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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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den Morlachen, erhalten. Ein eigenthümlicher Brauch, der uns bei keinem andern
Volk der Welt bekannt geworden ist; nur die Scythen des Alterthums, wie sie
uns Lucian Toxaris schildert, hatten etwas Aehnliches.

Das Pobratimstvo (von modi-delli, verbrüdern) ist ein Gelübde unverbrüch¬
licher Freundschaft zwischen zwei Personen, gleichviel welchen Geschlechts und Alters,
gleichviel welcher Religion, ob Altgläubige, Katholiken oder Moslemin; solche
Freundschaft wird höher und heiliger gehalten als alle Bande des Blutes; der
Wahlbruder (nabiittim) gilt Mehr als der leibliche, denn dieser -- sagt das Volk --
ist nur durch das Blut verwandt, der Wahlbruder aber durch deu Geist des drei¬
einigen Gottes. Gewöhnlich wird das Pobratimstvo in der Jugend, vom fünf¬
zehnten bis zum achtzehnten oder zwanzigsten Jahr geschlossen, in der Regel um
das Fest Se. Johanns des Täufers, des Wahlbruders Christi, wie die Serben
ihn nennen.

Die sich so verbinden wollen, kommen des Abends kurz vor Sonnenuntergang
an einem bebuschten Platz im Garten, in manchen Gegenden auch auf dem Kirch¬
hofe beim Grabe ihrer Eltern zusammen, winden Kränze aus Eichenlaub, reichen
einander die Hände und küssen sich knieend dnrch die Kränze, eine Verschwistenmgs-
formel sprechend. Am andern Morgen gehen Beide, Arm in Arm, von Zeugen
begleitet, zur Kirche und wiederholen vor dem Popen das Gelübde 'unverbrüchlicher
Wahlverschwisteruug. Dreimal frägt einer den Andern: "Primas-II so^a I sve-
tvAil ^vo-ma?" (Erkennst du Gott und den heiligen Johannes?) Die Antwort
lautet dreimal: "?rin>lui>!" (Ich erkenne.) Hierauf küssen sich Beide auf die Stirn
mit den Worten: "0<1 et-all.8 an, suo alö vekii, brütet!" (Von heute sind wir für
ewig Brüder). In einigen Kreisen des serbischen Fürstenthums, besonders in der
Umgegend von Belgrad wird seit etwa einem halben Jahrhundert die kirchliche
Ceremonie bisweilen ausgelassen, ohne daß dadurch die Wahlverbrüderung an
Kraft und Giltigknt etwas verloren. Die serbische Wahlverbrüderung wird nur
einmal geschlossen und gilt für's ganze LebenWahlgeschwister müssen einander
beistehen in jeder Lage, in Noth und Tod.

"Beim Haupt meines Wahlbruders!" oder "meiner Wahlschwester!" (nosestrins)
ist ihnen ein gewichtigerer Schwur als beim Haupt des Vaters oder der Mutter.
Eine Beleidigung der Wahlschwester muß deren Wahlbrnder rein waschen mit dein
Blut des Beleidigers. So zart und edel ist dies Verhältniß, daß seit dem Kuß
vor dem Popen -- oder wenn keine kirchliche Einsegnung stattfand, beim Kränze¬
winden -- kein zweiter stattfinden darf unter Wahlgeschwistern, noch sonst eine
ähnliche Vertraulichkeit. Die unbedeutendste Liebelei eines Pobratim mit seiner
Wahlschwester wird für eine Todsünde gehalten, für strafwürdiger noch als selbst



*) Was Ranke in seiner sonst äußerst schätzbaren "Geschichte der serbischen Revolution"
vom Pobratimstvo erzählt, ist ungenau.

den Morlachen, erhalten. Ein eigenthümlicher Brauch, der uns bei keinem andern
Volk der Welt bekannt geworden ist; nur die Scythen des Alterthums, wie sie
uns Lucian Toxaris schildert, hatten etwas Aehnliches.

Das Pobratimstvo (von modi-delli, verbrüdern) ist ein Gelübde unverbrüch¬
licher Freundschaft zwischen zwei Personen, gleichviel welchen Geschlechts und Alters,
gleichviel welcher Religion, ob Altgläubige, Katholiken oder Moslemin; solche
Freundschaft wird höher und heiliger gehalten als alle Bande des Blutes; der
Wahlbruder (nabiittim) gilt Mehr als der leibliche, denn dieser — sagt das Volk —
ist nur durch das Blut verwandt, der Wahlbruder aber durch deu Geist des drei¬
einigen Gottes. Gewöhnlich wird das Pobratimstvo in der Jugend, vom fünf¬
zehnten bis zum achtzehnten oder zwanzigsten Jahr geschlossen, in der Regel um
das Fest Se. Johanns des Täufers, des Wahlbruders Christi, wie die Serben
ihn nennen.

Die sich so verbinden wollen, kommen des Abends kurz vor Sonnenuntergang
an einem bebuschten Platz im Garten, in manchen Gegenden auch auf dem Kirch¬
hofe beim Grabe ihrer Eltern zusammen, winden Kränze aus Eichenlaub, reichen
einander die Hände und küssen sich knieend dnrch die Kränze, eine Verschwistenmgs-
formel sprechend. Am andern Morgen gehen Beide, Arm in Arm, von Zeugen
begleitet, zur Kirche und wiederholen vor dem Popen das Gelübde 'unverbrüchlicher
Wahlverschwisteruug. Dreimal frägt einer den Andern: „Primas-II so^a I sve-
tvAil ^vo-ma?" (Erkennst du Gott und den heiligen Johannes?) Die Antwort
lautet dreimal: „?rin>lui>!" (Ich erkenne.) Hierauf küssen sich Beide auf die Stirn
mit den Worten: „0<1 et-all.8 an, suo alö vekii, brütet!" (Von heute sind wir für
ewig Brüder). In einigen Kreisen des serbischen Fürstenthums, besonders in der
Umgegend von Belgrad wird seit etwa einem halben Jahrhundert die kirchliche
Ceremonie bisweilen ausgelassen, ohne daß dadurch die Wahlverbrüderung an
Kraft und Giltigknt etwas verloren. Die serbische Wahlverbrüderung wird nur
einmal geschlossen und gilt für's ganze LebenWahlgeschwister müssen einander
beistehen in jeder Lage, in Noth und Tod.

„Beim Haupt meines Wahlbruders!" oder „meiner Wahlschwester!" (nosestrins)
ist ihnen ein gewichtigerer Schwur als beim Haupt des Vaters oder der Mutter.
Eine Beleidigung der Wahlschwester muß deren Wahlbrnder rein waschen mit dein
Blut des Beleidigers. So zart und edel ist dies Verhältniß, daß seit dem Kuß
vor dem Popen — oder wenn keine kirchliche Einsegnung stattfand, beim Kränze¬
winden — kein zweiter stattfinden darf unter Wahlgeschwistern, noch sonst eine
ähnliche Vertraulichkeit. Die unbedeutendste Liebelei eines Pobratim mit seiner
Wahlschwester wird für eine Todsünde gehalten, für strafwürdiger noch als selbst



*) Was Ranke in seiner sonst äußerst schätzbaren „Geschichte der serbischen Revolution"
vom Pobratimstvo erzählt, ist ungenau.
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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/221>, abgerufen am 24.07.2024.