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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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man jetzt schon ziemlich viele findet, leisten bisweilen ganz Vortreffliches. Sonst
stehen die Polen allen slavischen Stämmen, hinsichtlich des Gefühls für Musik,
merkwürdigerweise weit nach. Die Böhmen sind bekanntlich geborene Musiker, und
auch in kleinrusstschen Dörfern wird man oft vor elenden Erdhütten durch die lieb¬
lichsten Flötentöne festgehalten. Ein alter Bauer oder ein Bursch spielt dort Etü-
den auf einer aus Holunder eigenhändig geschnitzten, bisweilen durch Schnitzereien
reich und niedlich verzierten Flöte oder Pfeife, die außerordentlich zu nennen sind.
Und vor den traurigen Schiffhütten der großrussischen Dörfer klingen die Töne
der Guitarre, welche selbst die Arbeit des bäurischen Virtuosen zu sein pflegt.
Diese russische Guitarre des Volkes enthält sieben Saiten, von denen die tiefste
Baßsaite außerhalb des Griffbrettes liegt und sich nicht greisen, sondern nur durch
einen Wirbel um einen halben Ton erhöhen läßt, sie dient eigentlich nur zur Ac-
centuation und Verstärkung des Spiels, etwa wie die große Trommel beim
Orchester.

Der Hochzeitzug war vor den Fenstern des Palastes angelangt und ord¬
nete sich. Zur Seite stand ein ältlicher Bauer mit sehr ernster Miene, die
Brust mit einer großen Bandschleife geschmückt, die Faust mit einem Stäbe
versehen, an dessen oberem Ende ein großer Strauß von Flittergold prangte.
Er ist bei der Werbung und Verlobung, die beide ihre genau bestimmte Form
haben, der Vormund des Bräutigams, beim Hochzeitfeste aber der Cere¬
monienmeister. Hinter dem Brautpaar standen sechs junge Burschen und hin¬
ter diesen sechs junge Mädchen paarweis als Brautführer, in entsetzlichem Auf¬
putz. Die Burschen hatten sich die Köpfe mit hoch emporragenden Hahnfedern,
Vogelflügeln, hohen Sträußen von künstlichen Goldblumen, noch höheren Bündeln
auseinandergespreizter Drahtstücke, an deren Spitzen kleine Papierquasten befestigt
waren und anderem ähnlichen Zierrath geschmückt, Rücken und Brusttheile ihrer
braunen Kutten waren über und über mit Läppchen, Streifen von buntem Papier
und rin Schleifen bedeckt.

Von entsprechendem Putze starrten auch die Mädchen, die Brantführerinnen.
Ihre Köpfe waren geschmückt durch bunte Papierschleifen, Metallstückchen, durch
Hölzchen mit Zahlpfennigen beklebt und andere Kostbarkeiten. Ich fühle mich ge¬
drungen, die niedlichen jungfräulichen Gesichter darunter zu bejammern, sie sehen
allesammt aus, wie wilde Indianer, wenn sie irgend einen teuflischen Tanz auf¬
führen. Und in der That sind sie allesammt Wilde, in ihrem Gefühle, ihren
Tugenden und Fehlern.

Der "Freiersmann" stellte sich gravitätisch in einiger Entfernung vom Palaste
auf und bezeichnete so eine Stelle, die zwar mit hohem Grase bewachsen war, aber
von den Begleitern des Brautpaars sogleich zum Tanzen benutzt wurde. Wäh¬
rend des Tanzes traten Braut und Bräutigam in den Speisesaal, gingen ohne
ein Wort zu sprechen, von Zimmer zu Zimmer und umarmten vom Gutsherrn an


man jetzt schon ziemlich viele findet, leisten bisweilen ganz Vortreffliches. Sonst
stehen die Polen allen slavischen Stämmen, hinsichtlich des Gefühls für Musik,
merkwürdigerweise weit nach. Die Böhmen sind bekanntlich geborene Musiker, und
auch in kleinrusstschen Dörfern wird man oft vor elenden Erdhütten durch die lieb¬
lichsten Flötentöne festgehalten. Ein alter Bauer oder ein Bursch spielt dort Etü-
den auf einer aus Holunder eigenhändig geschnitzten, bisweilen durch Schnitzereien
reich und niedlich verzierten Flöte oder Pfeife, die außerordentlich zu nennen sind.
Und vor den traurigen Schiffhütten der großrussischen Dörfer klingen die Töne
der Guitarre, welche selbst die Arbeit des bäurischen Virtuosen zu sein pflegt.
Diese russische Guitarre des Volkes enthält sieben Saiten, von denen die tiefste
Baßsaite außerhalb des Griffbrettes liegt und sich nicht greisen, sondern nur durch
einen Wirbel um einen halben Ton erhöhen läßt, sie dient eigentlich nur zur Ac-
centuation und Verstärkung des Spiels, etwa wie die große Trommel beim
Orchester.

Der Hochzeitzug war vor den Fenstern des Palastes angelangt und ord¬
nete sich. Zur Seite stand ein ältlicher Bauer mit sehr ernster Miene, die
Brust mit einer großen Bandschleife geschmückt, die Faust mit einem Stäbe
versehen, an dessen oberem Ende ein großer Strauß von Flittergold prangte.
Er ist bei der Werbung und Verlobung, die beide ihre genau bestimmte Form
haben, der Vormund des Bräutigams, beim Hochzeitfeste aber der Cere¬
monienmeister. Hinter dem Brautpaar standen sechs junge Burschen und hin¬
ter diesen sechs junge Mädchen paarweis als Brautführer, in entsetzlichem Auf¬
putz. Die Burschen hatten sich die Köpfe mit hoch emporragenden Hahnfedern,
Vogelflügeln, hohen Sträußen von künstlichen Goldblumen, noch höheren Bündeln
auseinandergespreizter Drahtstücke, an deren Spitzen kleine Papierquasten befestigt
waren und anderem ähnlichen Zierrath geschmückt, Rücken und Brusttheile ihrer
braunen Kutten waren über und über mit Läppchen, Streifen von buntem Papier
und rin Schleifen bedeckt.

Von entsprechendem Putze starrten auch die Mädchen, die Brantführerinnen.
Ihre Köpfe waren geschmückt durch bunte Papierschleifen, Metallstückchen, durch
Hölzchen mit Zahlpfennigen beklebt und andere Kostbarkeiten. Ich fühle mich ge¬
drungen, die niedlichen jungfräulichen Gesichter darunter zu bejammern, sie sehen
allesammt aus, wie wilde Indianer, wenn sie irgend einen teuflischen Tanz auf¬
führen. Und in der That sind sie allesammt Wilde, in ihrem Gefühle, ihren
Tugenden und Fehlern.

Der „Freiersmann" stellte sich gravitätisch in einiger Entfernung vom Palaste
auf und bezeichnete so eine Stelle, die zwar mit hohem Grase bewachsen war, aber
von den Begleitern des Brautpaars sogleich zum Tanzen benutzt wurde. Wäh¬
rend des Tanzes traten Braut und Bräutigam in den Speisesaal, gingen ohne
ein Wort zu sprechen, von Zimmer zu Zimmer und umarmten vom Gutsherrn an


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/228>, abgerufen am 24.07.2024.