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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Allen nach der Reihe die Kniee, selbst den Dienstboten und kleinsten Kindern,
zuletzt dem Gutsherrn zum zweitenmale. Diese Sitte ist alt. Kein Brautpaar
durste früher zur Kirche gehen, ohne sich dem Gutsherrn gezeigt zu haben.

Der Hochzeitszug ordnete sich bei der Rückkehr des Brautpaares wieder und
begab sich in das Dorf zurück, und zwar tanzend. Voran schritt der Freiersmann
als Ceremonienmeister mit der Blumenkeule, dahinter die drei musikalischen Juden,
die beiden Violinisten musicirten, der Baß repräsentirte schweigend, hinter ihnen
aber tanzte Alles, Braut und Bräutigam, Bräntigamsührer und Brautführerinucn
einen Walzer bald links bald rechts herum durch Gras und Koth bis zur Hütte,
in welcher die Hochzeit gefeiert wurde. Beim Zuge zum Edelmann, so wie zur
Kirche darf nicht getanzt werden, dagegen nach glücklich überstandenen Pflichten
muß nothwendig getanzt werden. Hält einer von den jungen Burschen oder Mäd¬
chen diesen oft sehr beschwerlichen Tanz nicht aus und muß er dem Zuge wandernd
folgen, so hat der Ceremonienmeister dafür ein kleines Stück Geld als Strafe
zu fordern.

Als ich in das Hochzeitshaus eintrat, fand ich alle Hochzeitgäste versammelt
und einige schon liebenswürdig berauscht. Man hatte so eben die Hochzeitgeschenke
gebracht und der Bräutigam war bemüht, dieselben auf einem großen Bettgestell
zur allgemeinen Schau aufzuschichten. Sie bestanden aus kleinen Säcken voll
Getreide, Graupen u. s. w.

Man hatte einige Male im Hochzeitshause herumgetanzt, als plötzlich der
Freiersmann ein Zeichen gab und daraus aufmerksam machte, daß es Zeit sei, die
Braut in eine junge Frau zu verwandeln. Alles sah sich nach der Braut um,
allein sie war im Zimmer nicht zu entdecken. Alles gerieth unter großem Ge¬
schrei in erkünstelte Bewegung. Ein Haufen stürzte durch die eine Thür in deu
Kuhstall, ein anderer Haufen durch die andere Thür auf den Hos, in die Scheuer,
auf den Hausboden. Alles suchte, wobei außerhalb der Hofbarriere das ganze
Dorf lachend und jubelnd Zuschauer war. Unterdeß geberdete sich der Bräutigam
sehr verzweifelt, brachte ein über das ganze Dorf hinhallendes Klagegeschrei zu
Staude und war aus dem besten Wege von Sinnen zu kommen. Endlich wen¬
deten sich die Hochzeitgäste an den jammernden Bräutigam mit der Versicherung,
daß er mit dem Zauber eines Bräutigams durch den Beistand der Jungfrau Maria
gewiß glücklicher sein werde, er solle nur suchen. Der Bräutigam suchte und
brachte sehr bald die Braut, nicht geführt, sondern geschleift, denn sie mußte sich
der gebieterischen Sitte zufolge gewaltig sträuben. Die Gäste halsen ihm, und die
Braut wurde in die Stube getragen, gewaltsam auf die Bank niedergesetzt und
ihr der lang herabhangende Zopf, den sie von Kindheit an getragen hatte, durch
den Ceremonienmeister aufgelöst. Denn von diesem Augenblicke an durfte sie nie
mehr einen Zopf tragen. Dieser ist ausschließlich der Schmuck der Mädchen, die
Frauen dagegen tragen das Haar unter einem Kopftuche offen und lose. Die


Allen nach der Reihe die Kniee, selbst den Dienstboten und kleinsten Kindern,
zuletzt dem Gutsherrn zum zweitenmale. Diese Sitte ist alt. Kein Brautpaar
durste früher zur Kirche gehen, ohne sich dem Gutsherrn gezeigt zu haben.

Der Hochzeitszug ordnete sich bei der Rückkehr des Brautpaares wieder und
begab sich in das Dorf zurück, und zwar tanzend. Voran schritt der Freiersmann
als Ceremonienmeister mit der Blumenkeule, dahinter die drei musikalischen Juden,
die beiden Violinisten musicirten, der Baß repräsentirte schweigend, hinter ihnen
aber tanzte Alles, Braut und Bräutigam, Bräntigamsührer und Brautführerinucn
einen Walzer bald links bald rechts herum durch Gras und Koth bis zur Hütte,
in welcher die Hochzeit gefeiert wurde. Beim Zuge zum Edelmann, so wie zur
Kirche darf nicht getanzt werden, dagegen nach glücklich überstandenen Pflichten
muß nothwendig getanzt werden. Hält einer von den jungen Burschen oder Mäd¬
chen diesen oft sehr beschwerlichen Tanz nicht aus und muß er dem Zuge wandernd
folgen, so hat der Ceremonienmeister dafür ein kleines Stück Geld als Strafe
zu fordern.

Als ich in das Hochzeitshaus eintrat, fand ich alle Hochzeitgäste versammelt
und einige schon liebenswürdig berauscht. Man hatte so eben die Hochzeitgeschenke
gebracht und der Bräutigam war bemüht, dieselben auf einem großen Bettgestell
zur allgemeinen Schau aufzuschichten. Sie bestanden aus kleinen Säcken voll
Getreide, Graupen u. s. w.

