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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Blutschande. Das Volkslied läßt einen Bulgaren, der seine Wahlschwester auf
dem Kalimejdan zu Belgrad geküßt, durch einen Blitz vom hellen, wolkenlosen
Himmel erschlagen werden.

Die böhmischen Muhamedaner haben das Pobratimstvo gerade so wie ihre
christlichen Stammesgenossen. Ja die Muhamedaner dort verschmähen es trotz ihrer
Intoleranz nicht, mit Christen ins Pobratimstvo zu treten. In einem solchen Fall
sind die Ceremonien und die Spruchformel der Verbrüderung etwas anders. Ein
Brötchen wird gebrochen, Christ und Muselmann ritzen sich mit dem Handczar in
den rechten Arm, fangen das austräufelude Blut mit'der Brotkrume auf, und
Jeder von Beiden ißt das mit dem Blut des Andern benetzte Stückchen Brot mit
den Worten: "Da si ">i öoxu bi-et na obaclvi", spot-r!" (Seien wir Brüder
in Gott für beide Welten.)

Wenn Jemand in Noth und Gefahr ist und den ersten besten Unbekannten
seinen Bruder in Gott und Se. Johann nennt, rettet ihn dieser gewiß, denn er
ist unter solchen Umständen sogar verpflichtet, die Wahlverbrüderung anzunehmen.
Oft sind schon zwei bittere Feinde mitten im Zweikampf durch den Anbot der
Wahlverbrüdernng Pobratimi geworden. In solchen Fällen pflegt der bloße Zuruf
ohne irgend eine Ceremonie, oft sogar ohne Schwur bindend zu sein, grade als
wäre das Pobratimstvo in bester Form geschlossen worden.

Einen interessanten Fall einer solchen Wahlverbrüderung zwischen Christ und
Muselmann theile ich Ihnen hier mit. Derselbe hat sich erst vor drei Jahren'
zugetragen, und beide Helden dieser Geschichte leben noch und sind bekannt in der
ganzen Herzegovina.

In der alten Stadt Mostar wohnt noch heute der Renegat Spaho Spain,
ein wilder gefährlicher Mensch, der in der ganzen Herzegovina gefürchtet war von
Christen und Muselmännern; selbst die echten Vollblut-Osmanlis hatten seltsamen
Respekt vor ihm und gingen ihm allenthalben ans dem Wege. Er stand bei ihnen
in dem Gewch eines Besessenen, von Edusa's Hauch Angewehten und war bekannt
unter dein Beinamen Delifischek, der Tobsüchtige. Vor Spaho Spain's Zorneswuth
hielt sich nicht einmal der strenge Gebieter der Nahia von Mostar, Ali Pascha
Stocewic (Stotschewitsch) für sicher; um vor ihm Ruhe zu haben, ernannte er ihn
zu seinem Oberstallmeister in nulii)"" mllclelium und zahlte ihm einen ansehnlichen
Jahrgehalt. Svccho's Toben war zumeist gegen seine armen christlichen Stammes¬
genossen gerichtet. Die Christen überfiel und mißhandelte er, plünderte sie aus,
zündete ihre Hütten an -und führte ih" Weiber fort in seinen Harem nach Mostar.
Wenn ihm auf der Heerstraße -ein Christ zu Pferde begegnete, mußte dieser von
Weitem schVN absteigen, eine gute Strecke seitab weichen und seine Waffen, wenn
er welche bei sich trug, mit dem Mantel bedecken, sonst wehe ihm! -- schon
mancher arme Teufel hatte bei solchen Begegnungen sein Leben unter Spaho's
'Hieben ausgehaucht oder war für die ganze Lebenszeit ein Krüppel geworden.


Blutschande. Das Volkslied läßt einen Bulgaren, der seine Wahlschwester auf
dem Kalimejdan zu Belgrad geküßt, durch einen Blitz vom hellen, wolkenlosen
Himmel erschlagen werden.

Die böhmischen Muhamedaner haben das Pobratimstvo gerade so wie ihre
christlichen Stammesgenossen. Ja die Muhamedaner dort verschmähen es trotz ihrer
Intoleranz nicht, mit Christen ins Pobratimstvo zu treten. In einem solchen Fall
sind die Ceremonien und die Spruchformel der Verbrüderung etwas anders. Ein
Brötchen wird gebrochen, Christ und Muselmann ritzen sich mit dem Handczar in
den rechten Arm, fangen das austräufelude Blut mit'der Brotkrume auf, und
Jeder von Beiden ißt das mit dem Blut des Andern benetzte Stückchen Brot mit
den Worten: „Da si „>i öoxu bi-et na obaclvi«, spot-r!" (Seien wir Brüder
in Gott für beide Welten.)

Wenn Jemand in Noth und Gefahr ist und den ersten besten Unbekannten
seinen Bruder in Gott und Se. Johann nennt, rettet ihn dieser gewiß, denn er
ist unter solchen Umständen sogar verpflichtet, die Wahlverbrüderung anzunehmen.
Oft sind schon zwei bittere Feinde mitten im Zweikampf durch den Anbot der
Wahlverbrüdernng Pobratimi geworden. In solchen Fällen pflegt der bloße Zuruf
ohne irgend eine Ceremonie, oft sogar ohne Schwur bindend zu sein, grade als
wäre das Pobratimstvo in bester Form geschlossen worden.

