Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Urtheil des Volks der Grund des Urtheils ein richtiger ist. Mir ist nichts davon
bekannt, daß z. B. Weber in Deutschland unpopulär wäre. Von seinen Ouver¬
türen -- Freischütz, Oberen, Euryanthe -- wird jeder Klotz hingerissen. Aber
bringt in das Theater die künstlichen Irrfahrten einer Kammermusik, und das
Publikum wird mit Recht gähnen. Wir Deutschen sind wahrhaftig nicht ärmer
an Melodien als die Italiener. Jedes Volkslied und jeder Walzer kann uus
eines bessern belehren, einer ist ja immer hübscher als der andere. Was haben
Beethoven, Weber, Marschner, Schubert für königliche Melodien! Aber wir ver¬
schwenden unsere Kraft im Liede und in der Kammermusik. Darüber wird das
Lied zur Arie und die Oper zum Liederquodlibet.

Ich habe mehrfach bei Componisten gefragt, warum in Deutschland die Oper
so liegen bleibt. Theils gab man die Schwierigkeit einer Aufführung an, theils
den Mangel eines brauchbaren Buches.

Was das erste betrifft, so kann ich uicht finden, daß irgend eine neue Sym¬
phonie einen Erfolg gehabt hat, wie z. B. Flotow's Martha, die doch eine ziem¬
lich leichte Waare ist. Freilich, die Opern von Richard Wagner und Andern sind
spurlos vorübergegangen. Aber das Publikum hat auch recht, darüber ungehalten
zu sein, wenn man seinen Ohren Gewalt anthut, so viel Finessen man auch dem
Wissenden zu bieten hat.

Das Libretto ist in der That ein Uebelstand. Aber jetzt mehr als früher?
Und sind die Herren Musiker ganz ohne Schuld dabei? Ich fragte einmal einen
-- übrigens ganz gebildeten Componisten, was er sich denn eigentlich für einen
Text wünsche. Es müssen Russen darin vorkommen, antwortete er mir ganz im
Ernst, das ist neu und imponirt.

Wenn ich die beliebtesten Opern übersehe, so muß ich gestehen, daß der eine
Text immer unsinniger ist als der andere. Die Zauberflöte enthält, den reinen
Blödsinn, noch dazu in einer Sprache, wie sie kaum ein Eckensteher redet. Templer
und Jüdin eine ganz unverständliche Handlung. Freischütz, Oberon, Euryanthe:c.
Und doch besteht die Musik dabei. Damit will ich keineswegs sagen, daß zu der
künstlerischen Vollendung der Oper der Text etwas Gleichgiltiges sei; im Gegen¬
theil. Aber vor Allem werden sich die Musiker erst klar zu machen haben, was
sie von einem Text verlangen. Jetzt fordern sie eine Baronrolle, eine Ballade,
die sich Refrain-artig in die ganze Komposition verweben läßt, einen Marsch,
Ballette, ein paar Quintette, wo möglich einen Teufelschor, eine große Arie, und,
wie gesagt, Russen. Daraus kann sich kein Dichter einen Vers machen.

Um meine Meinung auszusprechen -- ich glaube, daß die Kunst auf den
Weg zurückgeführt werden muß, den Gluck ihr gewiesen hat. Die Oper muß eine
musikalische Einheit fein, so gut wie die Symphonie. Einheit der Grundstimmung
und Fortschritt der Leidenschaft. In der Oper", LuM finden wir es häufiger; ich
nenne z. B. Rossini's Barbier und Cimarosa's heimliche Ehe. Man mußte sie in,


Urtheil des Volks der Grund des Urtheils ein richtiger ist. Mir ist nichts davon
bekannt, daß z. B. Weber in Deutschland unpopulär wäre. Von seinen Ouver¬
türen — Freischütz, Oberen, Euryanthe — wird jeder Klotz hingerissen. Aber
bringt in das Theater die künstlichen Irrfahrten einer Kammermusik, und das
Publikum wird mit Recht gähnen. Wir Deutschen sind wahrhaftig nicht ärmer
an Melodien als die Italiener. Jedes Volkslied und jeder Walzer kann uus
eines bessern belehren, einer ist ja immer hübscher als der andere. Was haben
Beethoven, Weber, Marschner, Schubert für königliche Melodien! Aber wir ver¬
schwenden unsere Kraft im Liede und in der Kammermusik. Darüber wird das
Lied zur Arie und die Oper zum Liederquodlibet.

Ich habe mehrfach bei Componisten gefragt, warum in Deutschland die Oper
so liegen bleibt. Theils gab man die Schwierigkeit einer Aufführung an, theils
den Mangel eines brauchbaren Buches.

Was das erste betrifft, so kann ich uicht finden, daß irgend eine neue Sym¬
phonie einen Erfolg gehabt hat, wie z. B. Flotow's Martha, die doch eine ziem¬
lich leichte Waare ist. Freilich, die Opern von Richard Wagner und Andern sind
spurlos vorübergegangen. Aber das Publikum hat auch recht, darüber ungehalten
zu sein, wenn man seinen Ohren Gewalt anthut, so viel Finessen man auch dem
Wissenden zu bieten hat.

