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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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der einseitigen mathematischen Bildung müde, und hier erfuhr man nun, daß diese
Bildung wirklich etwas sehr Ungenügendes sei; man wußte von der geistigen
Freiheit der Revolution keinen Gebrauch zu machen, und ließ sich daher gerne be¬
lehren, daß diese Freiheit in der That etwas Unzweckmäßiges sei. Das Werk
strengte das Denken nicht an, und war eben so unterhaltend als pikant, Grund
genug, um es in die Mode zu bringen und seinem Verfasser einen großen Ruf zu
verschaffen, welcher bei der in diesem Punkt den Franzosen eignen Pietät auch daun
noch fortdauerte, als mau aufhörte, das Werk zu lesen.

Gleichzeitig hatte sich Chateaubriand als Dichter eiuen Namen gemacht. Wir
kommen auf Atala, Rvnv, die Natchez.

Das kleine Büchlein Atala, welches von der Liebe zweier Wilden handelt,
hat in ganz kurzer Zeit in Frankreich 11 Auflagen erlebt, ist in sämmtliche Spra¬
chen übersetzt -- als Chateaubnaud in Egypten war, begrüßte ihn ein türkischer
Pascha mit Reminiscenzen aus Atala -- der Dichter hat sprachlich so lange daran
gefeilt, daß er es zuletzt für vollkommen erklärt hat, das einzige seiner Werke,
von welchem er mit solcher Zuversicht redet; und auf Schnupstabacksdosen, Kupfern
für elegante Kinder u. s. w. sind Scenen ans der Atala ebenso verbreitet, als
die aus ?"ni et VirKinio oder aus Wilhelm Teil. -- Die unmittelbaren Beob¬
achtungen auf seiner Reise durch Nordamerika haben ihn in seiner Darstellung
wenig gefördert; die frühern Touristen haben uus ein viel deutlicheres Bild von
der Natur der Indianer gegeben, und Chateaubriand in seiner Reisebeschreibung
hat selber viel mehr originelle, naive und poetische Anschauungen; ich will mich
gar nicht ans Cooper beziehen, in dem jede einzelne Redensart, jeder kleine Zug
tausendmal charakteristischer ist, als die ganze Atala, wo die Wilden so aussehn,
wie elegante, gepuderte Masken im Wildenputz. Ihre Sprache, ihre Empfindung,
ihr Denken ist so geziert, so sentimental, so schwülstig, daß ein wirklicher Wilder
keinen einzigen Satz daraus verstehen würde, Ich führe nur ein Beispiel an;
der eine Wilde weint und sagt zu sich selber: ora^o <in coeur, est-.co une Aoutte
<1o votre pluie? -- Es sind vielmehr frühere Schriften, die den Dichter inspirirt
haben, namentlich Ossian, die I5tu"1"8 ac nltture von Lemm-nur av 8t. I^ierre,
und die Köveiies lin >iiomeneur solitaire. Chateaubriand selber behauptet, auch
der Werther habe eiuen großen Einfluß auf ihn gehabt; ich wüßte aber uicht
worin, denn so krankhaft die Leidenschaft im Werther erscheint, so ist doch Alles
Natur; in der Atala ist davon keine Rede. Dagegen könnte das ganze Gedicht
ohne weitere Störung in dem sogenannten Ossian stehen, mit dessen gespreizter,
hohler Phraseologie es wetteifert. Der Grund des Erfolges, dessen sich Mac-
pherson wie Chateaubriand erfreuten, lag zum großen Theil in dem Reiz der
Neuheit, den die sogenannte poetische Prosa für die Franzosen hatte. Früher
hatte mau in der Prosa keinen andern Stil gekannt als den mathematisch bestimm¬
ten, mit etwas Esprit und Witz gewürzt; im Alexandriner das feierliche Pathos


der einseitigen mathematischen Bildung müde, und hier erfuhr man nun, daß diese
Bildung wirklich etwas sehr Ungenügendes sei; man wußte von der geistigen
Freiheit der Revolution keinen Gebrauch zu machen, und ließ sich daher gerne be¬
lehren, daß diese Freiheit in der That etwas Unzweckmäßiges sei. Das Werk
strengte das Denken nicht an, und war eben so unterhaltend als pikant, Grund
genug, um es in die Mode zu bringen und seinem Verfasser einen großen Ruf zu
verschaffen, welcher bei der in diesem Punkt den Franzosen eignen Pietät auch daun
noch fortdauerte, als mau aufhörte, das Werk zu lesen.

Gleichzeitig hatte sich Chateaubriand als Dichter eiuen Namen gemacht. Wir
kommen auf Atala, Rvnv, die Natchez.

