Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.ters an, dessen Speculation nach derselben Richtung hinführt, Friedrich Hebbel So hoch hat sich die philosophische Anschauungsweise unsers Freundes freilich ters an, dessen Speculation nach derselben Richtung hinführt, Friedrich Hebbel So hoch hat sich die philosophische Anschauungsweise unsers Freundes freilich <TEI> <text> <body> <div> <div n="1"> <pb facs="#f0290" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93113"/> <p xml:id="ID_1003" prev="#ID_1002"> ters an, dessen Speculation nach derselben Richtung hinführt, Friedrich Hebbel<lb/> in der Vorrede zu seiner Maria Magdalena (1844). „Nach Shakespeare hat zu¬<lb/> erst Göthe im Faust . . . wieder zu einem großen Drama den Grundstein gelegt,<lb/> und zwar hat er . . . zu thun angefangen, was allein noch übrig blieb, er hat<lb/> die Dialektik unmittelbar in die Idee selbst hineingeworfen, er hat den Wider¬<lb/> spruch, den Shakespeare nur noch im Ich aufzeigt, in dem Centrum, um das das<lb/> Ich sich herumbewegt (soll doch wohl heißen: in der sittlichen Idee) . . . aufzu¬<lb/> zeigen gesucht .... Allein er hat nur den Weg gewiesen, . . daß er die Ge¬<lb/> burtswehen der um eine neue Form ringenden Menschheit . . im zweiten Theil<lb/> zu bloßen Krankhcitsmomenten eines später durch einen willkürlichen, nur noth-<lb/> dürftig-psychologisch vermittelten Akt kurirteu Individuums herabsetzte, das ging<lb/> aus seiner Individualität hervor ..... Er hat wohl erkannt, daß das mensch¬<lb/> liche Bewußtsein sich erweitern, daß es wieder einen Ring zersprengen will, aber<lb/> . . . da er die aus deu Uebergaugszustäudeu, in die er in seiner Jugend selbst<lb/> gewaltsam hingezogen wurde, entspringenden Dissonanzen nicht aufzulösen wußte,<lb/> so wandte er sich mit Entschiedenheit, ja mit Widerwillen und Ekel von ihnen ab.<lb/> Aber diese Zustände waren damit nicht beseitigt, sie dauern fort bis auf den ge¬<lb/> genwärtigen Tag und alle Spaltungen in unserm öffentlichen, wie in unserm<lb/> Privatleben, sind auf sie zurückzuführen. Der Mensch dieses Jahrhunderts will<lb/> nicht neue und unerhörte Institutionen, er will nur ein besseres Fundament für<lb/> die schon vorhandenen, er will daß sie . . . den äußeren Haken, an dem sie be¬<lb/> festigt sind, gegen den innern Schwerpunkt vertauschen sollen. Dies ist der welt¬<lb/> historische Prozeß, der in unseren Tagen vor sich geht; die Philosophie hat ihn<lb/> , . zersetzend und auflösend, vorbereitet, und die dramatische Kunst .... soll .. .<lb/> in großen, gewaltigen Bildern zeigen, wie die bisher nicht durchaus in einem le¬<lb/> bendigen Organismus gesättigt aufgegangenen, soudern zum Theil nur in einem<lb/> Scheinkörper erstarrt gewesenen und durch die letzte große Geschichtsbeweguug ent¬<lb/> fesselten Elemente, durcheinander fluthend und sich gegenseitig bekämpfend, die neue<lb/> Form der Menschheit, in welcher Alles wieder an seine Stelle treten, in welcher<lb/> das Weib dem Mann wieder gegenüber stehen wird, wie dieser der Gesellschaft,<lb/> und wie die Gesellschaft der Idee, erzeugen. Damit ist nun freilich der Uebel¬<lb/> stand verknüpft, daß die dramatische Kunst sich aus Bedenkliches und Bedenklichstes<lb/> einlassen muß, da das Brechen der Weltzustände ja nur in der Gebrochenheit der<lb/> individuellen erscheinen kann. . . Nur wo ein Problem erliegt, hat euere Kunst<lb/> etwas zu schaffen, wo euch aber ein solches ausgeht, wo euch das Leben in seiner<lb/> Gebrochenheit entgegentritt, und zugleich . . . das Moment der Idee, in dem<lb/> ,es die verlorene Einheit wieder findet, da ergreift es, und kümmert euch nicht<lb/> darum, daß ihr ... das Fieber acht heile« könnt, ohne euch mit dem Fieber<lb/> einzulassen." — -</p><lb/> <p xml:id="ID_1004" next="#ID_1005"> So hoch hat sich die philosophische Anschauungsweise unsers Freundes freilich</p><lb/> </div> </div> </body> </text> </TEI> [0290]
