch von den Meisten noch wenig oder nichts Zuverlässiges über ihre politische Richtung, weil sie zum ersten Male den Boden der Öffentlichkeit betraten, so genügte es, daß man sie in den conservativen Blättern mit einem 1', in den radicalen mit einem " bezeichnet fand, um sie der Linken einzurangiren und ebenso umgekehrt. Dieser Umstand war für die Gruppirung der Parteien von größerem Einfluß, als mau vielleicht glauben möchte. Die Nothwendigkeit einer festen Parteibildung hatten die Conservativen schon beim letzten Landtag von den Radicalen gelernt. Einige in Dresden wohnhaste Abgeordnete jener Richtung waren daher beeifert, die in Dresden ankommenden College», so weit sie bei denselben die gleiche Ge¬ sinnung voraussetzen durste«, sofort an sich heran zu ziehen und zu vereinigen. Für die Linke hatte bereits dasselbe Geschäft mit gewohnter Behendigkeit und ge¬ übtem Takt der Abgeordnete Dr. Joseph übernommen. Er wußte seine Leute rasch herauszufinden und sie nicht blos „anzuziehen," sondern auch „festzuhalten." Die auf Gründung einer conservativen Partei Bedachten hatten weder die Praxis, noch die Personalkenntniß des radikalen Führers; sie begnügten sich da¬ her, Diejenigen zum Beitritt aufzufordern, welche von der Presse als der conser¬ vativen Partei zugehörig bezeichnet waren. So entstanden von vornherein zwei große Heerlager, ein cvnservatives (oder besser gesagt, nichtradikales) und ein ra¬ dikales. Auf bestimmte Programme einigte man sich nicht; die Linke schaarte sich um die Traditionen der alten Vaterlandsvereinspartei und um die bekannten Persönlichkeiten, in denen diese Traditionen sich verkörperten; zur Rechten dagegen hielten alle Die, auf welche gerade jene Traditionen und jene Persönlichkeiten eine

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/71>, abgerufen am 24.07.2024.