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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Um dieses Urtheil im Kurzen wiederzugeben: Macaulay weist nach, daß. die
Sittlichkeit, welche sich im Fürsten, in den Discorst, der florentinischen Geschichte
und den übrigen Schriften Macchiavelli's ausspricht, die in seinem Volke und sei¬
ner Zeit herrschende war; daß sie keineswegs Seelengröße und Edelmuth ausschloß;
und daß sie erst an unserer germanisch-protestantischen Bildung, die sich auf die
entgegengesetzten Tugenden stützt, als Widerspruch gegen das sittliche Wesen über¬
haupt empfunden wird.

Ich will beiläufig darauf aufmerksam machen, daß der Erste, welcher diese
Ansicht, freilich nicht mit der wissenschaftlichen Gründlichkeit unserer Bildung aus¬
sprach, ein Mann ist, von dem man es am wenigsten erwarten sollte, ein Theolog
und Mystiker, Valentin Adreae in seiner Menippischen Satyre (erstes Jcchrzehent
des 17. Jahrhunderts).

Macaulay hätte noch einen Punkt schärfer hervorheben können. Durch die
theoretische Gewissenhaftigkeit, mit welcher Macchiavelli die Maximen seiner Zeit
in ein System ordnete, hat er, freilich ohne es zu wollen, die Sittlichkeit gefor¬
dert, denn er hat der Welt jenen diamantnen Schild des Rinaldo vorgehalten,
der Selbsterkenntniß und Scham über das eigne Wesen gibt.

Nach diesen flüchtigen Bemerkungen gehen wir auf die Geschichte Englands
über. Soweit sie uns vorliegt, enthält sie zuerst eine historische Einleitung bis
zum Tode Karls II., dann eine Schilderung der englischen Zustände im Jahre
1685, endlich die Geschichte der folgenden drei Jahre bis zur Thronbesteigung
Wilhelms von Oranien.

Aus der Einleitung erfahren wir im Wesentliche" keine neuen Details, die
uns nicht schon aus Hume und Andern geläufig wären. Und doch macht diese
historische Skizze den Eindruck eines Neuen. Das kommt daher, daß Macaulay
die moralischen Eigenschaften, die neben wissenschaftlicher Bildung und künstleri¬
schem Talent ein Geschichtschreiber besitzen muß, wenn er ein wahrhaft dauerndes
Werk schaffen will, in höherem Grade als irgend ein früherer sich vindiciren darf:
unbedingte Liebe zur Wahrheit, unbestechliches Gefühl für Freiheit und Recht,
und eine in staatsmännischer Kenntniß begründete Liebe zum Vaterlande.

Die Sittenschilderung des Jahres 1685 dagegen enthält eine Fülle neuen
Stoffes. -- Ich muß dabei eine Seitenbemerkung machen. Ich bin früher der
Ansicht gewesen, daß ein Geschichtswerk, welches den Ruhm künstlerischer Vollen¬
dung in Anspruch nehmen will, diese culturhistorischen Notizen in den geistigen
Zusammenhang des Ganzen verarbeiten, sie immer nur da eintreten lassen muß,
wo sie gleichsam ein Moment der dramatischen Entwickelung wenden -- in der
Weise ungefähr, wie es Ranke bei uns gethan hat, wie es die Franzosen, freilich
mit einer viel weniger umfassenden Bildung, überall versuchen. Ich habe diese
Ansicht aufgegeben. Die künstlerische Form der Geschichtsschreibung soll nicht au¬
ßerhalb ihrer wissenschaftlichen Bestimmung liegen, sie soll vielmehr durch die


Um dieses Urtheil im Kurzen wiederzugeben: Macaulay weist nach, daß. die
Sittlichkeit, welche sich im Fürsten, in den Discorst, der florentinischen Geschichte
und den übrigen Schriften Macchiavelli's ausspricht, die in seinem Volke und sei¬
ner Zeit herrschende war; daß sie keineswegs Seelengröße und Edelmuth ausschloß;
und daß sie erst an unserer germanisch-protestantischen Bildung, die sich auf die
entgegengesetzten Tugenden stützt, als Widerspruch gegen das sittliche Wesen über¬
haupt empfunden wird.

Ich will beiläufig darauf aufmerksam machen, daß der Erste, welcher diese
Ansicht, freilich nicht mit der wissenschaftlichen Gründlichkeit unserer Bildung aus¬
sprach, ein Mann ist, von dem man es am wenigsten erwarten sollte, ein Theolog
und Mystiker, Valentin Adreae in seiner Menippischen Satyre (erstes Jcchrzehent
des 17. Jahrhunderts).

Macaulay hätte noch einen Punkt schärfer hervorheben können. Durch die
theoretische Gewissenhaftigkeit, mit welcher Macchiavelli die Maximen seiner Zeit
in ein System ordnete, hat er, freilich ohne es zu wollen, die Sittlichkeit gefor¬
dert, denn er hat der Welt jenen diamantnen Schild des Rinaldo vorgehalten,
der Selbsterkenntniß und Scham über das eigne Wesen gibt.

Nach diesen flüchtigen Bemerkungen gehen wir auf die Geschichte Englands
über. Soweit sie uns vorliegt, enthält sie zuerst eine historische Einleitung bis
zum Tode Karls II., dann eine Schilderung der englischen Zustände im Jahre
1685, endlich die Geschichte der folgenden drei Jahre bis zur Thronbesteigung
Wilhelms von Oranien.