ters an, dessen Speculation nach derselben Richtung hinführt, Friedrich Hebbel
in der Vorrede zu seiner Maria Magdalena (1844). „Nach Shakespeare hat zu¬
erst Göthe im Faust . . . wieder zu einem großen Drama den Grundstein gelegt,
und zwar hat er . . . zu thun angefangen, was allein noch übrig blieb, er hat
die Dialektik unmittelbar in die Idee selbst hineingeworfen, er hat den Wider¬
spruch, den Shakespeare nur noch im Ich aufzeigt, in dem Centrum, um das das
Ich sich herumbewegt (soll doch wohl heißen: in der sittlichen Idee) . . . aufzu¬
zeigen gesucht .... Allein er hat nur den Weg gewiesen, . . daß er die Ge¬
burtswehen der um eine neue Form ringenden Menschheit . . im zweiten Theil
zu bloßen Krankhcitsmomenten eines später durch einen willkürlichen, nur noth-
dürftig-psychologisch vermittelten Akt kurirteu Individuums herabsetzte, das ging
aus seiner Individualität hervor ..... Er hat wohl erkannt, daß das mensch¬
liche Bewußtsein sich erweitern, daß es wieder einen Ring zersprengen will, aber
. . . da er die aus deu Uebergaugszustäudeu, in die er in seiner Jugend selbst
gewaltsam hingezogen wurde, entspringenden Dissonanzen nicht aufzulösen wußte,
so wandte er sich mit Entschiedenheit, ja mit Widerwillen und Ekel von ihnen ab.
Aber diese Zustände waren damit nicht beseitigt, sie dauern fort bis auf den ge¬
genwärtigen Tag und alle Spaltungen in unserm öffentlichen, wie in unserm
Privatleben, sind auf sie zurückzuführen. Der Mensch dieses Jahrhunderts will
nicht neue und unerhörte Institutionen, er will nur ein besseres Fundament für
die schon vorhandenen, er will daß sie . . . den äußeren Haken, an dem sie be¬
festigt sind, gegen den innern Schwerpunkt vertauschen sollen. Dies ist der welt¬
historische Prozeß, der in unseren Tagen vor sich geht; die Philosophie hat ihn
, . zersetzend und auflösend, vorbereitet, und die dramatische Kunst .... soll .. .
in großen, gewaltigen Bildern zeigen, wie die bisher nicht durchaus in einem le¬
bendigen Organismus gesättigt aufgegangenen, soudern zum Theil nur in einem
Scheinkörper erstarrt gewesenen und durch die letzte große Geschichtsbeweguug ent¬
fesselten Elemente, durcheinander fluthend und sich gegenseitig bekämpfend, die neue
Form der Menschheit, in welcher Alles wieder an seine Stelle treten, in welcher
das Weib dem Mann wieder gegenüber stehen wird, wie dieser der Gesellschaft,
und wie die Gesellschaft der Idee, erzeugen. Damit ist nun freilich der Uebel¬
stand verknüpft, daß die dramatische Kunst sich aus Bedenkliches und Bedenklichstes
einlassen muß, da das Brechen der Weltzustände ja nur in der Gebrochenheit der
individuellen erscheinen kann. . . Nur wo ein Problem erliegt, hat euere Kunst
etwas zu schaffen, wo euch aber ein solches ausgeht, wo euch das Leben in seiner
Gebrochenheit entgegentritt, und zugleich . . . das Moment der Idee, in dem
,es die verlorene Einheit wieder findet, da ergreift es, und kümmert euch nicht
darum, daß ihr ... das Fieber acht heile« könnt, ohne euch mit dem Fieber
einzulassen." — -
So hoch hat sich die philosophische Anschauungsweise unsers Freundes freilich
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