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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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und der Verachtung machen, -- von ihr ab. Weinend blieb die aus dem Kreise
der Mädchen Verstoßene lange auf ihrem Sessel sitzen, und die drei jüdischen Vir¬
tuosen begleiteten diese Trauerscene mit so wehmüthigen und melodiösen Weisen,
daß in der That ein ästhetischer Eindruck hervorgebracht wurde. Plötzlich wurde
die Musik fröhlich; in diesem Augenblicke wurde die Braut von sämmtlichen ver-
heiratheten Frauen, deren jede eine weiße Haube unter ihrer Schürze hervorzog
und zum Geschenk anbot, umringt. Die Braut kam so in einem Augenblick zu
dem beneidenswerthen Besitz von vielleicht 20 Hauben. Die schönste davon, welche
die Edelfrau des Gutes durch die Mutter des Bräutigams übergeben ließ, wurde
der jungen Frau aufgesetzt, und diese unter einem unendlichen Jubelgeschrei der
Frauen wohl zehn Mal zur Schau im Kreise herumgeführt, wobei einige Personen
ein Lied abhangen, das ans die Scene Bezug hatte. Jetzt wurde die junge Frau
ihrem Manne überliefert, und die ganze Bauerngesellschaft begab sich zu einem,
wahrscheinlich mehrtägigen, Tanze in das herrschaftliche Schenkhans.

Oft hat man bei einer solchen Hochzeitfeier Gelegenheit, die große Rohheit
des galizischen Bauern anzustaunen, aber eben so oft erfreut der zarte Sinn und
die gemüthliche Poesie, welche so manchen Act der Feier schmückt und adelt. Man
ist kaum im Stande beides mit einander zu vereinigen und kann leicht zu der
Ansicht kommen, die alten Sarmaten, von welchen sich solche Gebräuche unverändert
bis auf die Gegenwart vererbt haben, müssen ein edleres und feiner fühlendes Ge¬
schlecht gewesen sein als ihre jetzigen Nachkommen. Besonders zahlreich und schön
ist bei allen Festlichkeiten die Menge alter allegorischer Scenen, kein Gleiches
wird in Deutschland mehr gesunden. Man hält auf diese Scenen, wie die
katholische Kirche auf ihre Ceremonien und würde es für eine Sünde halten, sie zu
Verfälschen oder zu übergehen.

Der Gutsherr hatte sich mit der Hochzeitgesellschaft in das Schenkhaus be¬
geben und befahl seinem Wirth ein Fäßchen Branntwein und eine Tonne Bier
unentgeltlich sowohl an die Hochzeitsleute wie an die Zuschauer aus dem Orte zu
verschenken. Darüber entstand ein maßloser Jubel und Alles drängte sich heran, um dem
gütigen Gutsherrn zu Füßen zu fallen und seine Kniee zu umarmen. -- Ihr Cor-
respondent aber ging zu Bett, etwas betrübt, sehr verwundert und gleichsam mit
innerlichem moralischem Achselzucken. --

Sie sehen aus diesen Schilderungen ungefähr, in welcher Weise sich in Ga-
lizien die Verhältnisse zwischen Bauer und Edelmann geändert haben. Manche
Ansprüche hat der Grundherr aufgegeben, vorzüglich die, welche ihm im Wesent¬
lichen nicht nützlich waren. Dagegen macht er sich den Bauer für die wichtigeren
Dienste zurecht, indem er ihm diese durch eine Art Honiganstrich versüßt. Der
Bauer aber, zu roh, um den Werth der servitutem und Gegenleistungen verglei¬
chen zu können, wird trotz des Nobotentschädigungsdecrets mehr und mehr in das


Grenzboten, i. 1850. 29

und der Verachtung machen, — von ihr ab. Weinend blieb die aus dem Kreise
der Mädchen Verstoßene lange auf ihrem Sessel sitzen, und die drei jüdischen Vir¬
tuosen begleiteten diese Trauerscene mit so wehmüthigen und melodiösen Weisen,
daß in der That ein ästhetischer Eindruck hervorgebracht wurde. Plötzlich wurde
die Musik fröhlich; in diesem Augenblicke wurde die Braut von sämmtlichen ver-
heiratheten Frauen, deren jede eine weiße Haube unter ihrer Schürze hervorzog
und zum Geschenk anbot, umringt. Die Braut kam so in einem Augenblick zu
dem beneidenswerthen Besitz von vielleicht 20 Hauben. Die schönste davon, welche
die Edelfrau des Gutes durch die Mutter des Bräutigams übergeben ließ, wurde
der jungen Frau aufgesetzt, und diese unter einem unendlichen Jubelgeschrei der
Frauen wohl zehn Mal zur Schau im Kreise herumgeführt, wobei einige Personen
ein Lied abhangen, das ans die Scene Bezug hatte. Jetzt wurde die junge Frau
ihrem Manne überliefert, und die ganze Bauerngesellschaft begab sich zu einem,
wahrscheinlich mehrtägigen, Tanze in das herrschaftliche Schenkhans.

