Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Graf Thun unangefochten über die Barrikaden nach dem Regierungsgebäude der
Kleinseite, dessen Treppe dicht besetzt war von bewaffneten Proletariern. Es war
ein wilder, an die Pariser Nevolutionsscenen mahnender Anblick. Die Bursche aus
dem Volke waren mit Eisenstangen bewaffnet, welche sie mit weißrothen Bändchen
verziert hatten, die Montur ließ viel, die Fußbekleidung alles zu wünschen übrig.
Vor der Heimkehr hatte Thun mit dem Fürsten und den Stadträthen gesprochen,
und eine friedliche Ausgleichung angebahnt, welche jedoch Fürst Windischgrätz, von
seinen ihn beherrschenden Offizieren genöthigt, selber vereitelte. Die Nacht über
von nur 11 Nationalgarten zum Schutz gegen Volksangriff umgeben, verließ
Graf Thun heimlich sein Regierungsgebäude, und vereinigte sich mit dem Fürsten
Windischgrätz aus dem Hradschin, und dort ging Thun's guter Stern nnter, dort
war er verloren für das Volk, für die guteSach e, für alle Zukunft vielleicht.

Auf dem Hradschin entwickelte Fürst Windischgrätz entsetzlichen Muth mit Kano¬
nen und Mörsern. In der That, jeder Tambour erobert Prag, besitzt er den
Hradschin. Seit Thun's Gefangennehmung hatte der Fürst ganz eigenmächtig die
Zügel der Regierung in die Hand genommen, deren Plumpheit sich in Budapest!)
so glänzend bewährte. Thun selbst war dem Militär als Slavophil verdächtig und
in den engen Rahmen der Soldatenpolitik paßte die Idee, Thun habe eine pro¬
visorische revolutionäre Regierung einführen wollen, vortrefflich; sie hatten von
provisorischen Regierungen anderwärts gelesen, sür sie war provisorisch und
republikanisch gleichbedeutend. Schon hatte die Sage von einer tief verzweig¬
ten Verschwörung, vom beabsichtigten Mord aller Deutschen und anderem Unsinn
Wurzel gefaßt in den racheschnaubenden Soldatengemüthern, Graf Thun war
ohnmächtig, ohne Einfluß. Ihn sprechen wir frei von aller Schuld an den
Greueln, die nachfolgten, aber ihn trifft der Vorwurf, daß er überhaupt sich
herabwürdigte, unter Fürst Windischgrätz zu fungiren, daß er dieses rauhen Ka-
sernenmaunes Edicte und Plakate unterschrieb, und sich ohne Noth zum Complicen
machen ließ; ihm machen wir es zum Vorwurfe, daß er an Böhmens Volk ver¬
zweifelte , das er seit Jahren kannte oder kennen sollte, daß er sich von den Sol¬
daten bethören, und all die Gewaltthat vor seinen Augen begehen ließ, daß er
noch heute nicht zur besseren Ansicht gelangt ist und nicht natürlich findet, daß
sich der nationale Drang nach Anerkennung, seit dem Februar 1848 unmöglich
auf die slavische Fibel und Grammatik beschränken konnte, daß der Erregung der
Zeit eben vom Regierenden Rechnung zu tragen war, daß die Zeit alles heilt,
regelt und ausgleicht. Nirgend wurde wohl ein Straßenkampf muthwilliger her¬
vorgerufen , nirgend wurde des Kampfes friedliche Beilegung absichtlicher und bru¬
taler hintertrieben, als damals in Prag durch den Fürsten Windischgrätz und seine
Helfershelfer, die eben heute dem Helden von Kapolna einen Silberlorbeerkranz
ganz im Geheimen verehren wollen, um einem ans die Brüche gekommenen Genossen
aufzuhelfen, der den Kranz verfertigte. Wir müssen bekennen, oben auf dem vini-


Graf Thun unangefochten über die Barrikaden nach dem Regierungsgebäude der
Kleinseite, dessen Treppe dicht besetzt war von bewaffneten Proletariern. Es war
ein wilder, an die Pariser Nevolutionsscenen mahnender Anblick. Die Bursche aus
dem Volke waren mit Eisenstangen bewaffnet, welche sie mit weißrothen Bändchen
verziert hatten, die Montur ließ viel, die Fußbekleidung alles zu wünschen übrig.
