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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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lizei hat sich immer die preußische Politik concentrirt; in der vormärzlichen Zeit
hatten die Rochow, Graf Armin, Bodelschwingh, in der nachmärzlichen die Auers-
wald, Kühlwetter, Eichmann einen größeren Antheil an dem Fortgang der Staats-
geschäfte, als ihre Kollegen von scheinbar höherem Nang,

Vor der Revolution hat sich Manteuffel als Beamter wie als Mitglied der
Märkischen Ritterschaft bekannt gemacht. -- Daß sich unsere Bureaukratie in alle
öffentlichen Geschäfte mehr als billig einmischt, ist allgemein bekannt, weniger die Art,
wie sie zu denselben vorbereitet wird. Sie recrutirt sich entweder aus Juristen
oder aus Kameralistcn, bei den letztern ist wenigstens die Fiction vorhanden,
daß sie sich ein Jahrlang mit der praktischen Landwirtschaft vertraut gemacht
haben. Sie werden dann in verschiedene" Zweigen der höhern Administration be¬
schäftigt, und müssen endlich in Berlin das große Examen machen, welches sich
von allen ähnlichen dadurch unterscheidet, daß man nicht nur eine bestimmte dech-^
mische Schule, einen bestimmten auf eine einzelne Branche sich beziehenden Um¬
fang von Kenntnissen nachzuweisen hat, sondern eine universelle Bildung, eine Ein¬
sicht in sämmtliche Dinge und noch einige andere. Man muß einen guten deut¬
scheu Aussatz machen, über einen Gegenstand von allgemein wissenschaftlicher Bedeutung;
einen historischen, oder politischen, oder auch ästhetischen. Außerdem juristische
und staatswirthschaftliche Probearbeiten. Dann wird man unter andern in der
Geschichte examinirt, man muß ein wenig in die Astronomie geblickt haben, in die
Literatur, die Philosophie, es wird einem auch wohl der Plato zum Exponiren
vorgelegt, und so fort. Jeder wohlbestellte Negiernngsassessor hat in seiner Prü¬
fung die Bürgschaft abgelegt, daß er auch als Münster über die verschiedenartig¬
sten Fragen mit Anstand wird zu sprechen wissen. -- Es darf daher nicht Wun¬
der nehmen, wenn noch eine gute Weile, wie anch das Wahlgesetz ausfallen
möge, die Beamten neben den großen Grundbesitzern, welche die nämliche Erzie¬
hung genossen haben, und einigen Kaufleuten der größern Städte, den Grund¬
stamm der Volksvertretung bilden werden, denn sie haben vorzugsweise die Ei¬
genschaft ausgebildet, die für einen Abgeordneten eine der wesentlichsten ist: Die
Leichtigkeit, sich in Fragen jeder möglichen Gattung zu orientire". Eben daraus '
erklärt sich aber auch, daß die preußische Volksvertretung noch lange zu thun
haben wird, ehe sie das leistet, was sie soll: die Repräsentativ" selbstständiger,
bestimmter Interessen. Denn jene büreaukratische Erziehung gibt freilich eine Reihe
vou Ansichten, aber nicht die Solidität, welche ohne einen ausschließenden, eige¬
nen, unabhängigen Lebenszweck nicht denkbar ist. -- Die unabhängigen Interessen
der bureaukratischen Bildung entgegenzusetzen, wie man es in den alten ständischen
Landtagen versuchte, konnte darum nichts fruchten, weil die überlegene Bildung
auch stets die berechtigte ist,

Die Aristokratie, welche in den Staatsdienst eintritt, ist darin günstiger ge¬
stellt. Sie hat in der Regel Grundbesitz, also ein selbständiges Interesse neben


lizei hat sich immer die preußische Politik concentrirt; in der vormärzlichen Zeit
hatten die Rochow, Graf Armin, Bodelschwingh, in der nachmärzlichen die Auers-
wald, Kühlwetter, Eichmann einen größeren Antheil an dem Fortgang der Staats-
geschäfte, als ihre Kollegen von scheinbar höherem Nang,

Vor der Revolution hat sich Manteuffel als Beamter wie als Mitglied der
Märkischen Ritterschaft bekannt gemacht. — Daß sich unsere Bureaukratie in alle
öffentlichen Geschäfte mehr als billig einmischt, ist allgemein bekannt, weniger die Art,
wie sie zu denselben vorbereitet wird. Sie recrutirt sich entweder aus Juristen
oder aus Kameralistcn, bei den letztern ist wenigstens die Fiction vorhanden,
daß sie sich ein Jahrlang mit der praktischen Landwirtschaft vertraut gemacht
haben. Sie werden dann in verschiedene» Zweigen der höhern Administration be¬
schäftigt, und müssen endlich in Berlin das große Examen machen, welches sich
von allen ähnlichen dadurch unterscheidet, daß man nicht nur eine bestimmte dech-^
mische Schule, einen bestimmten auf eine einzelne Branche sich beziehenden Um¬
fang von Kenntnissen nachzuweisen hat, sondern eine universelle Bildung, eine Ein¬
sicht in sämmtliche Dinge und noch einige andere. Man muß einen guten deut¬
scheu Aussatz machen, über einen Gegenstand von allgemein wissenschaftlicher Bedeutung;
einen historischen, oder politischen, oder auch ästhetischen. Außerdem juristische
und staatswirthschaftliche Probearbeiten. Dann wird man unter andern in der
Geschichte examinirt, man muß ein wenig in die Astronomie geblickt haben, in die
Literatur, die Philosophie, es wird einem auch wohl der Plato zum Exponiren
vorgelegt, und so fort. Jeder wohlbestellte Negiernngsassessor hat in seiner Prü¬
fung die Bürgschaft abgelegt, daß er auch als Münster über die verschiedenartig¬
sten Fragen mit Anstand wird zu sprechen wissen. — Es darf daher nicht Wun¬
der nehmen, wenn noch eine gute Weile, wie anch das Wahlgesetz ausfallen
möge, die Beamten neben den großen Grundbesitzern, welche die nämliche Erzie¬
hung genossen haben, und einigen Kaufleuten der größern Städte, den Grund¬
stamm der Volksvertretung bilden werden, denn sie haben vorzugsweise die Ei¬
genschaft ausgebildet, die für einen Abgeordneten eine der wesentlichsten ist: Die
Leichtigkeit, sich in Fragen jeder möglichen Gattung zu orientire». Eben daraus '
erklärt sich aber auch, daß die preußische Volksvertretung noch lange zu thun
haben wird, ehe sie das leistet, was sie soll: die Repräsentativ» selbstständiger,
bestimmter Interessen. Denn jene büreaukratische Erziehung gibt freilich eine Reihe
vou Ansichten, aber nicht die Solidität, welche ohne einen ausschließenden, eige¬
nen, unabhängigen Lebenszweck nicht denkbar ist. — Die unabhängigen Interessen
der bureaukratischen Bildung entgegenzusetzen, wie man es in den alten ständischen
Landtagen versuchte, konnte darum nichts fruchten, weil die überlegene Bildung
auch stets die berechtigte ist,

Die Aristokratie, welche in den Staatsdienst eintritt, ist darin günstiger ge¬
stellt. Sie hat in der Regel Grundbesitz, also ein selbständiges Interesse neben


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/462>, abgerufen am 24.07.2024.