Das Libretto ist in der That ein Uebelstand. Aber jetzt mehr als früher?
Und sind die Herren Musiker ganz ohne Schuld dabei? Ich fragte einmal einen
— übrigens ganz gebildeten Componisten, was er sich denn eigentlich für einen
Text wünsche. Es müssen Russen darin vorkommen, antwortete er mir ganz im
Ernst, das ist neu und imponirt.

Wenn ich die beliebtesten Opern übersehe, so muß ich gestehen, daß der eine
Text immer unsinniger ist als der andere. Die Zauberflöte enthält, den reinen
Blödsinn, noch dazu in einer Sprache, wie sie kaum ein Eckensteher redet. Templer
und Jüdin eine ganz unverständliche Handlung. Freischütz, Oberon, Euryanthe:c.
Und doch besteht die Musik dabei. Damit will ich keineswegs sagen, daß zu der
künstlerischen Vollendung der Oper der Text etwas Gleichgiltiges sei; im Gegen¬
theil. Aber vor Allem werden sich die Musiker erst klar zu machen haben, was
sie von einem Text verlangen. Jetzt fordern sie eine Baronrolle, eine Ballade,
die sich Refrain-artig in die ganze Komposition verweben läßt, einen Marsch,
Ballette, ein paar Quintette, wo möglich einen Teufelschor, eine große Arie, und,
wie gesagt, Russen. Daraus kann sich kein Dichter einen Vers machen.

Um meine Meinung auszusprechen — ich glaube, daß die Kunst auf den
Weg zurückgeführt werden muß, den Gluck ihr gewiesen hat. Die Oper muß eine
musikalische Einheit fein, so gut wie die Symphonie. Einheit der Grundstimmung
und Fortschritt der Leidenschaft. In der Oper», LuM finden wir es häufiger; ich
nenne z. B. Rossini's Barbier und Cimarosa's heimliche Ehe. Man mußte sie in,