Vor der Heimkehr hatte Thun mit dem Fürsten und den Stadträthen gesprochen,
und eine friedliche Ausgleichung angebahnt, welche jedoch Fürst Windischgrätz, von
seinen ihn beherrschenden Offizieren genöthigt, selber vereitelte. Die Nacht über
von nur 11 Nationalgarten zum Schutz gegen Volksangriff umgeben, verließ
Graf Thun heimlich sein Regierungsgebäude, und vereinigte sich mit dem Fürsten
Windischgrätz aus dem Hradschin, und dort ging Thun's guter Stern nnter, dort
war er verloren für das Volk, für die guteSach e, für alle Zukunft vielleicht.

Auf dem Hradschin entwickelte Fürst Windischgrätz entsetzlichen Muth mit Kano¬
nen und Mörsern. In der That, jeder Tambour erobert Prag, besitzt er den
Hradschin. Seit Thun's Gefangennehmung hatte der Fürst ganz eigenmächtig die
Zügel der Regierung in die Hand genommen, deren Plumpheit sich in Budapest!)
so glänzend bewährte. Thun selbst war dem Militär als Slavophil verdächtig und
in den engen Rahmen der Soldatenpolitik paßte die Idee, Thun habe eine pro¬
visorische revolutionäre Regierung einführen wollen, vortrefflich; sie hatten von
provisorischen Regierungen anderwärts gelesen, sür sie war provisorisch und
republikanisch gleichbedeutend. Schon hatte die Sage von einer tief verzweig¬
ten Verschwörung, vom beabsichtigten Mord aller Deutschen und anderem Unsinn
Wurzel gefaßt in den racheschnaubenden Soldatengemüthern, Graf Thun war
ohnmächtig, ohne Einfluß. Ihn sprechen wir frei von aller Schuld an den
Greueln, die nachfolgten, aber ihn trifft der Vorwurf, daß er überhaupt sich
herabwürdigte, unter Fürst Windischgrätz zu fungiren, daß er dieses rauhen Ka-
sernenmaunes Edicte und Plakate unterschrieb, und sich ohne Noth zum Complicen
machen ließ; ihm machen wir es zum Vorwurfe, daß er an Böhmens Volk ver¬
zweifelte , das er seit Jahren kannte oder kennen sollte, daß er sich von den Sol¬
daten bethören, und all die Gewaltthat vor seinen Augen begehen ließ, daß er
noch heute nicht zur besseren Ansicht gelangt ist und nicht natürlich findet, daß
sich der nationale Drang nach Anerkennung, seit dem Februar 1848 unmöglich
auf die slavische Fibel und Grammatik beschränken konnte, daß der Erregung der
Zeit eben vom Regierenden Rechnung zu tragen war, daß die Zeit alles heilt,
regelt und ausgleicht. Nirgend wurde wohl ein Straßenkampf muthwilliger her¬
vorgerufen , nirgend wurde des Kampfes friedliche Beilegung absichtlicher und bru¬
taler hintertrieben, als damals in Prag durch den Fürsten Windischgrätz und seine
Helfershelfer, die eben heute dem Helden von Kapolna einen Silberlorbeerkranz
ganz im Geheimen verehren wollen, um einem ans die Brüche gekommenen Genossen
aufzuhelfen, der den Kranz verfertigte. Wir müssen bekennen, oben auf dem vini-


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0038" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/92861"/>
          <p xml:id="ID_93" prev="#ID_92"> Graf Thun unangefochten über die Barrikaden nach dem Regierungsgebäude der<lb/>
Kleinseite, dessen Treppe dicht besetzt war von bewaffneten Proletariern. Es war<lb/>
ein wilder, an die Pariser Nevolutionsscenen mahnender Anblick. Die Bursche aus<lb/>
dem Volke waren mit Eisenstangen bewaffnet, welche sie mit weißrothen Bändchen<lb/>
