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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Majestät!" "Ich nehme Dir Deine Braut!" "Nimm sie! ich kann nicht anders."
Der König geht ab. "Jetzt komm hervor, Hcrnani! Ich habe die Pflicht des
Gastrechts erfüllt, jetzt muß ich Dich todten, denn Du hast meine Ehre beleidigt."
"Ich werde mich nicht wehren, denn Dn bist mein Retter." "Schön." "Beiläu¬
fig, was hat denn der König gethan?" "Meine Braut mitgenommen." "Unseliger!
er ist Dein Nebenbuhler!" "Was?!! Rache!!" "Laß mich so lange leben, Dir
zu helfen; nimm mein Waldhorn, wenn Du willst, daß ich sterben soll, so darfst
Du nur darauf blasen."---Das ist das Geheimniß jenes Horns! Hernani
muß den Giftbecher trinken, vor der Brautnacht, die Braut stirbt, der Alte
stößt sich den Dolch in's Herz. Das ist Castilianische Ehre, jene Ehre, die der
Romancier des Grafen Alarcvs, die Calderon und andere Hofpoeten gefeiert, die
der einzige große Dichter Spaniens, Cervantes, in einer herrlichen Komödie ge¬
richtet hat. -- Ueber die weitern Scenen dieser Charaktermaske kann ich kurz sein.
Es genügt, wenn ich anführe, wie Nodvlfv im Tyrannen von Padua seine
finstere Stimmung durch den Umstand motivirt, daß die Liebe zu den Ezzelinen,
welchem Geschlecht er angehört, den Tod bringt; daß Gennaro, der sich nachher
als Sohn der Lucrezia Borgia ausweist, schwermüthig ist über seine unbekannte
Herkunft; daß Ruh Blas durch eine zu feine Erziehung erst mit seinem Stande
(er ist Lakai), und in Folge dessen mit der Welt in Conflict geräth u. s. w. Ich
gehe sofort zur zweiten Charaktermaske über.

Der alte Baron der Feudalzeit ist der Typus des romantischen Katechis¬
mus: Loyalität, Unabhängigkeit, Ehre, Gastfreundschaft, Stolz u. s. w. Er er¬
scheint bei unserm Dichter als Jncarnation der mittelalterlichen Ruinen, auf
denen Victor Hugo auf seinen Gebirgsreisen zu träumen pflegte. Die Maske
selbst erinnert auf eine verhängnißvolle Weise an den Dvttore des italienischen
Ballets, der mit der Steifheit eines Nußknackers in seinen Arien sich selber und
seine Klugheit anfinge, und von aller Welt gefoppt wird, oder an den Ritter von
la Mancha, dessen ideale Welt nirgend anders zu finden ist, als in den Ritter-
büchern der Antiquare. Den Burggrafen Hiob, die Chrysalide jenes rheinischen
Steingehäuses, welches der Dichter in seinen nächtlichen Träumereien symbolisch
zu restauriren unternahm, kennen wir schon; im Vergleich mit diesem würdigen
Alten find alle frühern Kavaliere nur schwache Versuche geblieben. In ihrer Er¬
scheinung bleiben sie sich immer gleich. Mitten in einer wüsten Orgie öffnet sich
eine Flügelthür, und in derselben steht ein hoher Greis mit weißem Bart, einem
ungeheuern Degen, und wenn es irgend möglich ist, dem goldnen Vließ oder
wenigstens einem nicht viel geringeren Orden auf der Brust. Er betrachtet eine
Weile mit nachdrücklichem Schweigen das liederliche Treiben der jungen Hofleute,
und sagt dann mit einer hohlen Stimme: Zu meinen Zeiten war es ganz anders.
Dann beschreibt er jene Zeiten in einem ziemlich langen Vortrag, und entfernt
sich ebenso gravitätisch als er gekommen war. So der alte Marquis von Nangis


Majestät!" „Ich nehme Dir Deine Braut!" „Nimm sie! ich kann nicht anders."
Der König geht ab. „Jetzt komm hervor, Hcrnani! Ich habe die Pflicht des
Gastrechts erfüllt, jetzt muß ich Dich todten, denn Du hast meine Ehre beleidigt."
„Ich werde mich nicht wehren, denn Dn bist mein Retter." „Schön." „Beiläu¬
fig, was hat denn der König gethan?" „Meine Braut mitgenommen." „Unseliger!
er ist Dein Nebenbuhler!" „Was?!! Rache!!" „Laß mich so lange leben, Dir
zu helfen; nimm mein Waldhorn, wenn Du willst, daß ich sterben soll, so darfst
Du nur darauf blasen."---Das ist das Geheimniß jenes Horns! Hernani
muß den Giftbecher trinken, vor der Brautnacht, die Braut stirbt, der Alte
stößt sich den Dolch in's Herz. Das ist Castilianische Ehre, jene Ehre, die der
Romancier des Grafen Alarcvs, die Calderon und andere Hofpoeten gefeiert, die
der einzige große Dichter Spaniens, Cervantes, in einer herrlichen Komödie ge¬
richtet hat. — Ueber die weitern Scenen dieser Charaktermaske kann ich kurz sein.
Es genügt, wenn ich anführe, wie Nodvlfv im Tyrannen von Padua seine
finstere Stimmung durch den Umstand motivirt, daß die Liebe zu den Ezzelinen,
welchem Geschlecht er angehört, den Tod bringt; daß Gennaro, der sich nachher
als Sohn der Lucrezia Borgia ausweist, schwermüthig ist über seine unbekannte
Herkunft; daß Ruh Blas durch eine zu feine Erziehung erst mit seinem Stande
(er ist Lakai), und in Folge dessen mit der Welt in Conflict geräth u. s. w. Ich
gehe sofort zur zweiten Charaktermaske über.

