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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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blicks wird die Classe der Gebildeten von den Demagogen überflügelt, die Macht
des Verstandes von der Macht der Lunge. Wir können um und nimmer mit den
Demokraten gemeinsam handeln, die Geschichte hat uns getrennt, unsre Wege gehn
für immer auseinander. Wollen wir es vergessen, so rufen es die Chorführer der
Demokratie uns täglich in's Gedächtniß. Ich erinnere an das letzte Manifest des
Herrn Nodbertus.

Wir sind auf die parlamentarische Thätigkeit angewiesen. Wenn wir in der-
selben für den Augenblick nichts Positives erreichen, so hindern wir wenigstens,
daß unter dem Schein des Gesetzes der Wahnsinn der extremen Partei dem Lande
aufgebürdet wird. Wir haben die Kraft, es zu hindern, auch wenn die Demo¬
kraten fortfahren, uns allein den Kampfplatz zu überlassen; denn man ziehe die
Grenze des stimmberechtigten Volks so enge als man will, gegen die ausgesprochne
Tollheit ist der gesunde Menschenverstand stets in der Majorität.

Freilich müssen wir für den Augenblick unsere Aussichten auf das niedrigste
Maß herabspannen, denn noch ist die Fluth der Reaction im Steigen. Schon
hören wir das nnheilschwangre Geschrei der vormärzlichen Nachteulen. In ihrem
Leitartikel begnügt sich die Kreuzzeitung, über den Sieg der guten Gesinnung,
die Niederlage auch der zahmen Revolution und die Erneuung der heiligen Alli¬
anz zu tnumphireu, und den König aufzufordern, durch Verweigerung deö Eides
auf die Verfassung den Sieg zu vollenden. Aber dahinter kommt Herr Huber,
der alte Janus, und jammert auch über die neue Verfassung als den Sieg
der Revolution. Ich sehe auch in der That nicht ein, was den König jetzt ver¬
anlassen sollte, die Verfassung zu beschwören. Etwa das Wort des Herrn von
Manteuffel?!

Ich weiß aber auch nicht, was unter diesen Umständen die Fabel vom Bun¬
desstaat noch weiter soll. Mit dem Erfurter Reichstag verhält es sich wesentlich
anders, als mit den preußischen Kammern. I". Berlin kommt es zu Beschlüssen
über Dinge, die unser Wohl und Wehe angehn, so oder anders, je nachdem wir
hingehen oder nicht. In Erfurt aber kommt es zu keinem Beschluß, und es ist
vollkommen gleichgiltig, ob wir uus auf die Bänke der Augustinerkirche nieder¬
lassen. Ich schreibe das in trübem Muth, aber was nutzt das Leugnen! Das
in christlich germanischem Sinn revidirte und unter Oestreichs Einfluß zurückge¬
führte Preußen kann den Manteuffel-Nadowitz'schen Entwurf nicht ertragen, und
einen andern auch uicht. Die preußische Polizei in die kleinen Staaten einzufüh¬
ren -- nnn dazu bedarf es des Bundesstaats nicht. Herr v. Radowitz darf bei
Herrn v. Kübeck nur ein gutes Wort einlegen, und ich versichere ihn, in diesem
Fall wird er keine Fehlbitte thun. Preußen hat seinen eignen Erklärungen im
Verwaltungsrath durch seine Bevollmächtigten im Interim ein förmliches Dementi
gegeben; der revidirte Radowitz ist eine Widerlegung des Mai-Radowitz. Preußen
hat, ehe es sich aus seiner absolutistischen Anarchie nicht wieder durch eigene Kraft


blicks wird die Classe der Gebildeten von den Demagogen überflügelt, die Macht
des Verstandes von der Macht der Lunge. Wir können um und nimmer mit den
Demokraten gemeinsam handeln, die Geschichte hat uns getrennt, unsre Wege gehn
für immer auseinander. Wollen wir es vergessen, so rufen es die Chorführer der
Demokratie uns täglich in's Gedächtniß. Ich erinnere an das letzte Manifest des
Herrn Nodbertus.

Wir sind auf die parlamentarische Thätigkeit angewiesen. Wenn wir in der-
selben für den Augenblick nichts Positives erreichen, so hindern wir wenigstens,
daß unter dem Schein des Gesetzes der Wahnsinn der extremen Partei dem Lande
aufgebürdet wird. Wir haben die Kraft, es zu hindern, auch wenn die Demo¬
kraten fortfahren, uns allein den Kampfplatz zu überlassen; denn man ziehe die
Grenze des stimmberechtigten Volks so enge als man will, gegen die ausgesprochne
Tollheit ist der gesunde Menschenverstand stets in der Majorität.

Freilich müssen wir für den Augenblick unsere Aussichten auf das niedrigste
Maß herabspannen, denn noch ist die Fluth der Reaction im Steigen. Schon
hören wir das nnheilschwangre Geschrei der vormärzlichen Nachteulen. In ihrem
Leitartikel begnügt sich die Kreuzzeitung, über den Sieg der guten Gesinnung,
die Niederlage auch der zahmen Revolution und die Erneuung der heiligen Alli¬
anz zu tnumphireu, und den König aufzufordern, durch Verweigerung deö Eides
auf die Verfassung den Sieg zu vollenden. Aber dahinter kommt Herr Huber,
der alte Janus, und jammert auch über die neue Verfassung als den Sieg
der Revolution. Ich sehe auch in der That nicht ein, was den König jetzt ver¬
anlassen sollte, die Verfassung zu beschwören. Etwa das Wort des Herrn von
Manteuffel?!

Ich weiß aber auch nicht, was unter diesen Umständen die Fabel vom Bun¬
desstaat noch weiter soll. Mit dem Erfurter Reichstag verhält es sich wesentlich
anders, als mit den preußischen Kammern. I». Berlin kommt es zu Beschlüssen
über Dinge, die unser Wohl und Wehe angehn, so oder anders, je nachdem wir
hingehen oder nicht. In Erfurt aber kommt es zu keinem Beschluß, und es ist
vollkommen gleichgiltig, ob wir uus auf die Bänke der Augustinerkirche nieder¬
lassen. Ich schreibe das in trübem Muth, aber was nutzt das Leugnen! Das
in christlich germanischem Sinn revidirte und unter Oestreichs Einfluß zurückge¬
führte Preußen kann den Manteuffel-Nadowitz'schen Entwurf nicht ertragen, und
einen andern auch uicht. Die preußische Polizei in die kleinen Staaten einzufüh¬
ren — nnn dazu bedarf es des Bundesstaats nicht. Herr v. Radowitz darf bei
Herrn v. Kübeck nur ein gutes Wort einlegen, und ich versichere ihn, in diesem
Fall wird er keine Fehlbitte thun. Preußen hat seinen eignen Erklärungen im
Verwaltungsrath durch seine Bevollmächtigten im Interim ein förmliches Dementi
gegeben; der revidirte Radowitz ist eine Widerlegung des Mai-Radowitz. Preußen
hat, ehe es sich aus seiner absolutistischen Anarchie nicht wieder durch eigene Kraft


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/215>, abgerufen am 04.07.2024.