verziert hatten, die Montur ließ viel, die Fußbekleidung alles zu wünschen übrig.<lb/>
Vor der Heimkehr hatte Thun mit dem Fürsten und den Stadträthen gesprochen,<lb/>
und eine friedliche Ausgleichung angebahnt, welche jedoch Fürst Windischgrätz, von<lb/>
seinen ihn beherrschenden Offizieren genöthigt, selber vereitelte. Die Nacht über<lb/>
von nur 11 Nationalgarten zum Schutz gegen Volksangriff umgeben, verließ<lb/>
Graf Thun heimlich sein Regierungsgebäude, und vereinigte sich mit dem Fürsten<lb/>
Windischgrätz aus dem Hradschin, und dort ging Thun's guter Stern nnter, dort<lb/>
war er verloren für das Volk, für die guteSach e, für alle Zukunft vielleicht.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_94" next="#ID_95"> Auf dem Hradschin entwickelte Fürst Windischgrätz entsetzlichen Muth mit Kano¬<lb/>
nen und Mörsern. In der That, jeder Tambour erobert Prag, besitzt er den<lb/>
Hradschin. Seit Thun's Gefangennehmung hatte der Fürst ganz eigenmächtig die<lb/>
Zügel der Regierung in die Hand genommen, deren Plumpheit sich in Budapest!)<lb/>
so glänzend bewährte. Thun selbst war dem Militär als Slavophil verdächtig und<lb/>
in den engen Rahmen der Soldatenpolitik paßte die Idee, Thun habe eine pro¬<lb/>
visorische revolutionäre Regierung einführen wollen, vortrefflich; sie hatten von<lb/>
provisorischen Regierungen anderwärts gelesen, sür sie war provisorisch und<lb/>
republikanisch gleichbedeutend. Schon hatte die Sage von einer tief verzweig¬<lb/>
ten Verschwörung, vom beabsichtigten Mord aller Deutschen und anderem Unsinn<lb/>
Wurzel gefaßt in den racheschnaubenden Soldatengemüthern, Graf Thun war<lb/>
ohnmächtig, ohne Einfluß. Ihn sprechen wir frei von aller Schuld an den<lb/>
Greueln, die nachfolgten, aber ihn trifft der Vorwurf, daß er überhaupt sich<lb/>
herabwürdigte, unter Fürst Windischgrätz zu fungiren, daß er dieses rauhen Ka-<lb/>
sernenmaunes Edicte und Plakate unterschrieb, und sich ohne Noth zum Complicen<lb/>
machen ließ; ihm machen wir es zum Vorwurfe, daß er an Böhmens Volk ver¬<lb/>
zweifelte , das er seit Jahren kannte oder kennen sollte, daß er sich von den Sol¬<lb/>
daten bethören, und all die Gewaltthat vor seinen Augen begehen ließ, daß er<lb/>
noch heute nicht zur besseren Ansicht gelangt ist und nicht natürlich findet, daß<lb/>
sich der nationale Drang nach Anerkennung, seit dem Februar 1848 unmöglich<lb/>
auf die slavische Fibel und Grammatik beschränken konnte, daß der Erregung der<lb/>
Zeit eben vom Regierenden Rechnung zu tragen war, daß die Zeit alles heilt,<lb/>
regelt und ausgleicht. Nirgend wurde wohl ein Straßenkampf muthwilliger her¬<lb/>
vorgerufen , nirgend wurde des Kampfes friedliche Beilegung absichtlicher und bru¬<lb/>
taler hintertrieben, als damals in Prag durch den Fürsten Windischgrätz und seine<lb/>
Helfershelfer, die eben heute dem Helden von Kapolna einen Silberlorbeerkranz<lb/>
ganz im Geheimen verehren wollen, um einem ans die Brüche gekommenen Genossen<lb/>