Man hatte einige Male im Hochzeitshause herumgetanzt, als plötzlich der
Freiersmann ein Zeichen gab und daraus aufmerksam machte, daß es Zeit sei, die
Braut in eine junge Frau zu verwandeln. Alles sah sich nach der Braut um,
allein sie war im Zimmer nicht zu entdecken. Alles gerieth unter großem Ge¬
schrei in erkünstelte Bewegung. Ein Haufen stürzte durch die eine Thür in deu
Kuhstall, ein anderer Haufen durch die andere Thür auf den Hos, in die Scheuer,
auf den Hausboden. Alles suchte, wobei außerhalb der Hofbarriere das ganze
Dorf lachend und jubelnd Zuschauer war. Unterdeß geberdete sich der Bräutigam
sehr verzweifelt, brachte ein über das ganze Dorf hinhallendes Klagegeschrei zu
Staude und war aus dem besten Wege von Sinnen zu kommen. Endlich wen¬
deten sich die Hochzeitgäste an den jammernden Bräutigam mit der Versicherung,
daß er mit dem Zauber eines Bräutigams durch den Beistand der Jungfrau Maria
gewiß glücklicher sein werde, er solle nur suchen. Der Bräutigam suchte und
brachte sehr bald die Braut, nicht geführt, sondern geschleift, denn sie mußte sich
der gebieterischen Sitte zufolge gewaltig sträuben. Die Gäste halsen ihm, und die
Braut wurde in die Stube getragen, gewaltsam auf die Bank niedergesetzt und
ihr der lang herabhangende Zopf, den sie von Kindheit an getragen hatte, durch
den Ceremonienmeister aufgelöst. Denn von diesem Augenblicke an durfte sie nie
mehr einen Zopf tragen. Dieser ist ausschließlich der Schmuck der Mädchen, die
Frauen dagegen tragen das Haar unter einem Kopftuche offen und lose. Die


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[0229] Allen nach der Reihe die Kniee, selbst den Dienstboten und kleinsten Kindern, zuletzt dem Gutsherrn zum zweitenmale. Diese Sitte ist alt. Kein Brautpaar durste früher zur Kirche gehen, ohne sich dem Gutsherrn gezeigt zu haben. Der Hochzeitszug ordnete sich bei der Rückkehr des Brautpaares wieder und begab sich in das Dorf zurück, und zwar tanzend. Voran schritt der Freiersmann als Ceremonienmeister mit der Blumenkeule, dahinter die drei musikalischen Juden, die beiden Violinisten musicirten, der Baß repräsentirte schweigend, hinter ihnen aber tanzte Alles, Braut und Bräutigam, Bräntigamsührer und Brautführerinucn einen Walzer bald links bald rechts herum durch Gras und Koth bis zur Hütte, in welcher die Hochzeit gefeiert wurde. Beim Zuge zum Edelmann, so wie zur Kirche darf nicht getanzt werden, dagegen nach glücklich überstandenen Pflichten muß nothwendig getanzt werden. Hält einer von den jungen Burschen oder Mäd¬ chen diesen oft sehr beschwerlichen Tanz nicht aus und muß er dem Zuge wandernd folgen, so hat der Ceremonienmeister dafür ein kleines Stück Geld als Strafe zu fordern. Als ich in das Hochzeitshaus eintrat, fand ich alle Hochzeitgäste versammelt und einige schon liebenswürdig berauscht. Man hatte so eben die Hochzeitgeschenke gebracht und der Bräutigam war bemüht, dieselben auf einem großen Bettgestell zur allgemeinen Schau aufzuschichten. Sie bestanden aus kleinen Säcken voll Getreide, Graupen u. s. w. Man hatte einige Male im Hochzeitshause herumgetanzt, als plötzlich der Freiersmann ein Zeichen gab und daraus aufmerksam machte, daß es Zeit sei, die Braut in eine junge Frau zu verwandeln. Alles sah sich nach der Braut um, allein sie war im Zimmer nicht zu entdecken. Alles gerieth unter großem Ge¬ schrei in erkünstelte Bewegung. Ein Haufen stürzte durch die eine Thür in deu Kuhstall, ein anderer Haufen durch die andere Thür auf den Hos, in die Scheuer, auf den Hausboden. Alles suchte, wobei außerhalb der Hofbarriere das ganze Dorf lachend und jubelnd Zuschauer war. Unterdeß geberdete sich der Bräutigam sehr verzweifelt, brachte ein über das ganze Dorf hinhallendes Klagegeschrei zu Staude und war aus dem besten Wege von Sinnen zu kommen. Endlich wen¬ deten sich die Hochzeitgäste an den jammernden Bräutigam mit der Versicherung, daß er mit dem Zauber eines Bräutigams durch den Beistand der Jungfrau Maria gewiß glücklicher sein werde, er solle nur suchen. Der Bräutigam suchte und brachte sehr bald die Braut, nicht geführt, sondern geschleift, denn sie mußte sich der gebieterischen Sitte zufolge gewaltig sträuben. Die Gäste halsen ihm, und die Braut wurde in die Stube getragen, gewaltsam auf die Bank niedergesetzt und ihr der lang herabhangende Zopf, den sie von Kindheit an getragen hatte, durch den Ceremonienmeister aufgelöst. Denn von diesem Augenblicke an durfte sie nie mehr einen Zopf tragen. Dieser ist ausschließlich der Schmuck der Mädchen, die Frauen dagegen tragen das Haar unter einem Kopftuche offen und lose. Die

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/229>, abgerufen am 24.07.2024.