Das kleine Büchlein Atala, welches von der Liebe zweier Wilden handelt,
hat in ganz kurzer Zeit in Frankreich 11 Auflagen erlebt, ist in sämmtliche Spra¬
chen übersetzt — als Chateaubnaud in Egypten war, begrüßte ihn ein türkischer
Pascha mit Reminiscenzen aus Atala — der Dichter hat sprachlich so lange daran
gefeilt, daß er es zuletzt für vollkommen erklärt hat, das einzige seiner Werke,
von welchem er mit solcher Zuversicht redet; und auf Schnupstabacksdosen, Kupfern
für elegante Kinder u. s. w. sind Scenen ans der Atala ebenso verbreitet, als
die aus ?»ni et VirKinio oder aus Wilhelm Teil. — Die unmittelbaren Beob¬
achtungen auf seiner Reise durch Nordamerika haben ihn in seiner Darstellung
wenig gefördert; die frühern Touristen haben uus ein viel deutlicheres Bild von
der Natur der Indianer gegeben, und Chateaubriand in seiner Reisebeschreibung
hat selber viel mehr originelle, naive und poetische Anschauungen; ich will mich
gar nicht ans Cooper beziehen, in dem jede einzelne Redensart, jeder kleine Zug
tausendmal charakteristischer ist, als die ganze Atala, wo die Wilden so aussehn,
wie elegante, gepuderte Masken im Wildenputz. Ihre Sprache, ihre Empfindung,
ihr Denken ist so geziert, so sentimental, so schwülstig, daß ein wirklicher Wilder
keinen einzigen Satz daraus verstehen würde, Ich führe nur ein Beispiel an;
der eine Wilde weint und sagt zu sich selber: ora^o <in coeur, est-.co une Aoutte
<1o votre pluie? — Es sind vielmehr frühere Schriften, die den Dichter inspirirt
haben, namentlich Ossian, die I5tu«1«8 ac nltture von Lemm-nur av 8t. I^ierre,
und die Köveiies lin >iiomeneur solitaire. Chateaubriand selber behauptet, auch
der Werther habe eiuen großen Einfluß auf ihn gehabt; ich wüßte aber uicht
worin, denn so krankhaft die Leidenschaft im Werther erscheint, so ist doch Alles
Natur; in der Atala ist davon keine Rede. Dagegen könnte das ganze Gedicht
ohne weitere Störung in dem sogenannten Ossian stehen, mit dessen gespreizter,
hohler Phraseologie es wetteifert. Der Grund des Erfolges, dessen sich Mac-
pherson wie Chateaubriand erfreuten, lag zum großen Theil in dem Reiz der
Neuheit, den die sogenannte poetische Prosa für die Franzosen hatte. Früher
hatte mau in der Prosa keinen andern Stil gekannt als den mathematisch bestimm¬
ten, mit etwas Esprit und Witz gewürzt; im Alexandriner das feierliche Pathos


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[0382] der einseitigen mathematischen Bildung müde, und hier erfuhr man nun, daß diese Bildung wirklich etwas sehr Ungenügendes sei; man wußte von der geistigen Freiheit der Revolution keinen Gebrauch zu machen, und ließ sich daher gerne be¬ lehren, daß diese Freiheit in der That etwas Unzweckmäßiges sei. Das Werk strengte das Denken nicht an, und war eben so unterhaltend als pikant, Grund genug, um es in die Mode zu bringen und seinem Verfasser einen großen Ruf zu verschaffen, welcher bei der in diesem Punkt den Franzosen eignen Pietät auch daun noch fortdauerte, als mau aufhörte, das Werk zu lesen. Gleichzeitig hatte sich Chateaubriand als Dichter eiuen Namen gemacht. Wir kommen auf Atala, Rvnv, die Natchez. Das kleine Büchlein Atala, welches von der Liebe zweier Wilden handelt, hat in ganz kurzer Zeit in Frankreich 11 Auflagen erlebt, ist in sämmtliche Spra¬ chen übersetzt — als Chateaubnaud in Egypten war, begrüßte ihn ein türkischer Pascha mit Reminiscenzen aus Atala — der Dichter hat sprachlich so lange daran gefeilt, daß er es zuletzt für vollkommen erklärt hat, das einzige seiner Werke, von welchem er mit solcher Zuversicht redet; und auf Schnupstabacksdosen, Kupfern für elegante Kinder u. s. w. sind Scenen ans der Atala ebenso verbreitet, als die aus ?»ni et VirKinio oder aus Wilhelm Teil. — Die unmittelbaren Beob¬ achtungen auf seiner Reise durch Nordamerika haben ihn in seiner Darstellung wenig gefördert; die frühern Touristen haben uus ein viel deutlicheres Bild von der Natur der Indianer gegeben, und Chateaubriand in seiner Reisebeschreibung hat selber viel mehr originelle, naive und poetische Anschauungen; ich will mich gar nicht ans Cooper beziehen, in dem jede einzelne Redensart, jeder kleine Zug tausendmal charakteristischer ist, als die ganze Atala, wo die Wilden so aussehn, wie elegante, gepuderte Masken im Wildenputz. Ihre Sprache, ihre Empfindung, ihr Denken ist so geziert, so sentimental, so schwülstig, daß ein wirklicher Wilder keinen einzigen Satz daraus verstehen würde, Ich führe nur ein Beispiel an; der eine Wilde weint und sagt zu sich selber: ora^o <in coeur, est-.co une Aoutte <1o votre pluie? — Es sind vielmehr frühere Schriften, die den Dichter inspirirt haben, namentlich Ossian, die I5tu«1«8 ac nltture von Lemm-nur av 8t. I^ierre, und die Köveiies lin >iiomeneur solitaire. Chateaubriand selber behauptet, auch der Werther habe eiuen großen Einfluß auf ihn gehabt; ich wüßte aber uicht worin, denn so krankhaft die Leidenschaft im Werther erscheint, so ist doch Alles Natur; in der Atala ist davon keine Rede. Dagegen könnte das ganze Gedicht ohne weitere Störung in dem sogenannten Ossian stehen, mit dessen gespreizter, hohler Phraseologie es wetteifert. Der Grund des Erfolges, dessen sich Mac- pherson wie Chateaubriand erfreuten, lag zum großen Theil in dem Reiz der Neuheit, den die sogenannte poetische Prosa für die Franzosen hatte. Früher hatte mau in der Prosa keinen andern Stil gekannt als den mathematisch bestimm¬ ten, mit etwas Esprit und Witz gewürzt; im Alexandriner das feierliche Pathos

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/382>, abgerufen am 24.07.2024.