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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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gleichsam ein neues Fundament zu geben suchte. In Deutschland warm damals
Schleiermacher, Jacobi, Herder, Schelling und die Romantiker, jeder von seinem
specifischen Standpunkt aus, bemüht, die Religion wieder in ihre Rechte einzu¬
setzen. Chateaubriand wie die deutschen Romantiker bekämpften den Unglauben
nicht als theologische Zeloten, sondern vom Standpunkt der Bildung aus, die
durch eine Selbstkritik auf die alten Wahrheiten zurückkommen sollte. Schleier¬
macher richtete seine "Reden über die Religion" (1799) an "die Gebildeten unter
ihren Verächter";" er forderte sie auf, in ihrem Unglauben nur recht frei und
unbefangen zu sein, und den Glauben zunächst als etwas Thatsächliches zu prü¬
fen, das doch einmal dagewesen sei und eine gewisse Berechtigung gehabt haben
müsse. Chateaubriand mißbilligt entschieden die Kämpfer für die gute Sache,
welche sich auf die Autorität berufen. "Wir sind uicht mehr in der Zeit, wo es
gut roer, zu sagen: Prüfet nicht, sondern glaubet! man wird prüfen, trotz unse¬
res Einspruchs." Auch käme es eigentlich nicht darauf an, die Gründe der un¬
gläubigen Sophisten zu widerlegen; es sei ihnen mit diesen Gründen doch kein
rechter Ernst gewesen. Die Hauptsache sei: zu zeigen: <M'! n'7 -l rion <l" xlns
itimichle, no plus pompeux, als die Dogmen, die Lehren und der Cult des
Christenthums.

In anderer Beziehung dagegen ist die Apologetik auf beiden Seiten sehr ver¬
schieden, so verschieden als der Feind, den man zu bekämpfen hatte. Das was
man nämlich in Deutschland Aufklärung nannte, unterscheidet sich von der Fran¬
zösischen nicht nur dem Grade, sondern auch dem Wesen nach. Man muß dies
um so schärfer hervorheben, da man bis jetzt noch gar nicht aufmerksam
darauf gewesen ist. Die französische Aufklärung ging theils von den exacten
Wissenschaften, theils von der gesellschaftlichen Convenienz aus; vou beiden Seiten
opponirte sie im Namen der Natur, des gesunden Menschenverstandes und der
Aesthetik gegen den Spiritualismus in den Dogmen wie in den sittlichen Lehren
des Christenthums. Der deutsche Protestantismus dagegen, wie er sich am reinsten
in Kant und Fichte ausspricht, blieb bei diesen äußerlichen Angriffen nicht stehen,
sondern ging in das Innere ein; er stellte nicht das Recht der Natur dem Rechte
des Geistes gegenüber, er fand vielmehr, daß der Spiritualismus des Christen¬
thums noch viel zu sehr mit natürlichen, materiellen Momente" versetzt sei, und
hielt es nun für seine Aufgabe, die Vergeistigung der Religion des Geistes selbst¬
ständig fortzuführen. Das Christenthum verlangt eine Reihe von Opfern und
Entsagungen, aber nur zum Schein, denn es erkauft diese Opfer durch Verheißun¬
gen künftigen Heils; diesen irrreligiösen Zusatz hob Kant in seiner "Religion in¬
nerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" ans. Die Pflicht sollte um der Pflicht
willen, ohne alle, wenn auch noch so versteckte egoistische Beimischung ausgeübt
werden. Von den Dogmen wurde, was sich nicht als Gesetz oder als Beispiel auf


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gleichsam ein neues Fundament zu geben suchte. In Deutschland warm damals
Schleiermacher, Jacobi, Herder, Schelling und die Romantiker, jeder von seinem
specifischen Standpunkt aus, bemüht, die Religion wieder in ihre Rechte einzu¬
setzen. Chateaubriand wie die deutschen Romantiker bekämpften den Unglauben
nicht als theologische Zeloten, sondern vom Standpunkt der Bildung aus, die
durch eine Selbstkritik auf die alten Wahrheiten zurückkommen sollte. Schleier¬
macher richtete seine „Reden über die Religion" (1799) an „die Gebildeten unter
ihren Verächter»;" er forderte sie auf, in ihrem Unglauben nur recht frei und
unbefangen zu sein, und den Glauben zunächst als etwas Thatsächliches zu prü¬
fen, das doch einmal dagewesen sei und eine gewisse Berechtigung gehabt haben
müsse. Chateaubriand mißbilligt entschieden die Kämpfer für die gute Sache,
welche sich auf die Autorität berufen. „Wir sind uicht mehr in der Zeit, wo es
gut roer, zu sagen: Prüfet nicht, sondern glaubet! man wird prüfen, trotz unse¬
res Einspruchs." Auch käme es eigentlich nicht darauf an, die Gründe der un¬
gläubigen Sophisten zu widerlegen; es sei ihnen mit diesen Gründen doch kein
rechter Ernst gewesen. Die Hauptsache sei: zu zeigen: <M'! n'7 -l rion <l« xlns
itimichle, no plus pompeux, als die Dogmen, die Lehren und der Cult des
Christenthums.

