Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

sich geräth, so wird es euch hängen? Wir können nnr bescheiden darauf antwor¬
ten: Das ist möglich, aber wenn es zu sich selbst kommt, so wird es Euch --
auslachen! Nicht hängen. Es wäre Schade "in den schönen Strick.

Um nun unsern lieben demokratischen Freunden, die ganz außer sich ge¬
rathen sind über jenen Manteuffel'sehen Ausspruch, und in ihrem Entzücken ziem¬
lich unbequem, keinen Zweifel zu lassen über den Sinn desselben, wollen wir
ihn uns noch einmal genauer ansehen. Also Manteuffel sagt: "Allen Par¬
teien erkenne ich ihren Platz im preußischen Staate an, auch den Demokraten, nur
die Doctrinärs haben keinen Boden." Er findet für die Doktrinärs keine ange¬
messene Lokalität, er weiß nicht, wie er sie placiren soll, und darum scheu sie ihn
in Verlegenheit. Für die Demokraten dagegen hat er eine gesunden und ist da¬
her mit ihnen ganz zufrieden. Und wissen Sie, welche? meine Herren! --- Das
Zuchthaus. -- Wir wenden uns zu den antidoctrinären Doctrinärs zurück.

Um den Gegensatz zwischen den beiden Extremen sogleich auf eine bestimmte
Formel zurückzuführen, wenden wir uns zu dem Ursprung derselben zurück, der
großen französischen Revolution. Bei der Revolution war nur die erste, keines¬
wegs wesentliche und nothwendige Veranlassung ein Konflikt der persönlichen und
Standes-Interessen; so bald sie in Zug kam, traten die Interessen zurück, und es
wurde lediglich mit Idealen operirt. Das ging fort bis zum 9. Thermidor, wo
die scheinbar ertödteten Interessen plötzlich sich wieder belebten, und das hohle
Gebäude des abstracten Idealismus auseinander sprengten.

Die Geguer der Revolution, welche tiefer in das Wesen der Sache eindran¬
gen und stark genug in ihrem Hasse waren, um über der Einen leitenden Idee,
die ihnen nicht nur im Kopfe, sondern im Herzen lag, alle übrigen sie ergänzenden
aus dem Auge zu verlieren, erkannten also in dem politischen Idealismus die
erste Wurzel der Revolution, und folglich den Erbfeind der Gesellschaft und der
Geschichte. Sie suchten nun in der Geschichte nachzuweisen, daß Alles, was Gu¬
tes und Nützliches geschehen sei, uicht in den Ideen, sondern in den Interessen
seine Wurzel gehabt habe; daß der Idealismus stets zu Abwegen führe, von de¬
nen man doch wieder zurückkehren müsse, daß also die höchste Aufgabe des Staats¬
mannes darin bestehe, die Quellen des politischen Idealismus zu verstopfen und
ihnen theils durch Abhilfe materieller Uebelstände, theils durch Befestigung und
Verstärkung conservativer Institutionen (des Königthums, des Adels, der Zünfte
u. s. w.), theils endlich durch eine Lehre, welche den nicht ganz zu erstickenden
Idealismus auf eine Befriedigung im Jenseits verwies und sie über die irdische
Noth beruhigte, also durch das Christenthum, einen Damm entgegenzusetzen.

Dies waren die Grundzüge der Doctrin, welche sich in den gelehrten und
scharfsinnigen Werken eines Niebuhr, Savigny, Eichhorn, in den einfältigen, aber
weitläufigen Capucinaden eines Haller, in der pikanten, drastischen Poleini? eines
Leo, Gerlach und der neuen Jesuiten wiederfindet.


sich geräth, so wird es euch hängen? Wir können nnr bescheiden darauf antwor¬
ten: Das ist möglich, aber wenn es zu sich selbst kommt, so wird es Euch —
auslachen! Nicht hängen. Es wäre Schade »in den schönen Strick.

Um nun unsern lieben demokratischen Freunden, die ganz außer sich ge¬
rathen sind über jenen Manteuffel'sehen Ausspruch, und in ihrem Entzücken ziem¬
lich unbequem, keinen Zweifel zu lassen über den Sinn desselben, wollen wir
ihn uns noch einmal genauer ansehen. Also Manteuffel sagt: „Allen Par¬
teien erkenne ich ihren Platz im preußischen Staate an, auch den Demokraten, nur
die Doctrinärs haben keinen Boden." Er findet für die Doktrinärs keine ange¬
messene Lokalität, er weiß nicht, wie er sie placiren soll, und darum scheu sie ihn
in Verlegenheit. Für die Demokraten dagegen hat er eine gesunden und ist da¬
her mit ihnen ganz zufrieden. Und wissen Sie, welche? meine Herren! —- Das
Zuchthaus. — Wir wenden uns zu den antidoctrinären Doctrinärs zurück.

