Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.wahrt hat, als man Austria mit der Dynastie identificirt, ein östreichisches Volk Ganz Oestreich ist tabul-r i-as-r, der alten Provinzialstände hat man sich ent¬ Alles was die Revolution niedergeworfen, weil es der Volkesungunst ver¬ Aber das Alles ist nothwendig für den Bestand des Kaiserstaates? -- Hört Von den Zeitungen und Zeitschriften, welche noch unter Stadion's Verwaltung zu
Anfang des vorigen Jahres im Kaiserstaat erschienen, sind seitdem 76 verstorben die meisten , Anm. d. Red. eines gewaltsamen Todes. wahrt hat, als man Austria mit der Dynastie identificirt, ein östreichisches Volk Ganz Oestreich ist tabul-r i-as-r, der alten Provinzialstände hat man sich ent¬ Alles was die Revolution niedergeworfen, weil es der Volkesungunst ver¬ Aber das Alles ist nothwendig für den Bestand des Kaiserstaates? — Hört Von den Zeitungen und Zeitschriften, welche noch unter Stadion's Verwaltung zu
Anfang des vorigen Jahres im Kaiserstaat erschienen, sind seitdem 76 verstorben die meisten , Anm. d. Red. eines gewaltsamen Todes. <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0474" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93297"/> <p xml:id="ID_1636" prev="#ID_1635"> wahrt hat, als man Austria mit der Dynastie identificirt, ein östreichisches Volk<lb/> aber vollkommen verleugnen will. Betrachten wir das bisherige Resultat, all die<lb/> Wirren, welche Oestreich seit zwei Jahren erschütterten, so ergibt es sich, daß dieses<lb/> Oestreich wie eine willenlose durch Ströme Blutes zu Brei erweichte Thonmasse<lb/> heut zu den Füßen dieser Dynastie liegt, und gestampft, geknetet, und in beliebige<lb/> Formen gedrückt zu werden, von den Händen der heutigen Modelleurs. — Leider sind<lb/> es aber nur Th ong-ehnte, die man formt, wie bald der scharfe Luftstrich sie<lb/> zerbröckelt, wird die Zeit uns lehren.</p><lb/> <p xml:id="ID_1637"> Ganz Oestreich ist tabul-r i-as-r, der alten Provinzialstände hat man sich ent¬<lb/> ledigt und setzt willenlose wie machtlose Landtage ein, mit welchen man umsprin¬<lb/> gen wird, wie mit dem Gemeinderath eines Landstädtchens; die alte starre Verfassung<lb/> Ungarns ist man los, eine Verfassung, welche ungenügend in ihren Prinzipien,<lb/> dennoch bedeutende Zähigkeit und Bildungsfähigkeit in sich getragen. In Un¬<lb/> garn wie anderwärts nivellirt man die Zustände,, und betrachtet die Völker<lb/> nur als todte Ziffern, die man beliebig gruppirt.</p><lb/> <p xml:id="ID_1638"> Alles was die Revolution niedergeworfen, weil es der Volkesungunst ver¬<lb/> fallen war, läßt man wohlbedächtig begraben sein im Schütte der Revolution,<lb/> man ist klug, man restaurirt nicht zum Vortheil gewisser Klasse», man baut ganz<lb/> neu ein großes Hans sür die Völker Oestreichs, es sieht ans wie ein Gebäude<lb/> nach dem Zellensystem. Die Landtage sind die Zellen für die Einzelvölker.</p><lb/> <p xml:id="ID_1639" next="#ID_1640"> Aber das Alles ist nothwendig für den Bestand des Kaiserstaates? — Hört<lb/> weiter, noch ist die Klage nicht am Ende. Während man baut, erklärt man<lb/> alles gebaute zwar für nnr provisorisch, doch fügt man das Gebälk mit Ei¬<lb/> senklammern zusammen und baut dieses Provisorium in einer Weise, die es einem<lb/> künftigen Reichstage unmöglich machen muß, den Bau im Wesentlichen zu ändern,<lb/> ohne Oestreich noch einmal einzureißen. Acht Menschen, die man das Ministerium<lb/> nennt, maßen sich an, den Völkern Oestreichs, denen man gleiche Theilnahme an<lb/> der Gesetzgebung zugewiesen, das Gesetz in allen Dingen vorerst zu diktiren, und<lb/> später haben sie das absolute Veto, mit welchem sie jeden Aenderungswunsch ver¬<lb/> nichten können. Die Baupläne zu den Gefängnißhäusern sind fertig, das Gesetz^<lb/> das nur fügsame willenlose Geschworne ernennt, liegt vor, das