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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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verging jedem die Lust, der einmal einen Blick ans diese eherne Phalanx von posi¬
tiven historischen Beweisen geworfen hatte. Aber es kam doch gar Vielen wunder¬
lich, Anderen höchst nul'eqnem vor. -- Aehnliches könnte freilich nur von derselben
Hand auch aus anderen Gebieten der deutschen Urgeschichte geleistet werden, und
damit würde manche Lücke ergänzt, aber immer mit dem Vorbehalte, daß noch
größere niemals zu ergänzen sind. So z. B. wenn uns Jakob Grimm sein lange
versprochenes Buch von den deutschen Alterthümern endlich einmal geben wollte.
Haus und Familie jener Urzeit und was sich daran von Lebensgewohnheiten und
Sitten schließt, würde uus dann wohl eben so relativ klar vor das Ange treten,
wie jetzt der Glaube, das Recht und die Sprache unserer Vorfahren.

Was in dieser Beziehung zu erwarten steht, davon kann man sich aus eini¬
gen Stellen der Sprachgeschichte einen Begriff machen, wo jenes als "deutsche
Alterthümer" im engsten Sinne des Wortes abgegrenzte Gebiet gelegentlich be¬
rührt wird. In den ersten Kapiteln des Buches nämlich werden, gemäß der ge¬
stellten Aufgabe, diejenigen Neste der Sprachgemeinsamkeit unseres Volkes an den
verwandten sogenannten indogermanischen, besprochen, welche sich an Begriffe und
Bezeichnungen des häuslichen und geselligen Lebens anschließen. Sie sind unter
die Rubriken: Hirten und Ackerbauer, das Vieh, die Falkenjagd, Ackerbau, Feste
und Monate gebracht, und wie gesagt, immer streng von dem Gesichtspunkte der
Sprachgeschichte, nicht der sogenannten Alterthumskunde aus betrachtet. Aber ganz
unwillkürlich, indem sie benannt und für die Zwecke des Buches benutzt werden,
ergibt sich eine lebendige Fülle der allercoucretesten Anschauungen aus jenem Ge¬
biete der Urculturgeschichte, von deren Vorhandensein wohl nur sehr wenige eine
Ahnung hatten. --

Ich glaube wenigstens so viel auf das Buch eingegangen zu sein, als nöthig
ist, einmal sein Verhältniß zu dem großen Gesammtgebiet der Arbeiten Jakob
Grimm's, insbesondere der Grammatik festzustellen. Es ist, kurz ausgedrückt, eine
Abtheilung der ungeheuern Masse, die in der Grammatik noch sehr unvollkommen
behandelt ist, vollkommen abgeklärt und durchsichtig, gleich unübertrefflich an
Fülle und Gelehrsamkeit des Inhalts wie an Beseelung und Durchdringung dessel¬
ben, die sich schon in der ganzen äußern Gestaltung und Gruppirung des Mate¬
rials abspiegelt. Dann ergibt sich aus dem bisher gesagten wohl auch seine Be¬
deutung zunächst für die deutsche Culturgeschichte. Ein sehr wichtiger Zweig der¬
selben ist hier zum ersten Mal so untersucht und dargestellt, wie sie alle es wer¬
den müssen, ehe man von Kenntniß der deutscheu Entwicklungsgeschichte reden
darf. Außerdem haben einige Branchen der Alterthumskunde dadurch positive
Aufklärung erhalten, und wenn diese auch nur nebenbei sich ergibt, so ist sie doch
viel bedeutender, als in allen sogenannten deutschen Alterthumstundeu zusammen,
die unsere bisherige Literatur verunzieren. --

Endlich und dies ist nicht das geringste Verdienst des Werks, ist damit ein


verging jedem die Lust, der einmal einen Blick ans diese eherne Phalanx von posi¬
tiven historischen Beweisen geworfen hatte. Aber es kam doch gar Vielen wunder¬
lich, Anderen höchst nul'eqnem vor. — Aehnliches könnte freilich nur von derselben
Hand auch aus anderen Gebieten der deutschen Urgeschichte geleistet werden, und
damit würde manche Lücke ergänzt, aber immer mit dem Vorbehalte, daß noch
größere niemals zu ergänzen sind. So z. B. wenn uns Jakob Grimm sein lange
versprochenes Buch von den deutschen Alterthümern endlich einmal geben wollte.
Haus und Familie jener Urzeit und was sich daran von Lebensgewohnheiten und
Sitten schließt, würde uus dann wohl eben so relativ klar vor das Ange treten,
wie jetzt der Glaube, das Recht und die Sprache unserer Vorfahren.

Was in dieser Beziehung zu erwarten steht, davon kann man sich aus eini¬
gen Stellen der Sprachgeschichte einen Begriff machen, wo jenes als „deutsche
Alterthümer" im engsten Sinne des Wortes abgegrenzte Gebiet gelegentlich be¬
rührt wird. In den ersten Kapiteln des Buches nämlich werden, gemäß der ge¬
stellten Aufgabe, diejenigen Neste der Sprachgemeinsamkeit unseres Volkes an den
verwandten sogenannten indogermanischen, besprochen, welche sich an Begriffe und
Bezeichnungen des häuslichen und geselligen Lebens anschließen. Sie sind unter
die Rubriken: Hirten und Ackerbauer, das Vieh, die Falkenjagd, Ackerbau, Feste
und Monate gebracht, und wie gesagt, immer streng von dem Gesichtspunkte der
Sprachgeschichte, nicht der sogenannten Alterthumskunde aus betrachtet. Aber ganz
unwillkürlich, indem sie benannt und für die Zwecke des Buches benutzt werden,
ergibt sich eine lebendige Fülle der allercoucretesten Anschauungen aus jenem Ge¬
biete der Urculturgeschichte, von deren Vorhandensein wohl nur sehr wenige eine
Ahnung hatten. —

Ich glaube wenigstens so viel auf das Buch eingegangen zu sein, als nöthig
ist, einmal sein Verhältniß zu dem großen Gesammtgebiet der Arbeiten Jakob
Grimm's, insbesondere der Grammatik festzustellen. Es ist, kurz ausgedrückt, eine
Abtheilung der ungeheuern Masse, die in der Grammatik noch sehr unvollkommen
behandelt ist, vollkommen abgeklärt und durchsichtig, gleich unübertrefflich an
Fülle und Gelehrsamkeit des Inhalts wie an Beseelung und Durchdringung dessel¬
ben, die sich schon in der ganzen äußern Gestaltung und Gruppirung des Mate¬
rials abspiegelt. Dann ergibt sich aus dem bisher gesagten wohl auch seine Be¬
deutung zunächst für die deutsche Culturgeschichte. Ein sehr wichtiger Zweig der¬
selben ist hier zum ersten Mal so untersucht und dargestellt, wie sie alle es wer¬
den müssen, ehe man von Kenntniß der deutscheu Entwicklungsgeschichte reden
darf. Außerdem haben einige Branchen der Alterthumskunde dadurch positive
Aufklärung erhalten, und wenn diese auch nur nebenbei sich ergibt, so ist sie doch
viel bedeutender, als in allen sogenannten deutschen Alterthumstundeu zusammen,
die unsere bisherige Literatur verunzieren. —

Endlich und dies ist nicht das geringste Verdienst des Werks, ist damit ein


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/63>, abgerufen am 24.07.2024.