Um den Gegensatz zwischen den beiden Extremen sogleich auf eine bestimmte
Formel zurückzuführen, wenden wir uns zu dem Ursprung derselben zurück, der
großen französischen Revolution. Bei der Revolution war nur die erste, keines¬
wegs wesentliche und nothwendige Veranlassung ein Konflikt der persönlichen und
Standes-Interessen; so bald sie in Zug kam, traten die Interessen zurück, und es
wurde lediglich mit Idealen operirt. Das ging fort bis zum 9. Thermidor, wo
die scheinbar ertödteten Interessen plötzlich sich wieder belebten, und das hohle
Gebäude des abstracten Idealismus auseinander sprengten.

Die Geguer der Revolution, welche tiefer in das Wesen der Sache eindran¬
gen und stark genug in ihrem Hasse waren, um über der Einen leitenden Idee,
die ihnen nicht nur im Kopfe, sondern im Herzen lag, alle übrigen sie ergänzenden
aus dem Auge zu verlieren, erkannten also in dem politischen Idealismus die
erste Wurzel der Revolution, und folglich den Erbfeind der Gesellschaft und der
Geschichte. Sie suchten nun in der Geschichte nachzuweisen, daß Alles, was Gu¬
tes und Nützliches geschehen sei, uicht in den Ideen, sondern in den Interessen
seine Wurzel gehabt habe; daß der Idealismus stets zu Abwegen führe, von de¬
nen man doch wieder zurückkehren müsse, daß also die höchste Aufgabe des Staats¬
mannes darin bestehe, die Quellen des politischen Idealismus zu verstopfen und
ihnen theils durch Abhilfe materieller Uebelstände, theils durch Befestigung und
Verstärkung conservativer Institutionen (des Königthums, des Adels, der Zünfte
u. s. w.), theils endlich durch eine Lehre, welche den nicht ganz zu erstickenden
Idealismus auf eine Befriedigung im Jenseits verwies und sie über die irdische
Noth beruhigte, also durch das Christenthum, einen Damm entgegenzusetzen.

Dies waren die Grundzüge der Doctrin, welche sich in den gelehrten und
scharfsinnigen Werken eines Niebuhr, Savigny, Eichhorn, in den einfältigen, aber
weitläufigen Capucinaden eines Haller, in der pikanten, drastischen Poleini? eines
Leo, Gerlach und der neuen Jesuiten wiederfindet.