Oft hat man bei einer solchen Hochzeitfeier Gelegenheit, die große Rohheit
des galizischen Bauern anzustaunen, aber eben so oft erfreut der zarte Sinn und
die gemüthliche Poesie, welche so manchen Act der Feier schmückt und adelt. Man
ist kaum im Stande beides mit einander zu vereinigen und kann leicht zu der
Ansicht kommen, die alten Sarmaten, von welchen sich solche Gebräuche unverändert
bis auf die Gegenwart vererbt haben, müssen ein edleres und feiner fühlendes Ge¬
schlecht gewesen sein als ihre jetzigen Nachkommen. Besonders zahlreich und schön
ist bei allen Festlichkeiten die Menge alter allegorischer Scenen, kein Gleiches
wird in Deutschland mehr gesunden. Man hält auf diese Scenen, wie die
katholische Kirche auf ihre Ceremonien und würde es für eine Sünde halten, sie zu
Verfälschen oder zu übergehen.

Der Gutsherr hatte sich mit der Hochzeitgesellschaft in das Schenkhaus be¬
geben und befahl seinem Wirth ein Fäßchen Branntwein und eine Tonne Bier
unentgeltlich sowohl an die Hochzeitsleute wie an die Zuschauer aus dem Orte zu
verschenken. Darüber entstand ein maßloser Jubel und Alles drängte sich heran, um dem
gütigen Gutsherrn zu Füßen zu fallen und seine Kniee zu umarmen. — Ihr Cor-
respondent aber ging zu Bett, etwas betrübt, sehr verwundert und gleichsam mit
innerlichem moralischem Achselzucken. —

Sie sehen aus diesen Schilderungen ungefähr, in welcher Weise sich in Ga-
lizien die Verhältnisse zwischen Bauer und Edelmann geändert haben. Manche
Ansprüche hat der Grundherr aufgegeben, vorzüglich die, welche ihm im Wesent¬
lichen nicht nützlich waren. Dagegen macht er sich den Bauer für die wichtigeren
Dienste zurecht, indem er ihm diese durch eine Art Honiganstrich versüßt. Der
Bauer aber, zu roh, um den Werth der servitutem und Gegenleistungen verglei¬
chen zu können, wird trotz des Nobotentschädigungsdecrets mehr und mehr in das


Grenzboten, i. 1850. 29
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[0233] und der Verachtung machen, — von ihr ab. Weinend blieb die aus dem Kreise der Mädchen Verstoßene lange auf ihrem Sessel sitzen, und die drei jüdischen Vir¬ tuosen begleiteten diese Trauerscene mit so wehmüthigen und melodiösen Weisen, daß in der That ein ästhetischer Eindruck hervorgebracht wurde. Plötzlich wurde die Musik fröhlich; in diesem Augenblicke wurde die Braut von sämmtlichen ver- heiratheten Frauen, deren jede eine weiße Haube unter ihrer Schürze hervorzog und zum Geschenk anbot, umringt. Die Braut kam so in einem Augenblick zu dem beneidenswerthen Besitz von vielleicht 20 Hauben. Die schönste davon, welche die Edelfrau des Gutes durch die Mutter des Bräutigams übergeben ließ, wurde der jungen Frau aufgesetzt, und diese unter einem unendlichen Jubelgeschrei der Frauen wohl zehn Mal zur Schau im Kreise herumgeführt, wobei einige Personen ein Lied abhangen, das ans die Scene Bezug hatte. Jetzt wurde die junge Frau ihrem Manne überliefert, und die ganze Bauerngesellschaft begab sich zu einem, wahrscheinlich mehrtägigen, Tanze in das herrschaftliche Schenkhans. Oft hat man bei einer solchen Hochzeitfeier Gelegenheit, die große Rohheit des galizischen Bauern anzustaunen, aber eben so oft erfreut der zarte Sinn und die gemüthliche Poesie, welche so manchen Act der Feier schmückt und adelt. Man ist kaum im Stande beides mit einander zu vereinigen und kann leicht zu der Ansicht kommen, die alten Sarmaten, von welchen sich solche Gebräuche unverändert bis auf die Gegenwart vererbt haben, müssen ein edleres und feiner fühlendes Ge¬ schlecht gewesen sein als ihre jetzigen Nachkommen. Besonders zahlreich und schön ist bei allen Festlichkeiten die Menge alter allegorischer Scenen, kein Gleiches wird in Deutschland mehr gesunden. Man hält auf diese Scenen, wie die katholische Kirche auf ihre Ceremonien und würde es für eine Sünde halten, sie zu Verfälschen oder zu übergehen. Der Gutsherr hatte sich mit der Hochzeitgesellschaft in das Schenkhaus be¬ geben und befahl seinem Wirth ein Fäßchen Branntwein und eine Tonne Bier unentgeltlich sowohl an die Hochzeitsleute wie an die Zuschauer aus dem Orte zu verschenken. Darüber entstand ein maßloser Jubel und Alles drängte sich heran, um dem gütigen Gutsherrn zu Füßen zu fallen und seine Kniee zu umarmen. — Ihr Cor- respondent aber ging zu Bett, etwas betrübt, sehr verwundert und gleichsam mit innerlichem moralischem Achselzucken. — Sie sehen aus diesen Schilderungen ungefähr, in welcher Weise sich in Ga- lizien die Verhältnisse zwischen Bauer und Edelmann geändert haben. Manche Ansprüche hat der Grundherr aufgegeben, vorzüglich die, welche ihm im Wesent¬ lichen nicht nützlich waren. Dagegen macht er sich den Bauer für die wichtigeren Dienste zurecht, indem er ihm diese durch eine Art Honiganstrich versüßt. Der Bauer aber, zu roh, um den Werth der servitutem und Gegenleistungen verglei¬ chen zu können, wird trotz des Nobotentschädigungsdecrets mehr und mehr in das Grenzboten, i. 1850. 29

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/233>, abgerufen am 24.07.2024.