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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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rechtigung hat; er ist eigentlich Herzog von Aragonien, aber König Karl hat sei¬
nen Vater hinrichten lassen, ihn selbst geächtet und gezwungen, sich an die Spitze
einer Räuberbande zu stellen; außerdem ist seine Geliebte im Begriff, sich mit
einem alten Herrn zu verheirathen, und es geht-ihm auch übrigens widerwärtig
genug. Freilich muß man hinzusetzen, daß jenes Schicksal nichts Befremdendes
haben kann, da er einer jener unglücklichen Charaktere ist, welche nicht wissen,
was sie wollen. Man höre. Sein Lebenszweck ist, sich an dem König zu rächen,
er spricht sich darüber in einigen Monologen mit hinlänglicher Energie aus. Nun
findet er in ihm noch dazu seinen Nebenbuhler. Es gelingt ihm, seiner bei einem
Attentat auf seine Geliebte habhaft zu werden. Er will ihn tödten, aber da Karl
es verschmäht, sich mit einem gemeinen Kerl zu schlage", so weiß er nicht, wie
er sich zu benehmen hat; er läßt ihn gehen und begnügt sich, ihm flammende
Blicke zuzuschlendern, die der König mit vernichtenden Adlerblicken erwiedert. Der
Letztere versichert ihn, die Verfolgung solle nun erst recht angehen; er werde näch¬
stens Kaiser werden und die Reichsacht über ihn aussprechen. -- "Dann bleibt mir
noch der Nest der Welt." "Und wenn ich die ganze Welt haben werde?" "dann
bleibt mir das Grab." -- Es ist nicht möglich, in kürzeren Worten die Hohlheit
dieses renommirenden Pathos auszudrücken. -- Nachher kommt Hernani doch zu
der Ueberzeugung, es sei besser, den König zu ermorden. Zu diesem Zweck reist
er mit vielen anderen Verschwornen nach Frankfurt. Sie werde" gefangen, die
Granden sollen geköpft werden, das Gestndel will man laufen lassen. "Ich bin
kein Gestndel! ich bin Grande! ich bin Herzog von Aragonien und nehme mein
Recht in Anspruch, hingerichtet zu werden!" Dazu setzt er sich den Hut auf.
Karl ist mittlerweile Kaiser geworden, der Geist Karl des Großen ist über ihn
gekommen, er verzeiht, gibt ihm sein Herzogthum wieder und noch dazu die Dame,
die er liebt. -- Man denkt, jetzt ist Alles in Ordnung! aber nein. -- Das Hoch-
zeitfest wird gefeiert, Alles ist lustig, nur ein schwarzer Domino, der unheimlich
in den hell erleuchteten Bogengängen umherschleicht, macht einen peinlichen Ein¬
druck. Die Gäste entfernen sich, Hernani setzt sich mit seiner jungen Frau an's
Fenster, die schöne Sommernacht zu genießen. Da tönt plötzlich aus dem Gebüsch
ein Hornstoß. Hernani fährt zusammen. "Mein Gott, was ist Dir?" "Nichts!
ich muß sterben!" Und indem tritt jener schwarze Domino aus dem Gebüsch
hervor und hält mit einer hohlen Grabesstimme eine Rede über die Sitten des
alten spanischen Adels. -- Die Sache hängt nämlich so zusammen. - Von der
Polizei verfolgt, war Hernani in das Schloß des Grasen Ruy Gomez geflüchtet
-- jenes alten Mannes, dem Hernani's Geliebte verlobt war. Treu dem Gast¬
recht, verheißt er ihm Schutz, muß aber entdecken, daß sein Gast im heimlichen
Einverständniß mit seiner Braut steht. -- Der König kommt. "Liefere mir den
Flüchtling aus!" "Das darf ich nicht, meine Ahnen verbieten es mir." "Ich.