Der alte Baron der Feudalzeit ist der Typus des romantischen Katechis¬
mus: Loyalität, Unabhängigkeit, Ehre, Gastfreundschaft, Stolz u. s. w. Er er¬
scheint bei unserm Dichter als Jncarnation der mittelalterlichen Ruinen, auf
denen Victor Hugo auf seinen Gebirgsreisen zu träumen pflegte. Die Maske
selbst erinnert auf eine verhängnißvolle Weise an den Dvttore des italienischen
Ballets, der mit der Steifheit eines Nußknackers in seinen Arien sich selber und
seine Klugheit anfinge, und von aller Welt gefoppt wird, oder an den Ritter von
la Mancha, dessen ideale Welt nirgend anders zu finden ist, als in den Ritter-
büchern der Antiquare. Den Burggrafen Hiob, die Chrysalide jenes rheinischen
Steingehäuses, welches der Dichter in seinen nächtlichen Träumereien symbolisch
zu restauriren unternahm, kennen wir schon; im Vergleich mit diesem würdigen
Alten find alle frühern Kavaliere nur schwache Versuche geblieben. In ihrer Er¬
scheinung bleiben sie sich immer gleich. Mitten in einer wüsten Orgie öffnet sich
eine Flügelthür, und in derselben steht ein hoher Greis mit weißem Bart, einem
ungeheuern Degen, und wenn es irgend möglich ist, dem goldnen Vließ oder
wenigstens einem nicht viel geringeren Orden auf der Brust. Er betrachtet eine
Weile mit nachdrücklichem Schweigen das liederliche Treiben der jungen Hofleute,
und sagt dann mit einer hohlen Stimme: Zu meinen Zeiten war es ganz anders.
Dann beschreibt er jene Zeiten in einem ziemlich langen Vortrag, und entfernt
sich ebenso gravitätisch als er gekommen war. So der alte Marquis von Nangis


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[0052] Majestät!" „Ich nehme Dir Deine Braut!" „Nimm sie! ich kann nicht anders." Der König geht ab. „Jetzt komm hervor, Hcrnani! Ich habe die Pflicht des Gastrechts erfüllt, jetzt muß ich Dich todten, denn Du hast meine Ehre beleidigt." „Ich werde mich nicht wehren, denn Dn bist mein Retter." „Schön." „Beiläu¬ fig, was hat denn der König gethan?" „Meine Braut mitgenommen." „Unseliger! er ist Dein Nebenbuhler!" „Was?!! Rache!!" „Laß mich so lange leben, Dir zu helfen; nimm mein Waldhorn, wenn Du willst, daß ich sterben soll, so darfst Du nur darauf blasen."---Das ist das Geheimniß jenes Horns! Hernani muß den Giftbecher trinken, vor der Brautnacht, die Braut stirbt, der Alte stößt sich den Dolch in's Herz. Das ist Castilianische Ehre, jene Ehre, die der Romancier des Grafen Alarcvs, die Calderon und andere Hofpoeten gefeiert, die der einzige große Dichter Spaniens, Cervantes, in einer herrlichen Komödie ge¬ richtet hat. — Ueber die weitern Scenen dieser Charaktermaske kann ich kurz sein. Es genügt, wenn ich anführe, wie Nodvlfv im Tyrannen von Padua seine finstere Stimmung durch den Umstand motivirt, daß die Liebe zu den Ezzelinen, welchem Geschlecht er angehört, den Tod bringt; daß Gennaro, der sich nachher als Sohn der Lucrezia Borgia ausweist, schwermüthig ist über seine unbekannte Herkunft; daß Ruh Blas durch eine zu feine Erziehung erst mit seinem Stande (er ist Lakai), und in Folge dessen mit der Welt in Conflict geräth u. s. w. Ich gehe sofort zur zweiten Charaktermaske über. Der alte Baron der Feudalzeit ist der Typus des romantischen Katechis¬ mus: Loyalität, Unabhängigkeit, Ehre, Gastfreundschaft, Stolz u. s. w. Er er¬ scheint bei unserm Dichter als Jncarnation der mittelalterlichen Ruinen, auf denen Victor Hugo auf seinen Gebirgsreisen zu träumen pflegte. Die Maske selbst erinnert auf eine verhängnißvolle Weise an den Dvttore des italienischen Ballets, der mit der Steifheit eines Nußknackers in seinen Arien sich selber und seine Klugheit anfinge, und von aller Welt gefoppt wird, oder an den Ritter von la Mancha, dessen ideale Welt nirgend anders zu finden ist, als in den Ritter- büchern der Antiquare. Den Burggrafen Hiob, die Chrysalide jenes rheinischen Steingehäuses, welches der Dichter in seinen nächtlichen Träumereien symbolisch zu restauriren unternahm, kennen wir schon; im Vergleich mit diesem würdigen Alten find alle frühern Kavaliere nur schwache Versuche geblieben. In ihrer Er¬ scheinung bleiben sie sich immer gleich. Mitten in einer wüsten Orgie öffnet sich eine Flügelthür, und in derselben steht ein hoher Greis mit weißem Bart, einem ungeheuern Degen, und wenn es irgend möglich ist, dem goldnen Vließ oder wenigstens einem nicht viel geringeren Orden auf der Brust. Er betrachtet eine Weile mit nachdrücklichem Schweigen das liederliche Treiben der jungen Hofleute, und sagt dann mit einer hohlen Stimme: Zu meinen Zeiten war es ganz anders. Dann beschreibt er jene Zeiten in einem ziemlich langen Vortrag, und entfernt sich ebenso gravitätisch als er gekommen war. So der alte Marquis von Nangis

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/52>, abgerufen am 04.07.2024.