Einen interessanten Fall einer solchen Wahlverbrüderung zwischen Christ und
Muselmann theile ich Ihnen hier mit. Derselbe hat sich erst vor drei Jahren'
zugetragen, und beide Helden dieser Geschichte leben noch und sind bekannt in der
ganzen Herzegovina.

In der alten Stadt Mostar wohnt noch heute der Renegat Spaho Spain,
ein wilder gefährlicher Mensch, der in der ganzen Herzegovina gefürchtet war von
Christen und Muselmännern; selbst die echten Vollblut-Osmanlis hatten seltsamen
Respekt vor ihm und gingen ihm allenthalben ans dem Wege. Er stand bei ihnen
in dem Gewch eines Besessenen, von Edusa's Hauch Angewehten und war bekannt
unter dein Beinamen Delifischek, der Tobsüchtige. Vor Spaho Spain's Zorneswuth
hielt sich nicht einmal der strenge Gebieter der Nahia von Mostar, Ali Pascha
Stocewic (Stotschewitsch) für sicher; um vor ihm Ruhe zu haben, ernannte er ihn
zu seinem Oberstallmeister in nulii)»« mllclelium und zahlte ihm einen ansehnlichen
Jahrgehalt. Svccho's Toben war zumeist gegen seine armen christlichen Stammes¬
genossen gerichtet. Die Christen überfiel und mißhandelte er, plünderte sie aus,
zündete ihre Hütten an -und führte ih« Weiber fort in seinen Harem nach Mostar.
Wenn ihm auf der Heerstraße -ein Christ zu Pferde begegnete, mußte dieser von
Weitem schVN absteigen, eine gute Strecke seitab weichen und seine Waffen, wenn
er welche bei sich trug, mit dem Mantel bedecken, sonst wehe ihm! — schon
mancher arme Teufel hatte bei solchen Begegnungen sein Leben unter Spaho's
'Hieben ausgehaucht oder war für die ganze Lebenszeit ein Krüppel geworden.


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[0222] Blutschande. Das Volkslied läßt einen Bulgaren, der seine Wahlschwester auf dem Kalimejdan zu Belgrad geküßt, durch einen Blitz vom hellen, wolkenlosen Himmel erschlagen werden. Die böhmischen Muhamedaner haben das Pobratimstvo gerade so wie ihre christlichen Stammesgenossen. Ja die Muhamedaner dort verschmähen es trotz ihrer Intoleranz nicht, mit Christen ins Pobratimstvo zu treten. In einem solchen Fall sind die Ceremonien und die Spruchformel der Verbrüderung etwas anders. Ein Brötchen wird gebrochen, Christ und Muselmann ritzen sich mit dem Handczar in den rechten Arm, fangen das austräufelude Blut mit'der Brotkrume auf, und Jeder von Beiden ißt das mit dem Blut des Andern benetzte Stückchen Brot mit den Worten: „Da si „>i öoxu bi-et na obaclvi«, spot-r!" (Seien wir Brüder in Gott für beide Welten.) Wenn Jemand in Noth und Gefahr ist und den ersten besten Unbekannten seinen Bruder in Gott und Se. Johann nennt, rettet ihn dieser gewiß, denn er ist unter solchen Umständen sogar verpflichtet, die Wahlverbrüderung anzunehmen. Oft sind schon zwei bittere Feinde mitten im Zweikampf durch den Anbot der Wahlverbrüdernng Pobratimi geworden. In solchen Fällen pflegt der bloße Zuruf ohne irgend eine Ceremonie, oft sogar ohne Schwur bindend zu sein, grade als wäre das Pobratimstvo in bester Form geschlossen worden. Einen interessanten Fall einer solchen Wahlverbrüderung zwischen Christ und Muselmann theile ich Ihnen hier mit. Derselbe hat sich erst vor drei Jahren' zugetragen, und beide Helden dieser Geschichte leben noch und sind bekannt in der ganzen Herzegovina. In der alten Stadt Mostar wohnt noch heute der Renegat Spaho Spain, ein wilder gefährlicher Mensch, der in der ganzen Herzegovina gefürchtet war von Christen und Muselmännern; selbst die echten Vollblut-Osmanlis hatten seltsamen Respekt vor ihm und gingen ihm allenthalben ans dem Wege. Er stand bei ihnen in dem Gewch eines Besessenen, von Edusa's Hauch Angewehten und war bekannt unter dein Beinamen Delifischek, der Tobsüchtige. Vor Spaho Spain's Zorneswuth hielt sich nicht einmal der strenge Gebieter der Nahia von Mostar, Ali Pascha Stocewic (Stotschewitsch) für sicher; um vor ihm Ruhe zu haben, ernannte er ihn zu seinem Oberstallmeister in nulii)»« mllclelium und zahlte ihm einen ansehnlichen Jahrgehalt. Svccho's Toben war zumeist gegen seine armen christlichen Stammes¬ genossen gerichtet. Die Christen überfiel und mißhandelte er, plünderte sie aus, zündete ihre Hütten an -und führte ih« Weiber fort in seinen Harem nach Mostar. Wenn ihm auf der Heerstraße -ein Christ zu Pferde begegnete, mußte dieser von Weitem schVN absteigen, eine gute Strecke seitab weichen und seine Waffen, wenn er welche bei sich trug, mit dem Mantel bedecken, sonst wehe ihm! — schon mancher arme Teufel hatte bei solchen Begegnungen sein Leben unter Spaho's 'Hieben ausgehaucht oder war für die ganze Lebenszeit ein Krüppel geworden.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/222>, abgerufen am 24.07.2024.