Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.Kleine Bilder ans England. 1. Wie der Reisende verkannt wird. Noch immer gibt es wohlgeborene Leutchen unter uns, die sich eine über¬ Meine erste Erfahrung dieser Art machte ich in der Nähe von Cranbonrne Street Endlich gelang es mir, im Innern der vierrädrigen Arche meinen Sitz zu Kleine Bilder ans England. 1. Wie der Reisende verkannt wird. Noch immer gibt es wohlgeborene Leutchen unter uns, die sich eine über¬ Meine erste Erfahrung dieser Art machte ich in der Nähe von Cranbonrne Street Endlich gelang es mir, im Innern der vierrädrigen Arche meinen Sitz zu <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <div n="2"> <pb facs="#f0421" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93244"/> </div> </div> <div n="1"> <head> Kleine Bilder ans England.</head><lb/> <milestone rendition="#hr" unit="section"/><lb/> <div n="2"> <head> 1. Wie der Reisende verkannt wird.</head><lb/> <p xml:id="ID_1449"> Noch immer gibt es wohlgeborene Leutchen unter uns, die sich eine über¬<lb/> menschliche Ehre daraus machen, für Franzosen gehalten zu werden. Das schleift<lb/> von Jugend auf sein Zünglein, das plagt sich mit der hagern Genfer Bonne und<lb/> mit der dicken Grammaire des Grammaires und vergießt doch seinen edlen Schweiß<lb/> vergebens , denn in der Fremde darf's kaum den Mund aufthun, so ist's erkannt,<lb/> und dann schämt sich's, als wär's gar nicht ehrlicher Leute Kind. Diesen Un¬<lb/> glücklichen kann geholfen werden? Ich will ihnen den kürzesten und sichersten Weg<lb/> zeigen, anf welchem sie zu der schmeichelhaften Auszeichnung gelangen können,<lb/> nach der ihre Herzen schmachten. Folgen Sie mir, lieber Herr von Schnurrpfeifer,<lb/> lassen Sie Ihre Bonne sitzen, werfen Sie Ihre Grammaire hinter den Ofen, und<lb/> fahren Sie schnurstracks nach London. Gehen Sie dann in Ihren gewöhnlichen<lb/> Sonntagskleidern durch Holbvrn oder Leicester-Square spazieren, und geben Sie<lb/> Acht. Bald wird Ihnen John Bull durch die unzweideutigsten Huldigungen zu<lb/> erkennen geben, daß ör Sie für ein leibhaftiges Kind der Kiaucls n-rtioii hält.<lb/> Sie brauchen zu diesem Zweck kein Sterbenswörtlein zu sprechen, Sie haben nur<lb/> zu erscheinen, und Ihr Triumph ist fertig.</p><lb/> <p xml:id="ID_1450"> Meine erste Erfahrung dieser Art machte ich in der Nähe von Cranbonrne Street<lb/> in Leicester-Square. Ich wollte nach Finsbury und wartete an der Ecke auf<lb/> einen Omnibus. „Bank! Bank!" schrie der Couducteur hinten auf dem ersten<lb/> 'Buh, der vorüberrumpelte. Das war mein Manu. Wie er mir den Wagentritt<lb/> zur Hinterthür hinaufhilft, grus't er mich lustig an, — vermuthlich hatte er in aller<lb/> Früh mit dem nationalen Wachholdergeist ein Wörtchen zu viel gesprochen —<lb/> und fragt: ?irili ovo? ?r!u»c,i? N-rnsiAnonr eomurekenä? — 0 — z^om- blooc!^<lb/> e)'es, entgegnete ich; seht Ihr nicht, daß ich ein Deutscher bin? — Da machte<lb/> ich eine zweite Erfahrung. Der lustige Patron bat mich um tausendfachen Par¬<lb/> don und schüttelte mir die Rechte wie einen Pumpenschweugel, so daß ich bald<lb/> vom Tritt wieder in die Straße hinabgefallen wäre.</p><lb/> <p xml:id="ID_1451" next="#ID_1452"> Endlich gelang es mir, im Innern der vierrädrigen Arche meinen Sitz zu<lb/> finden. Beide Divans waren voll von Passagieren. Lauter gesetztes, ehrbares<lb/> Cockneyvolk mit Thurmuhren in den Westentaschen, schweren Goldketten über dem<lb/> Leib, von denen gewaltige Reichssiegel über den Bauch herunterbummelten, end¬<lb/> lich alle mit hohen Vatermördern, die, steifer als Kartenpapier, den Ohrläppchen<lb/> der guten Leute gefährlich wurden. Ich kam mir vor wie ein armer Sperling<lb/> in Gesellschaft buntgefiederter Papagaien. Eine Zeitlang musterte man mich von<lb/> oben bis unten, dann warfen sich meine Nachbarn einen wissenden Blick zu, und<lb/> dachten bei sich: Ein französischer Tanzmeister, Sprachlehrer oder sonst so'n</p><lb/> </div> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0421]
Kleine Bilder ans England.