Gens'darmennctz wird<lb/> über das Land ausgebreitet, die Armee wird gehätschelt bis zum Ekel, die Steu¬<lb/> ern werden zu fabelhafter Höhe willkürlich gespannt, die Presse läßt man uuter<lb/> der Willkürherrschaft der Generale an der Schwindsucht sterben*), ist man mit<lb/> der Gesetzgebung fertig, so entledigt man sich dann durch einen kühnen Handstreich<lb/> der ohnehin verfehlten Reichsverfassung und regiert, unterstützt von Terrorismus</p><lb/> <note xml:id="FID_42" place="foot"> Von den Zeitungen und Zeitschriften, welche noch unter Stadion's Verwaltung zu<lb/> Anfang des vorigen Jahres im Kaiserstaat erschienen, sind seitdem 76 verstorben die meisten<lb/><note type="byline"> ,<lb/> Anm. d. Red.</note> eines gewaltsamen Todes. </note><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0474]
wahrt hat, als man Austria mit der Dynastie identificirt, ein östreichisches Volk
aber vollkommen verleugnen will. Betrachten wir das bisherige Resultat, all die
Wirren, welche Oestreich seit zwei Jahren erschütterten, so ergibt es sich, daß dieses
Oestreich wie eine willenlose durch Ströme Blutes zu Brei erweichte Thonmasse
heut zu den Füßen dieser Dynastie liegt, und gestampft, geknetet, und in beliebige
Formen gedrückt zu werden, von den Händen der heutigen Modelleurs. — Leider sind
es aber nur Th ong-ehnte, die man formt, wie bald der scharfe Luftstrich sie
zerbröckelt, wird die Zeit uns lehren.
Ganz Oestreich ist tabul-r i-as-r, der alten Provinzialstände hat man sich ent¬
ledigt und setzt willenlose wie machtlose Landtage ein, mit welchen man umsprin¬
gen wird, wie mit dem Gemeinderath eines Landstädtchens; die alte starre Verfassung
Ungarns ist man los, eine Verfassung, welche ungenügend in ihren Prinzipien,
dennoch bedeutende Zähigkeit und Bildungsfähigkeit in sich getragen. In Un¬
garn wie anderwärts nivellirt man die Zustände,, und betrachtet die Völker
nur als todte Ziffern, die man beliebig gruppirt.
Alles was die Revolution niedergeworfen, weil es der Volkesungunst ver¬
fallen war, läßt man wohlbedächtig begraben sein im Schütte der Revolution,
man ist klug, man restaurirt nicht zum Vortheil gewisser Klasse», man baut ganz
neu ein großes Hans sür die Völker Oestreichs, es sieht ans wie ein Gebäude
nach dem Zellensystem. Die Landtage sind die Zellen für die Einzelvölker.
Aber das Alles ist nothwendig für den Bestand des Kaiserstaates? — Hört
weiter, noch ist die Klage nicht am Ende. Während man baut, erklärt man
alles gebaute zwar für nnr provisorisch, doch fügt man das Gebälk mit Ei¬
senklammern zusammen und baut dieses Provisorium in einer Weise, die es einem
künftigen Reichstage unmöglich machen muß, den Bau im Wesentlichen zu ändern,
ohne Oestreich noch einmal einzureißen. Acht Menschen, die man das Ministerium
nennt, maßen sich an, den Völkern Oestreichs, denen man gleiche Theilnahme an
der Gesetzgebung zugewiesen, das Gesetz in allen Dingen vorerst zu diktiren, und
später haben sie das absolute Veto, mit welchem sie jeden Aenderungswunsch ver¬
nichten können. Die Baupläne zu den Gefängnißhäusern sind fertig, das Gesetz^
das nur fügsame willenlose Geschworne ernennt, liegt vor, das Gens'darmennctz wird
über das Land ausgebreitet, die Armee wird gehätschelt bis zum Ekel, die Steu¬
ern werden zu fabelhafter Höhe willkürlich gespannt, die Presse läßt man uuter
der Willkürherrschaft der Generale an der Schwindsucht sterben*), ist man mit
der Gesetzgebung fertig, so entledigt man sich dann durch einen kühnen Handstreich
der ohnehin verfehlten Reichsverfassung und regiert, unterstützt von Terrorismus
Von den Zeitungen und Zeitschriften, welche noch unter Stadion's Verwaltung zu
Anfang des vorigen Jahres im Kaiserstaat erschienen, sind seitdem 76 verstorben die meisten
,
Anm. d. Red. eines gewaltsamen Todes.
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