Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.kupferne Lampe an und mache Feuer in dem Kamin, um mein Wachen in die¬ kupferne Lampe an und mache Feuer in dem Kamin, um mein Wachen in die¬ <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <div n="3"> <pb facs="#f0492" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93315"/> <p xml:id="ID_1710" prev="#ID_1709" next="#ID_1711"> kupferne Lampe an und mache Feuer in dem Kamin, um mein Wachen in die¬<lb/> sem kleinen, gewölbten, stummen und isolirten Thurme zu erwärmen, welcher aus¬<lb/> sieht wie ein Gratgewölbe, noch durch die Thätigkeit des Lebens bewohnt. Ich<lb/> öffne mein Fenster, ich thue einige Schritte auf den wurmstichigen Fußboden mei¬<lb/> nes hölzernen Balkons. Ich betrachte den Himmel und die schwarzen Bergzacken,<lb/> die sich bestimmt und scharf auf dem Blaßblau des Winterhimmels abzeichnen,<lb/> oder ihre Spitzen in einem schwerfälligen Ocean von Nebeln verbergen; wenn es<lb/> windig ist, so sehe ich die Wolken über die letzten Sterne ziehen, welche leuchten<lb/> und verschwinden wie die Perlen der Tiefe, welche die Welle in ihren Krümmun¬<lb/> gen bloßlegt und wieder bedeckt. Die schwarzen, entblätterten Zweige der Nuß-<lb/> bäume auf dem Kirchhof winden sich klagend unter der Folter der Lüste, und<lb/> der nächtliche Sturm fegt die Haufen der trockenen Blätter durcheinander, die wie<lb/> eine Brandung an den Fuß des Thurmes schlagen. Bei einem solchen Schau¬<lb/> spiel, in einer solchen Stunde, in einem solchen Schweigen, in Mitte dieser sym¬<lb/> pathetischen Natur, dieser Hügel, wo man groß geworden ist und wo man zu al¬<lb/> tern gedenkt, zehn Schritt von dem Grabe, wo Alles, was man am Meisten auf<lb/> dieser Erde beweint hat, ausruht und uns erwartet — ist es möglich, daß die<lb/> erwachende Seele, welche sich in, die Lust dieser Nächte taucht, nicht in einem Schauder<lb/> das Gefühl des Universums in sich rege werden läßt (»'«zprouve s>as un l'ri-shea<lb/> universel), sich nicht für einen Augenblick verliert in dieses prachtvolle Ineinander¬<lb/> greifen des Firmaments in die Berge, der Sonne in die Wiesen, des Windes in die<lb/> Bäume, und daß nicht ein schneller, elastischer Gedanke sich ans dem Herzen er¬<lb/> hebt, um zu diesen Sternen zu steigen, und von diesen Sternen zu Gott! Ein<lb/> Etwas trennt sich von mir, um sich mit dem All zu vermischen, ein Seufzer führt<lb/> mich zu Allem zurück, was ich gekannt, geliebt, verloren habe, in diesem Hanse<lb/> und anderswo; eine starke Hoffnung führt mich in den Schooß Gottes, wo Alles<lb/> sich wiederfindet; Melancholie und Enthusiasmus mischen sich zu einzelne» Wor¬<lb/> ten, in welche ich laut aufbreche, ohne Furcht, daß Jemand anders sie vernehmen<lb/> werde, als der Wind, der sie zu Gott trägt. — Es wird kalt, ich schließe mein<lb/> Fenster und kehre in den Thurm zurück, wo das Kaminfeuer prasselt und mein<lb/> Hund mich anwedelt. — Was soll ich nun während dieser drei stummen Stunden<lb/> thun, welche dem Erwachen des Tages vorangehen? Alles schläft u. f. w.<lb/> u. s. w. Man ist ruhig und vertrauensvoll, denn der Tag gehört den Menschen,<lb/> die Nacht nur Gott. Ich genieße einen Augenblick die Wollust dieser vollkommenen<lb/> Sicherheit. Ich mache einige Schritte nach allen Seiten hin, ich betrachte ein<lb/> oder zwei Porträts, die an der Wand hängen, Bilder, die um tausendmal besser<lb/> in meinem Herzen ausgeprägt sind, ich rede zu ihnen, ich rede zu meinem Hunde,<lb/> der mit einem intelligenten und unruhige» Auge allen Bewegungen meines Geistes<lb/> und meines Körpers folgt. Zuweilen falle ich auf die Kniee vor einem dieser<lb/> theuern Andenken; noch häufiger gehe ich aus und ab , indem ich meine Seele</p><lb/> </div> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0492]