In anderer Beziehung dagegen ist die Apologetik auf beiden Seiten sehr ver¬
schieden, so verschieden als der Feind, den man zu bekämpfen hatte. Das was
man nämlich in Deutschland Aufklärung nannte, unterscheidet sich von der Fran¬
zösischen nicht nur dem Grade, sondern auch dem Wesen nach. Man muß dies
um so schärfer hervorheben, da man bis jetzt noch gar nicht aufmerksam
darauf gewesen ist. Die französische Aufklärung ging theils von den exacten
Wissenschaften, theils von der gesellschaftlichen Convenienz aus; vou beiden Seiten
opponirte sie im Namen der Natur, des gesunden Menschenverstandes und der
Aesthetik gegen den Spiritualismus in den Dogmen wie in den sittlichen Lehren
des Christenthums. Der deutsche Protestantismus dagegen, wie er sich am reinsten
in Kant und Fichte ausspricht, blieb bei diesen äußerlichen Angriffen nicht stehen,
sondern ging in das Innere ein; er stellte nicht das Recht der Natur dem Rechte
des Geistes gegenüber, er fand vielmehr, daß der Spiritualismus des Christen¬
thums noch viel zu sehr mit natürlichen, materiellen Momente» versetzt sei, und
hielt es nun für seine Aufgabe, die Vergeistigung der Religion des Geistes selbst¬
ständig fortzuführen. Das Christenthum verlangt eine Reihe von Opfern und
Entsagungen, aber nur zum Schein, denn es erkauft diese Opfer durch Verheißun¬
gen künftigen Heils; diesen irrreligiösen Zusatz hob Kant in seiner „Religion in¬
nerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" ans. Die Pflicht sollte um der Pflicht
willen, ohne alle, wenn auch noch so versteckte egoistische Beimischung ausgeübt
werden. Von den Dogmen wurde, was sich nicht als Gesetz oder als Beispiel auf


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[0377] gleichsam ein neues Fundament zu geben suchte. In Deutschland warm damals Schleiermacher, Jacobi, Herder, Schelling und die Romantiker, jeder von seinem specifischen Standpunkt aus, bemüht, die Religion wieder in ihre Rechte einzu¬ setzen. Chateaubriand wie die deutschen Romantiker bekämpften den Unglauben nicht als theologische Zeloten, sondern vom Standpunkt der Bildung aus, die durch eine Selbstkritik auf die alten Wahrheiten zurückkommen sollte. Schleier¬ macher richtete seine „Reden über die Religion" (1799) an „die Gebildeten unter ihren Verächter»;" er forderte sie auf, in ihrem Unglauben nur recht frei und unbefangen zu sein, und den Glauben zunächst als etwas Thatsächliches zu prü¬ fen, das doch einmal dagewesen sei und eine gewisse Berechtigung gehabt haben müsse. Chateaubriand mißbilligt entschieden die Kämpfer für die gute Sache, welche sich auf die Autorität berufen. „Wir sind uicht mehr in der Zeit, wo es gut roer, zu sagen: Prüfet nicht, sondern glaubet! man wird prüfen, trotz unse¬ res Einspruchs." Auch käme es eigentlich nicht darauf an, die Gründe der un¬ gläubigen Sophisten zu widerlegen; es sei ihnen mit diesen Gründen doch kein rechter Ernst gewesen. Die Hauptsache sei: zu zeigen: <M'! n'7 -l rion <l« xlns itimichle, no plus pompeux, als die Dogmen, die Lehren und der Cult des Christenthums. In anderer Beziehung dagegen ist die Apologetik auf beiden Seiten sehr ver¬ schieden, so verschieden als der Feind, den man zu bekämpfen hatte. Das was man nämlich in Deutschland Aufklärung nannte, unterscheidet sich von der Fran¬ zösischen nicht nur dem Grade, sondern auch dem Wesen nach. Man muß dies um so schärfer hervorheben, da man bis jetzt noch gar nicht aufmerksam darauf gewesen ist. Die französische Aufklärung ging theils von den exacten Wissenschaften, theils von der gesellschaftlichen Convenienz aus; vou beiden Seiten opponirte sie im Namen der Natur, des gesunden Menschenverstandes und der Aesthetik gegen den Spiritualismus in den Dogmen wie in den sittlichen Lehren des Christenthums. Der deutsche Protestantismus dagegen, wie er sich am reinsten in Kant und Fichte ausspricht, blieb bei diesen äußerlichen Angriffen nicht stehen, sondern ging in das Innere ein; er stellte nicht das Recht der Natur dem Rechte des Geistes gegenüber, er fand vielmehr, daß der Spiritualismus des Christen¬ thums noch viel zu sehr mit natürlichen, materiellen Momente» versetzt sei, und hielt es nun für seine Aufgabe, die Vergeistigung der Religion des Geistes selbst¬ ständig fortzuführen. Das Christenthum verlangt eine Reihe von Opfern und Entsagungen, aber nur zum Schein, denn es erkauft diese Opfer durch Verheißun¬ gen künftigen Heils; diesen irrreligiösen Zusatz hob Kant in seiner „Religion in¬ nerhalb der Grenzen der bloßen Vernunft" ans. Die Pflicht sollte um der Pflicht willen, ohne alle, wenn auch noch so versteckte egoistische Beimischung ausgeübt werden. Von den Dogmen wurde, was sich nicht als Gesetz oder als Beispiel auf Grenzboten. >. I8S0. 47

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/377>, abgerufen am 24.07.2024.