<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <pb facs="#f0240" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93063"/>
          <p xml:id="ID_761" prev="#ID_760"> Urtheil des Volks der Grund des Urtheils ein richtiger ist. Mir ist nichts davon<lb/>
bekannt, daß z. B. Weber in Deutschland unpopulär wäre. Von seinen Ouver¬<lb/>
türen &#x2014; Freischütz, Oberen, Euryanthe &#x2014; wird jeder Klotz hingerissen. Aber<lb/>
bringt in das Theater die künstlichen Irrfahrten einer Kammermusik, und das<lb/>
Publikum wird mit Recht gähnen. Wir Deutschen sind wahrhaftig nicht ärmer<lb/>
an Melodien als die Italiener. Jedes Volkslied und jeder Walzer kann uus<lb/>
eines bessern belehren, einer ist ja immer hübscher als der andere. Was haben<lb/>
Beethoven, Weber, Marschner, Schubert für königliche Melodien! Aber wir ver¬<lb/>
schwenden unsere Kraft im Liede und in der Kammermusik. Darüber wird das<lb/>
Lied zur Arie und die Oper zum Liederquodlibet.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_762"> Ich habe mehrfach bei Componisten gefragt, warum in Deutschland die Oper<lb/>
so liegen bleibt. Theils gab man die Schwierigkeit einer Aufführung an, theils<lb/>
den Mangel eines brauchbaren Buches.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_763"> Was das erste betrifft, so kann ich uicht finden, daß irgend eine neue Sym¬<lb/>
phonie einen Erfolg gehabt hat, wie z. B. Flotow's Martha, die doch eine ziem¬<lb/>
lich leichte Waare ist. Freilich, die Opern von Richard Wagner und Andern sind<lb/>
spurlos vorübergegangen. Aber das Publikum hat auch recht, darüber ungehalten<lb/>
zu sein, wenn man seinen Ohren Gewalt anthut, so viel Finessen man auch dem<lb/>
Wissenden zu bieten hat.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_764"> Das Libretto ist in der That ein Uebelstand. Aber jetzt mehr als früher?<lb/>
Und sind die Herren Musiker ganz ohne Schuld dabei? Ich fragte einmal einen<lb/>
&#x2014; übrigens ganz gebildeten Componisten, was er sich denn eigentlich für einen<lb/>
Text wünsche. Es müssen Russen darin vorkommen, antwortete er mir ganz im<lb/>
Ernst, das ist neu und imponirt.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_765"> Wenn ich die beliebtesten Opern übersehe, so muß ich gestehen, daß der eine<lb/>
Text immer unsinniger ist als der andere. Die Zauberflöte enthält, den reinen<lb/>
Blödsinn, noch dazu in einer Sprache, wie sie kaum ein Eckensteher redet. Templer<lb/>
und Jüdin eine ganz unverständliche Handlung. Freischütz, Oberon, Euryanthe:c.<lb/>
Und doch besteht die Musik dabei. Damit will ich keineswegs sagen, daß zu der<lb/>
künstlerischen Vollendung der Oper der Text etwas Gleichgiltiges sei; im Gegen¬<lb/>
theil. Aber vor Allem werden sich die Musiker erst klar zu machen haben, was<lb/>
sie von einem Text verlangen. Jetzt fordern sie eine Baronrolle, eine Ballade,<lb/>
die sich Refrain-artig in die ganze Komposition verweben läßt, einen Marsch,<lb/>
Ballette, ein paar Quintette, wo möglich einen Teufelschor, eine große Arie, und,<lb/>
wie gesagt, Russen. Daraus kann sich kein Dichter einen Vers machen.</p><lb/>
          <p xml:id="ID_766" next="#ID_767"> Um meine Meinung auszusprechen &#x2014; ich glaube, daß die Kunst auf den<lb/>
Weg zurückgeführt werden muß, den Gluck ihr gewiesen hat. Die Oper muß eine<lb/>
musikalische Einheit fein, so gut wie die Symphonie. Einheit der Grundstimmung<lb/>
und Fortschritt der Leidenschaft. In der Oper», LuM finden wir es häufiger; ich<lb/>
nenne z. B. Rossini's Barbier und Cimarosa's heimliche Ehe. Man mußte sie in,</p><lb/>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0240] Urtheil des Volks der Grund des Urtheils ein richtiger ist. Mir ist nichts davon bekannt, daß z. B. Weber in Deutschland unpopulär wäre. Von seinen Ouver¬ türen — Freischütz, Oberen, Euryanthe — wird jeder Klotz hingerissen. Aber bringt in das Theater die künstlichen Irrfahrten einer Kammermusik, und das Publikum wird mit Recht gähnen. Wir Deutschen sind wahrhaftig nicht ärmer an Melodien als die Italiener. Jedes Volkslied und jeder Walzer kann uus eines bessern belehren, einer ist ja immer hübscher als der andere. Was haben Beethoven, Weber, Marschner, Schubert für königliche Melodien! Aber wir ver¬ schwenden unsere Kraft im Liede und in der Kammermusik. Darüber wird das Lied zur Arie und die Oper zum Liederquodlibet. Ich habe mehrfach bei Componisten gefragt, warum in Deutschland die Oper so liegen bleibt. Theils gab man die Schwierigkeit einer Aufführung an, theils den Mangel eines brauchbaren Buches. Was das erste betrifft, so kann ich uicht finden, daß irgend eine neue Sym¬ phonie einen Erfolg gehabt hat, wie z. B. Flotow's Martha, die doch eine ziem¬ lich leichte Waare ist. Freilich, die Opern von Richard Wagner und Andern sind spurlos vorübergegangen. Aber das Publikum hat auch recht, darüber ungehalten zu sein, wenn man seinen Ohren Gewalt anthut, so viel Finessen man auch dem Wissenden zu bieten hat. Das Libretto ist in der That ein Uebelstand. Aber jetzt mehr als früher? Und sind die Herren Musiker ganz ohne Schuld dabei? Ich fragte einmal einen — übrigens ganz gebildeten Componisten, was er sich denn eigentlich für einen Text wünsche. Es müssen Russen darin vorkommen, antwortete er mir ganz im Ernst, das ist neu und imponirt. Wenn ich die beliebtesten Opern übersehe, so muß ich gestehen, daß der eine Text immer unsinniger ist als der andere. Die Zauberflöte enthält, den reinen Blödsinn, noch dazu in einer Sprache, wie sie kaum ein Eckensteher redet. Templer und Jüdin eine ganz unverständliche Handlung. Freischütz, Oberon, Euryanthe:c. Und doch besteht die Musik dabei. Damit will ich keineswegs sagen, daß zu der künstlerischen Vollendung der Oper der Text etwas Gleichgiltiges sei; im Gegen¬ theil. Aber vor Allem werden sich die Musiker erst klar zu machen haben, was sie von einem Text verlangen. Jetzt fordern sie eine Baronrolle, eine Ballade, die sich Refrain-artig in die ganze Komposition verweben läßt, einen Marsch, Ballette, ein paar Quintette, wo möglich einen Teufelschor, eine große Arie, und, wie gesagt, Russen. Daraus kann sich kein Dichter einen Vers machen. Um meine Meinung auszusprechen — ich glaube, daß die Kunst auf den Weg zurückgeführt werden muß, den Gluck ihr gewiesen hat. Die Oper muß eine musikalische Einheit fein, so gut wie die Symphonie. Einheit der Grundstimmung und Fortschritt der Leidenschaft. In der Oper», LuM finden wir es häufiger; ich nenne z. B. Rossini's Barbier und Cimarosa's heimliche Ehe. Man mußte sie in,

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/240
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/240>, abgerufen am 04.07.2024.