lasse Dich köpfen und Dein Schloß in Brand stecken." "Dazu hast Du das Recht,


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rechtigung hat; er ist eigentlich Herzog von Aragonien, aber König Karl hat sei¬
nen Vater hinrichten lassen, ihn selbst geächtet und gezwungen, sich an die Spitze
einer Räuberbande zu stellen; außerdem ist seine Geliebte im Begriff, sich mit
einem alten Herrn zu verheirathen, und es geht-ihm auch übrigens widerwärtig
genug. Freilich muß man hinzusetzen, daß jenes Schicksal nichts Befremdendes
haben kann, da er einer jener unglücklichen Charaktere ist, welche nicht wissen,
was sie wollen. Man höre. Sein Lebenszweck ist, sich an dem König zu rächen,
er spricht sich darüber in einigen Monologen mit hinlänglicher Energie aus. Nun
findet er in ihm noch dazu seinen Nebenbuhler. Es gelingt ihm, seiner bei einem
Attentat auf seine Geliebte habhaft zu werden. Er will ihn tödten, aber da Karl
es verschmäht, sich mit einem gemeinen Kerl zu schlage«, so weiß er nicht, wie
er sich zu benehmen hat; er läßt ihn gehen und begnügt sich, ihm flammende
Blicke zuzuschlendern, die der König mit vernichtenden Adlerblicken erwiedert. Der
Letztere versichert ihn, die Verfolgung solle nun erst recht angehen; er werde näch¬
stens Kaiser werden und die Reichsacht über ihn aussprechen. — „Dann bleibt mir
noch der Nest der Welt." „Und wenn ich die ganze Welt haben werde?" „dann
bleibt mir das Grab." — Es ist nicht möglich, in kürzeren Worten die Hohlheit
dieses renommirenden Pathos auszudrücken. — Nachher kommt Hernani doch zu
der Ueberzeugung, es sei besser, den König zu ermorden. Zu diesem Zweck reist
er mit vielen anderen Verschwornen nach Frankfurt. Sie werde» gefangen, die
Granden sollen geköpft werden, das Gestndel will man laufen lassen. „Ich bin
kein Gestndel! ich bin Grande! ich bin Herzog von Aragonien und nehme mein
Recht in Anspruch, hingerichtet zu werden!" Dazu setzt er sich den Hut auf.
Karl ist mittlerweile Kaiser geworden, der Geist Karl des Großen ist über ihn
gekommen, er verzeiht, gibt ihm sein Herzogthum wieder und noch dazu die Dame,
die er liebt. — Man denkt, jetzt ist Alles in Ordnung! aber nein. — Das Hoch-
zeitfest wird gefeiert, Alles ist lustig, nur ein schwarzer Domino, der unheimlich
in den hell erleuchteten Bogengängen umherschleicht, macht einen peinlichen Ein¬
druck. Die Gäste entfernen sich, Hernani setzt sich mit seiner jungen Frau an's
Fenster, die schöne Sommernacht zu genießen. Da tönt plötzlich aus dem Gebüsch
ein Hornstoß. Hernani fährt zusammen. „Mein Gott, was ist Dir?" „Nichts!
ich muß sterben!" Und indem tritt jener schwarze Domino aus dem Gebüsch
hervor und hält mit einer hohlen Grabesstimme eine Rede über die Sitten des
alten spanischen Adels. — Die Sache hängt nämlich so zusammen. - Von der
Polizei verfolgt, war Hernani in das Schloß des Grasen Ruy Gomez geflüchtet
— jenes alten Mannes, dem Hernani's Geliebte verlobt war. Treu dem Gast¬
recht, verheißt er ihm Schutz, muß aber entdecken, daß sein Gast im heimlichen
Einverständniß mit seiner Braut steht. — Der König kommt. „Liefere mir den
Flüchtling aus!" „Das darf ich nicht, meine Ahnen verbieten es mir." „Ich.
lasse Dich köpfen und Dein Schloß in Brand stecken." „Dazu hast Du das Recht,


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/51>, abgerufen am 04.07.2024.