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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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wallenden Haare wurden der Braut über Nacken und Schultern breit herabge-
lammt und ein schmales weißes Band um den Kopf gebunden; an dies Band
aber wurden nun von allen Hochzeitgästen Feld - und Wiesenblumen, Gräser und
Zweige befestigt. Dieser Schmuck schien die Stelle unserer deutschen Brautkränze
zu vertreten, er sah aber verzweifelt unchristlich aus.

Ich selbst hatte ein kleines Geschenk, eine fünffache Korallenschnur mit einem
Kreuzchen von schlechtem Golde, dem Lieblingsschmuck der Galizieriuuen, mitge¬
bracht. Ich hielt in meiner Unwissenheit den Augenblick für geeignet, ihr das
Geschenk zu überreichen. Wohl durch mehr als zehn Fußfälle bewies sie mir ihre
aufrichtige Hochachtung. Allein sie versicherte dabei, diesen Schmuck jetzt nicht
anlegen zu dürfen. Auch von meiner alten Perlenkette und meinen vielen Ringen
trage ich jetzt nichts, einzig und allein den messingenen Ring des Bräutigams;
ich gehe jetzt vor Gottes Angesicht. Aber nach der Rückkehr von der Trauung
werde ich sogleich das Geschenk um den Hals legen. Hierin lag Sinn genug.

Bevor mau den Gang nach der Kirche machte, trank man sich auf eine recht
barbarische Weise Branntwein zu. Niemand durfte den Bescheid verweigern, und
mußte diesen nach sarmatischer Trinksitte so vollständig geben, daß in dem großen
Bicrglase, aus welchem der Branntwein genossen wurde, nie eine Neige zurück¬
blieb. Geschah dies vielleicht einmal bei den Frauen, die auch hier einige Anlage
zur Ziererei besitze", so wurde die Neige weggeschüttet und daun erst das Glas
wieder gefüllt. So ist die Trinkregel durch ganz Galizien. Die galizischen Bauern
können noch weit heldeumäßiger Branntwein trinken, als die im Königreich. So
ungeheure Humpen dieses feurigen Giftes sah ich niemals leeren, und mit welcher
Schnelligkeit! Es schien mir zweifelhaft, ob nach solchem Zechen, an dem anch
die niedliche Braut mit heroischer Entschlossenheit Theil nahm, irgend Jemand
aufrecht zur Kirche gelangen werde, und als ich an die gewaltigen Bemühungen
des Krakauer Mäßigkeitsvereines dachte, der seit dem Jahre 44 unter dem Schutze
der gebenedeiten Jungfrau Maria den Branntweintensel verfolgt, konnte ich die
Befürchtung nicht unterdrücken, daß "der Schnapsteusel stärker sein müsse als die
heilige Mutter Maria."

Endlich gegen 5 Uhr brach der Zug auf nach der Kirche im Nachbardorf.
Zunächst begab mau sich unter das Kruzifix auf dem früher erwähnten Schutt¬
hügel. Alles kniete nieder und der Ceremonienmeister hielt eine religiöse Rede,
deren leidenschaftliche Beredtsamkeit mich in Erstaunen setzte. Bei den polnischen
Bauern ist eine imponirende Eloquenz gar nicht selten, sie äußert sich gewöhnlich
bei Hochzeit- und Leichenzügen. Oft entwickelt der elendeste, zottigste Kerl vor
Kreuzen und Heiligenbildern, bei denen jeder Zug Halt macht, ein rhetorisches
Talent, welches unsern ordinirten Kanzelrednern alle ihre Selbstgefälligkeit nehmen
müßte, wenn das überhaupt möglich wäre.

Während der Trauungszug abwesend war, bereitete man auf dem Schloß den


wallenden Haare wurden der Braut über Nacken und Schultern breit herabge-
lammt und ein schmales weißes Band um den Kopf gebunden; an dies Band
aber wurden nun von allen Hochzeitgästen Feld - und Wiesenblumen, Gräser und
Zweige befestigt. Dieser Schmuck schien die Stelle unserer deutschen Brautkränze
zu vertreten, er sah aber verzweifelt unchristlich aus.

Ich selbst hatte ein kleines Geschenk, eine fünffache Korallenschnur mit einem
Kreuzchen von schlechtem Golde, dem Lieblingsschmuck der Galizieriuuen, mitge¬
bracht. Ich hielt in meiner Unwissenheit den Augenblick für geeignet, ihr das
Geschenk zu überreichen. Wohl durch mehr als zehn Fußfälle bewies sie mir ihre
aufrichtige Hochachtung. Allein sie versicherte dabei, diesen Schmuck jetzt nicht
anlegen zu dürfen. Auch von meiner alten Perlenkette und meinen vielen Ringen
trage ich jetzt nichts, einzig und allein den messingenen Ring des Bräutigams;
ich gehe jetzt vor Gottes Angesicht. Aber nach der Rückkehr von der Trauung
werde ich sogleich das Geschenk um den Hals legen. Hierin lag Sinn genug.

Bevor mau den Gang nach der Kirche machte, trank man sich auf eine recht
barbarische Weise Branntwein zu. Niemand durfte den Bescheid verweigern, und
mußte diesen nach sarmatischer Trinksitte so vollständig geben, daß in dem großen
Bicrglase, aus welchem der Branntwein genossen wurde, nie eine Neige zurück¬
blieb. Geschah dies vielleicht einmal bei den Frauen, die auch hier einige Anlage
zur Ziererei besitze», so wurde die Neige weggeschüttet und daun erst das Glas
wieder gefüllt. So ist die Trinkregel durch ganz Galizien. Die galizischen Bauern
können noch weit heldeumäßiger Branntwein trinken, als die im Königreich. So
ungeheure Humpen dieses feurigen Giftes sah ich niemals leeren, und mit welcher
Schnelligkeit! Es schien mir zweifelhaft, ob nach solchem Zechen, an dem anch
die niedliche Braut mit heroischer Entschlossenheit Theil nahm, irgend Jemand
aufrecht zur Kirche gelangen werde, und als ich an die gewaltigen Bemühungen
des Krakauer Mäßigkeitsvereines dachte, der seit dem Jahre 44 unter dem Schutze
der gebenedeiten Jungfrau Maria den Branntweintensel verfolgt, konnte ich die
Befürchtung nicht unterdrücken, daß „der Schnapsteusel stärker sein müsse als die
heilige Mutter Maria."

Endlich gegen 5 Uhr brach der Zug auf nach der Kirche im Nachbardorf.
Zunächst begab mau sich unter das Kruzifix auf dem früher erwähnten Schutt¬
hügel. Alles kniete nieder und der Ceremonienmeister hielt eine religiöse Rede,
deren leidenschaftliche Beredtsamkeit mich in Erstaunen setzte. Bei den polnischen
Bauern ist eine imponirende Eloquenz gar nicht selten, sie äußert sich gewöhnlich
bei Hochzeit- und Leichenzügen. Oft entwickelt der elendeste, zottigste Kerl vor
Kreuzen und Heiligenbildern, bei denen jeder Zug Halt macht, ein rhetorisches
Talent, welches unsern ordinirten Kanzelrednern alle ihre Selbstgefälligkeit nehmen
müßte, wenn das überhaupt möglich wäre.

Während der Trauungszug abwesend war, bereitete man auf dem Schloß den


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/230>, abgerufen am 24.07.2024.