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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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diese Praxis der Pflicht bezog, mit kühler Höflichkeit bei Seite geschoben; es
möge ganz wahr und ganz schön sein, aber mit dem Wesen der Religion, dem
Gebot des Geistes, habe es nichts zu schaffen. Fichte hat nachher in seinen tief¬
sinnigen Spekulationen die Gewißheit der Sinne ebenso kritisirt, als die Gewi߬
heit des Glaubens; er hat in dieser Welt des Scheines nur Einen festen Punkt
gefunden: das Gebot der Pflicht. Nur aus der Gewißheit dieses Gebotes und
der sittlichen Nothwendigkeit, daß es sich erfülle, schließe ich auf die Existenz von
Wesen außer mir, die ich mir gar nicht zu erweisen vermag; nur um seinetwillen
ist diese Welt vorhanden. Dieser ganze Gedaukeligang ist einseitig > aber groß;
nur die Flachheit unserer poetischen Dilettanten hat dem kühnen Gedanken des
sittlichen Idealismus die Poesie abspreche" können.

Ich bemerke nebenbei, daß diese Verschiedenheit der Opposition gegen den
gegebenen Glauben ans dem Unterschied der beiden Formen des Christenthums
beruht, des Protestantismus und des Katholicismus > von denen der eine Welt
und Natur vergeistigt, während der andere Geist und Natur von einander schied.
Näher ausgeführt habe ich das an einem andern Orte.

Danach bestimmt sich der Unterschied in der romantischen Restauration des
Christenthums. Gegen die harten Gebote des sittlichen Geistes nahmen Herder,
Schleiermacher, Jacobi die freien Regungen der Seele, die sich ans das Praktische
nicht beziehen, die Stimmungen, das zartere Empfinden, die sinnige Naturan-
schauung in Schutz; sie stellten das Recht der individuellen Natur den Anforde¬
rungen des unlebendigen Gesetzes entgegen. Ebenso vertraten Schelling, Novalis
u. s. w. -- später in größerem Stil die Hegel'sche Schule -- die Freiheit der
reinen, mystischen Speculation gegen die Anmaßung des sittlichen Geistes, daß
man uur darum denken solle, um ein Gesetz für sein Handeln zu finden. Der
Versuch der deutschen Mystik also, das Christenthum in der Empfindung und im
Denken wiederherzustellen, war im Verhältniß zu seinen Voraussetzungen ein frei¬
lich noch unklarer und verworrener Weg zur Freiheit und zur Natur zurück.

Anders in Frankreich. Die französische Aufklärung war in der Theorie ma¬
terialistisch, in der Sittlichkeit egoistisch, beides mit einer nicht kleinen Beimischung
von Skepsis. Der Gegensatz gegen dieselbe strebt also nicht nach der Geltendma-
chung der Natur und Freiheit, sondern nach der spiritualistischen Idee des Opfers
und der Resignation zurück. Chateaubriand's Hauptaufgabe besteht darin, diese
Idee des Opfers den herrschenden ästhetischen Vorstellungen, dem conventionellen
Denken plausibel zu macheu.

Die Aufklärung hatte in allen Dingen Klarheit an> Bestimmtheit gesucht.
Wozu? fragt Chateaubriand. Eigentlich lieben die Menschen die Mysterien; die
schönere Hälfte der Menschheit, die Frauen, können ohne Geheimnisse nicht leben.
Nur vor dem Verborgenen hat man Scheu. Statt mit' dem Christenthum zu
rechten, sollte mau ihm also vielmehr dafür danken, daß es uns Dinge lehrt, die


diese Praxis der Pflicht bezog, mit kühler Höflichkeit bei Seite geschoben; es
möge ganz wahr und ganz schön sein, aber mit dem Wesen der Religion, dem
Gebot des Geistes, habe es nichts zu schaffen. Fichte hat nachher in seinen tief¬
sinnigen Spekulationen die Gewißheit der Sinne ebenso kritisirt, als die Gewi߬
heit des Glaubens; er hat in dieser Welt des Scheines nur Einen festen Punkt
gefunden: das Gebot der Pflicht. Nur aus der Gewißheit dieses Gebotes und
der sittlichen Nothwendigkeit, daß es sich erfülle, schließe ich auf die Existenz von
Wesen außer mir, die ich mir gar nicht zu erweisen vermag; nur um seinetwillen
ist diese Welt vorhanden. Dieser ganze Gedaukeligang ist einseitig > aber groß;
nur die Flachheit unserer poetischen Dilettanten hat dem kühnen Gedanken des
sittlichen Idealismus die Poesie abspreche» können.

Ich bemerke nebenbei, daß diese Verschiedenheit der Opposition gegen den
gegebenen Glauben ans dem Unterschied der beiden Formen des Christenthums
beruht, des Protestantismus und des Katholicismus > von denen der eine Welt
und Natur vergeistigt, während der andere Geist und Natur von einander schied.
Näher ausgeführt habe ich das an einem andern Orte.

Danach bestimmt sich der Unterschied in der romantischen Restauration des
Christenthums. Gegen die harten Gebote des sittlichen Geistes nahmen Herder,
Schleiermacher, Jacobi die freien Regungen der Seele, die sich ans das Praktische
nicht beziehen, die Stimmungen, das zartere Empfinden, die sinnige Naturan-
schauung in Schutz; sie stellten das Recht der individuellen Natur den Anforde¬
rungen des unlebendigen Gesetzes entgegen. Ebenso vertraten Schelling, Novalis
u. s. w. — später in größerem Stil die Hegel'sche Schule — die Freiheit der
reinen, mystischen Speculation gegen die Anmaßung des sittlichen Geistes, daß
man uur darum denken solle, um ein Gesetz für sein Handeln zu finden. Der
Versuch der deutschen Mystik also, das Christenthum in der Empfindung und im
Denken wiederherzustellen, war im Verhältniß zu seinen Voraussetzungen ein frei¬
lich noch unklarer und verworrener Weg zur Freiheit und zur Natur zurück.

Anders in Frankreich. Die französische Aufklärung war in der Theorie ma¬
terialistisch, in der Sittlichkeit egoistisch, beides mit einer nicht kleinen Beimischung
von Skepsis. Der Gegensatz gegen dieselbe strebt also nicht nach der Geltendma-
chung der Natur und Freiheit, sondern nach der spiritualistischen Idee des Opfers
und der Resignation zurück. Chateaubriand's Hauptaufgabe besteht darin, diese
Idee des Opfers den herrschenden ästhetischen Vorstellungen, dem conventionellen
Denken plausibel zu macheu.

Die Aufklärung hatte in allen Dingen Klarheit an> Bestimmtheit gesucht.
Wozu? fragt Chateaubriand. Eigentlich lieben die Menschen die Mysterien; die
schönere Hälfte der Menschheit, die Frauen, können ohne Geheimnisse nicht leben.
Nur vor dem Verborgenen hat man Scheu. Statt mit' dem Christenthum zu
rechten, sollte mau ihm also vielmehr dafür danken, daß es uns Dinge lehrt, die


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/378>, abgerufen am 24.07.2024.