1. Wie der Reisende verkannt wird.
Noch immer gibt es wohlgeborene Leutchen unter uns, die sich eine über¬
menschliche Ehre daraus machen, für Franzosen gehalten zu werden. Das schleift
von Jugend auf sein Zünglein, das plagt sich mit der hagern Genfer Bonne und
mit der dicken Grammaire des Grammaires und vergießt doch seinen edlen Schweiß
vergebens , denn in der Fremde darf's kaum den Mund aufthun, so ist's erkannt,
und dann schämt sich's, als wär's gar nicht ehrlicher Leute Kind. Diesen Un¬
glücklichen kann geholfen werden? Ich will ihnen den kürzesten und sichersten Weg
zeigen, anf welchem sie zu der schmeichelhaften Auszeichnung gelangen können,
nach der ihre Herzen schmachten. Folgen Sie mir, lieber Herr von Schnurrpfeifer,
lassen Sie Ihre Bonne sitzen, werfen Sie Ihre Grammaire hinter den Ofen, und
fahren Sie schnurstracks nach London. Gehen Sie dann in Ihren gewöhnlichen
Sonntagskleidern durch Holbvrn oder Leicester-Square spazieren, und geben Sie
Acht. Bald wird Ihnen John Bull durch die unzweideutigsten Huldigungen zu
erkennen geben, daß ör Sie für ein leibhaftiges Kind der Kiaucls n-rtioii hält.
Sie brauchen zu diesem Zweck kein Sterbenswörtlein zu sprechen, Sie haben nur
zu erscheinen, und Ihr Triumph ist fertig.
Meine erste Erfahrung dieser Art machte ich in der Nähe von Cranbonrne Street
in Leicester-Square. Ich wollte nach Finsbury und wartete an der Ecke auf
einen Omnibus. „Bank! Bank!" schrie der Couducteur hinten auf dem ersten
'Buh, der vorüberrumpelte. Das war mein Manu. Wie er mir den Wagentritt
zur Hinterthür hinaufhilft, grus't er mich lustig an, — vermuthlich hatte er in aller
Früh mit dem nationalen Wachholdergeist ein Wörtchen zu viel gesprochen —
und fragt: ?irili ovo? ?r!u»c,i? N-rnsiAnonr eomurekenä? — 0 — z^om- blooc!^
e)'es, entgegnete ich; seht Ihr nicht, daß ich ein Deutscher bin? — Da machte
ich eine zweite Erfahrung. Der lustige Patron bat mich um tausendfachen Par¬
don und schüttelte mir die Rechte wie einen Pumpenschweugel, so daß ich bald
vom Tritt wieder in die Straße hinabgefallen wäre.
Endlich gelang es mir, im Innern der vierrädrigen Arche meinen Sitz zu
finden. Beide Divans waren voll von Passagieren. Lauter gesetztes, ehrbares
Cockneyvolk mit Thurmuhren in den Westentaschen, schweren Goldketten über dem
Leib, von denen gewaltige Reichssiegel über den Bauch herunterbummelten, end¬
lich alle mit hohen Vatermördern, die, steifer als Kartenpapier, den Ohrläppchen
der guten Leute gefährlich wurden. Ich kam mir vor wie ein armer Sperling
in Gesellschaft buntgefiederter Papagaien. Eine Zeitlang musterte man mich von
oben bis unten, dann warfen sich meine Nachbarn einen wissenden Blick zu, und
dachten bei sich: Ein französischer Tanzmeister, Sprachlehrer oder sonst so'n
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