Aus der Einleitung erfahren wir im Wesentliche» keine neuen Details, die
uns nicht schon aus Hume und Andern geläufig wären. Und doch macht diese
historische Skizze den Eindruck eines Neuen. Das kommt daher, daß Macaulay
die moralischen Eigenschaften, die neben wissenschaftlicher Bildung und künstleri¬
schem Talent ein Geschichtschreiber besitzen muß, wenn er ein wahrhaft dauerndes
Werk schaffen will, in höherem Grade als irgend ein früherer sich vindiciren darf:
unbedingte Liebe zur Wahrheit, unbestechliches Gefühl für Freiheit und Recht,
und eine in staatsmännischer Kenntniß begründete Liebe zum Vaterlande.

Die Sittenschilderung des Jahres 1685 dagegen enthält eine Fülle neuen
Stoffes. — Ich muß dabei eine Seitenbemerkung machen. Ich bin früher der
Ansicht gewesen, daß ein Geschichtswerk, welches den Ruhm künstlerischer Vollen¬
dung in Anspruch nehmen will, diese culturhistorischen Notizen in den geistigen
Zusammenhang des Ganzen verarbeiten, sie immer nur da eintreten lassen muß,
wo sie gleichsam ein Moment der dramatischen Entwickelung wenden — in der
Weise ungefähr, wie es Ranke bei uns gethan hat, wie es die Franzosen, freilich
mit einer viel weniger umfassenden Bildung, überall versuchen. Ich habe diese
Ansicht aufgegeben. Die künstlerische Form der Geschichtsschreibung soll nicht au¬
ßerhalb ihrer wissenschaftlichen Bestimmung liegen, sie soll vielmehr durch die


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[0397] Um dieses Urtheil im Kurzen wiederzugeben: Macaulay weist nach, daß. die Sittlichkeit, welche sich im Fürsten, in den Discorst, der florentinischen Geschichte und den übrigen Schriften Macchiavelli's ausspricht, die in seinem Volke und sei¬ ner Zeit herrschende war; daß sie keineswegs Seelengröße und Edelmuth ausschloß; und daß sie erst an unserer germanisch-protestantischen Bildung, die sich auf die entgegengesetzten Tugenden stützt, als Widerspruch gegen das sittliche Wesen über¬ haupt empfunden wird. Ich will beiläufig darauf aufmerksam machen, daß der Erste, welcher diese Ansicht, freilich nicht mit der wissenschaftlichen Gründlichkeit unserer Bildung aus¬ sprach, ein Mann ist, von dem man es am wenigsten erwarten sollte, ein Theolog und Mystiker, Valentin Adreae in seiner Menippischen Satyre (erstes Jcchrzehent des 17. Jahrhunderts). Macaulay hätte noch einen Punkt schärfer hervorheben können. Durch die theoretische Gewissenhaftigkeit, mit welcher Macchiavelli die Maximen seiner Zeit in ein System ordnete, hat er, freilich ohne es zu wollen, die Sittlichkeit gefor¬ dert, denn er hat der Welt jenen diamantnen Schild des Rinaldo vorgehalten, der Selbsterkenntniß und Scham über das eigne Wesen gibt. Nach diesen flüchtigen Bemerkungen gehen wir auf die Geschichte Englands über. Soweit sie uns vorliegt, enthält sie zuerst eine historische Einleitung bis zum Tode Karls II., dann eine Schilderung der englischen Zustände im Jahre 1685, endlich die Geschichte der folgenden drei Jahre bis zur Thronbesteigung Wilhelms von Oranien. Aus der Einleitung erfahren wir im Wesentliche» keine neuen Details, die uns nicht schon aus Hume und Andern geläufig wären. Und doch macht diese historische Skizze den Eindruck eines Neuen. Das kommt daher, daß Macaulay die moralischen Eigenschaften, die neben wissenschaftlicher Bildung und künstleri¬ schem Talent ein Geschichtschreiber besitzen muß, wenn er ein wahrhaft dauerndes Werk schaffen will, in höherem Grade als irgend ein früherer sich vindiciren darf: unbedingte Liebe zur Wahrheit, unbestechliches Gefühl für Freiheit und Recht, und eine in staatsmännischer Kenntniß begründete Liebe zum Vaterlande. Die Sittenschilderung des Jahres 1685 dagegen enthält eine Fülle neuen Stoffes. — Ich muß dabei eine Seitenbemerkung machen. Ich bin früher der Ansicht gewesen, daß ein Geschichtswerk, welches den Ruhm künstlerischer Vollen¬ dung in Anspruch nehmen will, diese culturhistorischen Notizen in den geistigen Zusammenhang des Ganzen verarbeiten, sie immer nur da eintreten lassen muß, wo sie gleichsam ein Moment der dramatischen Entwickelung wenden — in der Weise ungefähr, wie es Ranke bei uns gethan hat, wie es die Franzosen, freilich mit einer viel weniger umfassenden Bildung, überall versuchen. Ich habe diese Ansicht aufgegeben. Die künstlerische Form der Geschichtsschreibung soll nicht au¬ ßerhalb ihrer wissenschaftlichen Bestimmung liegen, sie soll vielmehr durch die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/397>, abgerufen am 24.07.2024.