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0253" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93076"/>
          <p xml:id="ID_808" prev="#ID_807"> sich geräth, so wird es euch hängen? Wir können nnr bescheiden darauf antwor¬<lb/>
ten: Das ist möglich, aber wenn es zu sich selbst kommt, so wird es Euch &#x2014;<lb/>
auslachen! Nicht hängen.  Es wäre Schade »in den schönen Strick.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_809"> Um nun unsern lieben demokratischen Freunden, die ganz außer sich ge¬<lb/>
rathen sind über jenen Manteuffel'sehen Ausspruch, und in ihrem Entzücken ziem¬<lb/>
lich unbequem, keinen Zweifel zu lassen über den Sinn desselben, wollen wir<lb/>
ihn uns noch einmal genauer ansehen. Also Manteuffel sagt: &#x201E;Allen Par¬<lb/>
teien erkenne ich ihren Platz im preußischen Staate an, auch den Demokraten, nur<lb/>
die Doctrinärs haben keinen Boden." Er findet für die Doktrinärs keine ange¬<lb/>
messene Lokalität, er weiß nicht, wie er sie placiren soll, und darum scheu sie ihn<lb/>
in Verlegenheit. Für die Demokraten dagegen hat er eine gesunden und ist da¬<lb/>
her mit ihnen ganz zufrieden. Und wissen Sie, welche? meine Herren! &#x2014;- Das<lb/>
Zuchthaus. &#x2014; Wir wenden uns zu den antidoctrinären Doctrinärs zurück.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_810"> Um den Gegensatz zwischen den beiden Extremen sogleich auf eine bestimmte<lb/>
Formel zurückzuführen, wenden wir uns zu dem Ursprung derselben zurück, der<lb/>
großen französischen Revolution. Bei der Revolution war nur die erste, keines¬<lb/>
wegs wesentliche und nothwendige Veranlassung ein Konflikt der persönlichen und<lb/>
Standes-Interessen; so bald sie in Zug kam, traten die Interessen zurück, und es<lb/>
wurde lediglich mit Idealen operirt. Das ging fort bis zum 9. Thermidor, wo<lb/>
die scheinbar ertödteten Interessen plötzlich sich wieder belebten, und das hohle<lb/>
Gebäude des abstracten Idealismus auseinander sprengten.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_811"> Die Geguer der Revolution, welche tiefer in das Wesen der Sache eindran¬<lb/>
gen und stark genug in ihrem Hasse waren, um über der Einen leitenden Idee,<lb/>
die ihnen nicht nur im Kopfe, sondern im Herzen lag, alle übrigen sie ergänzenden<lb/>
aus dem Auge zu verlieren, erkannten also in dem politischen Idealismus die<lb/>
erste Wurzel der Revolution, und folglich den Erbfeind der Gesellschaft und der<lb/>
Geschichte. Sie suchten nun in der Geschichte nachzuweisen, daß Alles, was Gu¬<lb/>
tes und Nützliches geschehen sei, uicht in den Ideen, sondern in den Interessen<lb/>
seine Wurzel gehabt habe; daß der Idealismus stets zu Abwegen führe, von de¬<lb/>
nen man doch wieder zurückkehren müsse, daß also die höchste Aufgabe des Staats¬<lb/>
mannes darin bestehe, die Quellen des politischen Idealismus zu verstopfen und<lb/>
ihnen theils durch Abhilfe materieller Uebelstände, theils durch Befestigung und<lb/>
Verstärkung conservativer Institutionen (des Königthums, des Adels, der Zünfte<lb/>
u. s. w.), theils endlich durch eine Lehre, welche den nicht ganz zu erstickenden<lb/>
Idealismus auf eine Befriedigung im Jenseits verwies und sie über die irdische<lb/>
Noth beruhigte, also durch das Christenthum, einen Damm entgegenzusetzen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_812"> Dies waren die Grundzüge der Doctrin, welche sich in den gelehrten und<lb/>
scharfsinnigen Werken eines Niebuhr, Savigny, Eichhorn, in den einfältigen, aber<lb/>
weitläufigen Capucinaden eines Haller, in der pikanten, drastischen Poleini? eines<lb/>
Leo, Gerlach und der neuen Jesuiten wiederfindet.</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0253] sich geräth, so wird es euch hängen? Wir können nnr bescheiden darauf antwor¬ ten: Das ist möglich, aber wenn es zu sich selbst kommt, so wird es Euch — auslachen! Nicht hängen. Es wäre Schade »in den schönen Strick. Um nun unsern lieben demokratischen Freunden, die ganz außer sich ge¬ rathen sind über jenen Manteuffel'sehen Ausspruch, und in ihrem Entzücken ziem¬ lich unbequem, keinen Zweifel zu lassen über den Sinn desselben, wollen wir ihn uns noch einmal genauer ansehen. Also Manteuffel sagt: „Allen Par¬ teien erkenne ich ihren Platz im preußischen Staate an, auch den Demokraten, nur die Doctrinärs haben keinen Boden." Er findet für die Doktrinärs keine ange¬ messene Lokalität, er weiß nicht, wie er sie placiren soll, und darum scheu sie ihn in Verlegenheit. Für die Demokraten dagegen hat er eine gesunden und ist da¬ her mit ihnen ganz zufrieden. Und wissen Sie, welche? meine Herren! —- Das Zuchthaus. — Wir wenden uns zu den antidoctrinären Doctrinärs zurück. Um den Gegensatz zwischen den beiden Extremen sogleich auf eine bestimmte Formel zurückzuführen, wenden wir uns zu dem Ursprung derselben zurück, der großen französischen Revolution. Bei der Revolution war nur die erste, keines¬ wegs wesentliche und nothwendige Veranlassung ein Konflikt der persönlichen und Standes-Interessen; so bald sie in Zug kam, traten die Interessen zurück, und es wurde lediglich mit Idealen operirt. Das ging fort bis zum 9. Thermidor, wo die scheinbar ertödteten Interessen plötzlich sich wieder belebten, und das hohle Gebäude des abstracten Idealismus auseinander sprengten. Die Geguer der Revolution, welche tiefer in das Wesen der Sache eindran¬ gen und stark genug in ihrem Hasse waren, um über der Einen leitenden Idee, die ihnen nicht nur im Kopfe, sondern im Herzen lag, alle übrigen sie ergänzenden aus dem Auge zu verlieren, erkannten also in dem politischen Idealismus die erste Wurzel der Revolution, und folglich den Erbfeind der Gesellschaft und der Geschichte. Sie suchten nun in der Geschichte nachzuweisen, daß Alles, was Gu¬ tes und Nützliches geschehen sei, uicht in den Ideen, sondern in den Interessen seine Wurzel gehabt habe; daß der Idealismus stets zu Abwegen führe, von de¬ nen man doch wieder zurückkehren müsse, daß also die höchste Aufgabe des Staats¬ mannes darin bestehe, die Quellen des politischen Idealismus zu verstopfen und ihnen theils durch Abhilfe materieller Uebelstände, theils durch Befestigung und Verstärkung conservativer Institutionen (des Königthums, des Adels, der Zünfte u. s. w.), theils endlich durch eine Lehre, welche den nicht ganz zu erstickenden Idealismus auf eine Befriedigung im Jenseits verwies und sie über die irdische Noth beruhigte, also durch das Christenthum, einen Damm entgegenzusetzen. Dies waren die Grundzüge der Doctrin, welche sich in den gelehrten und scharfsinnigen Werken eines Niebuhr, Savigny, Eichhorn, in den einfältigen, aber weitläufigen Capucinaden eines Haller, in der pikanten, drastischen Poleini? eines Leo, Gerlach und der neuen Jesuiten wiederfindet.

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/253
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/253>, abgerufen am 24.07.2024.