aufzuhelfen, der den Kranz verfertigte. Wir müssen bekennen, oben auf dem vini-</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0038] Graf Thun unangefochten über die Barrikaden nach dem Regierungsgebäude der Kleinseite, dessen Treppe dicht besetzt war von bewaffneten Proletariern. Es war ein wilder, an die Pariser Nevolutionsscenen mahnender Anblick. Die Bursche aus dem Volke waren mit Eisenstangen bewaffnet, welche sie mit weißrothen Bändchen verziert hatten, die Montur ließ viel, die Fußbekleidung alles zu wünschen übrig. Vor der Heimkehr hatte Thun mit dem Fürsten und den Stadträthen gesprochen, und eine friedliche Ausgleichung angebahnt, welche jedoch Fürst Windischgrätz, von seinen ihn beherrschenden Offizieren genöthigt, selber vereitelte. Die Nacht über von nur 11 Nationalgarten zum Schutz gegen Volksangriff umgeben, verließ Graf Thun heimlich sein Regierungsgebäude, und vereinigte sich mit dem Fürsten Windischgrätz aus dem Hradschin, und dort ging Thun's guter Stern nnter, dort war er verloren für das Volk, für die guteSach e, für alle Zukunft vielleicht. Auf dem Hradschin entwickelte Fürst Windischgrätz entsetzlichen Muth mit Kano¬ nen und Mörsern. In der That, jeder Tambour erobert Prag, besitzt er den Hradschin. Seit Thun's Gefangennehmung hatte der Fürst ganz eigenmächtig die Zügel der Regierung in die Hand genommen, deren Plumpheit sich in Budapest!) so glänzend bewährte. Thun selbst war dem Militär als Slavophil verdächtig und in den engen Rahmen der Soldatenpolitik paßte die Idee, Thun habe eine pro¬ visorische revolutionäre Regierung einführen wollen, vortrefflich; sie hatten von provisorischen Regierungen anderwärts gelesen, sür sie war provisorisch und republikanisch gleichbedeutend. Schon hatte die Sage von einer tief verzweig¬ ten Verschwörung, vom beabsichtigten Mord aller Deutschen und anderem Unsinn Wurzel gefaßt in den racheschnaubenden Soldatengemüthern, Graf Thun war ohnmächtig, ohne Einfluß. Ihn sprechen wir frei von aller Schuld an den Greueln, die nachfolgten, aber ihn trifft der Vorwurf, daß er überhaupt sich herabwürdigte, unter Fürst Windischgrätz zu fungiren, daß er dieses rauhen Ka- sernenmaunes Edicte und Plakate unterschrieb, und sich ohne Noth zum Complicen machen ließ; ihm machen wir es zum Vorwurfe, daß er an Böhmens Volk ver¬ zweifelte , das er seit Jahren kannte oder kennen sollte, daß er sich von den Sol¬ daten bethören, und all die Gewaltthat vor seinen Augen begehen ließ, daß er noch heute nicht zur besseren Ansicht gelangt ist und nicht natürlich findet, daß sich der nationale Drang nach Anerkennung, seit dem Februar 1848 unmöglich auf die slavische Fibel und Grammatik beschränken konnte, daß der Erregung der Zeit eben vom Regierenden Rechnung zu tragen war, daß die Zeit alles heilt, regelt und ausgleicht. Nirgend wurde wohl ein Straßenkampf muthwilliger her¬ vorgerufen , nirgend wurde des Kampfes friedliche Beilegung absichtlicher und bru¬ taler hintertrieben, als damals in Prag durch den Fürsten Windischgrätz und seine Helfershelfer, die eben heute dem Helden von Kapolna einen Silberlorbeerkranz ganz im Geheimen verehren wollen, um einem ans die Brüche gekommenen Genossen aufzuhelfen, der den Kranz verfertigte. Wir müssen bekennen, oben auf dem vini-

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/38
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/38>, abgerufen am 04.07.2024.