kupferne Lampe an und mache Feuer in dem Kamin, um mein Wachen in die¬
sem kleinen, gewölbten, stummen und isolirten Thurme zu erwärmen, welcher aus¬
sieht wie ein Gratgewölbe, noch durch die Thätigkeit des Lebens bewohnt. Ich
öffne mein Fenster, ich thue einige Schritte auf den wurmstichigen Fußboden mei¬
nes hölzernen Balkons. Ich betrachte den Himmel und die schwarzen Bergzacken,
die sich bestimmt und scharf auf dem Blaßblau des Winterhimmels abzeichnen,
oder ihre Spitzen in einem schwerfälligen Ocean von Nebeln verbergen; wenn es
windig ist, so sehe ich die Wolken über die letzten Sterne ziehen, welche leuchten
und verschwinden wie die Perlen der Tiefe, welche die Welle in ihren Krümmun¬
gen bloßlegt und wieder bedeckt. Die schwarzen, entblätterten Zweige der Nuß-
bäume auf dem Kirchhof winden sich klagend unter der Folter der Lüste, und
der nächtliche Sturm fegt die Haufen der trockenen Blätter durcheinander, die wie
eine Brandung an den Fuß des Thurmes schlagen. Bei einem solchen Schau¬
spiel, in einer solchen Stunde, in einem solchen Schweigen, in Mitte dieser sym¬
pathetischen Natur, dieser Hügel, wo man groß geworden ist und wo man zu al¬
tern gedenkt, zehn Schritt von dem Grabe, wo Alles, was man am Meisten auf
dieser Erde beweint hat, ausruht und uns erwartet — ist es möglich, daß die
erwachende Seele, welche sich in, die Lust dieser Nächte taucht, nicht in einem Schauder
das Gefühl des Universums in sich rege werden läßt (»'«zprouve s>as un l'ri-shea
universel), sich nicht für einen Augenblick verliert in dieses prachtvolle Ineinander¬
greifen des Firmaments in die Berge, der Sonne in die Wiesen, des Windes in die
Bäume, und daß nicht ein schneller, elastischer Gedanke sich ans dem Herzen er¬
hebt, um zu diesen Sternen zu steigen, und von diesen Sternen zu Gott! Ein
Etwas trennt sich von mir, um sich mit dem All zu vermischen, ein Seufzer führt
mich zu Allem zurück, was ich gekannt, geliebt, verloren habe, in diesem Hanse
und anderswo; eine starke Hoffnung führt mich in den Schooß Gottes, wo Alles
sich wiederfindet; Melancholie und Enthusiasmus mischen sich zu einzelne» Wor¬
ten, in welche ich laut aufbreche, ohne Furcht, daß Jemand anders sie vernehmen
werde, als der Wind, der sie zu Gott trägt. — Es wird kalt, ich schließe mein
Fenster und kehre in den Thurm zurück, wo das Kaminfeuer prasselt und mein
Hund mich anwedelt. — Was soll ich nun während dieser drei stummen Stunden
thun, welche dem Erwachen des Tages vorangehen? Alles schläft u. f. w.
u. s. w. Man ist ruhig und vertrauensvoll, denn der Tag gehört den Menschen,
die Nacht nur Gott. Ich genieße einen Augenblick die Wollust dieser vollkommenen
Sicherheit. Ich mache einige Schritte nach allen Seiten hin, ich betrachte ein
oder zwei Porträts, die an der Wand hängen, Bilder, die um tausendmal besser
in meinem Herzen ausgeprägt sind, ich rede zu ihnen, ich rede zu meinem Hunde,
der mit einem intelligenten und unruhige» Auge allen Bewegungen meines Geistes
und meines Körpers folgt. Zuweilen falle ich auf die Kniee vor einem dieser
theuern Andenken; noch häufiger gehe ich aus und ab , indem ich meine Seele
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