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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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dann werfe man die letzte Hülle des Constitutionalismus von sich und spreche als
Gebieter. --

Mit der nämlichen Offenheit erklärte Herr von Manteuffel kurz vor der Ab¬
stimmung, daß die Verwerfung der königlichen Propositionen nicht nur eine Ka-
binetskrisis, sondern auch eine Veränderung der Regierungsform nach sich ziehen
würde; er deutete daraus hin, daß das neue Ministerium sowohl in Beziehung
auf die innere Verfassung, als auf die deutsche Angelegenheit von den entgegenge¬
setzten Grundsätzen ausgehen würde, als das restannrte November-Preußen. Ebenso
deutete er darauf hin, daß im Fall der Annahme die Verfassung als beendigt an¬
zusehen sei, ohne es aber bestimmt auszusprechen, daß alsdann auch das Siegel
der Vollendung, der königliche Eid, erfolgen werde.

Die Furcht vor dem Ministerium Gerlach einerseits u"d den Demokraten
andrerseits hat also die Männer der rechten Mitte bestimmt, sich auf Gnade und
Ungnade zu ergeben. Denn daß die Amendements, namentlich das des Grafen Arnim
-- der Aufschub der definitiven Pairs-Ernennung bis zum Jahre 1852 -- nichts
waren, als eine bequeme Formel, die feigen Gewissen zu salviren, wird der edle
Graf am Besten wissen. Er kennt die Praxis dieser nichtssagenden Vermittelung
schon vom vereinigten Landtage her.

Es ist daher ein schlimmes Zeichen für die allgemeine Depravation, wenn
einzelne constitutionelle Organe diese vollständige Niederlage der konstitutionellen
Partei zu bemänteln suchen. Noch wunderlicher nimmt sich der Jubel der Demo¬
kraten aus. Sie schieben den Liberalen die Schuld dieses neuen Sieges der Reaction
in die Schuhe; und doch haben gerade die Liberalen in heißem Kampf für die
gute Sache des Rechts sich abgemüht, während die Demokraten zu Hause saßen
und mit dem Muthwillen eines Berliner Flaneurs dem Wechsel der Ereignisse zu¬
sahen. Durch ihre Desertion vom Schlachtfeld haben die Demokraten das Ueber¬
gewicht der ultra-conservativen Partei entschieden, und außerdem die Blasirtheit
des Volks gegen alles konstitutionelle, alles politische Wesen überhaupt, durch
künstliche Intriguen gesteigert. Ja zum Ueberfluß sind es die Freunde und Schütz¬
linge der Demokratie, die Polen gewesen, welche dadurch, daß sie sich der Ab¬
stimmung enthielten, die Annahme des Amendements Arnim entschieden. Der
Pessimismus ist ein wunderbares Zeugniß geistiger Verkehrtheit. Wahrlich, sie
lachen mit fremden Backen! Sie sind ja die Ersten, welche der Schlag trifft!
Was hilft es, wenn sie gegen die Beschlüsse der Minoritätskammern Protestiren!
Das Ausnahmegericht, das über ihre Führer das Urtheil spricht, wird so wenig
nach diesem Protest fragen, als der Büttel, der sie ins Zuchthaus sperrt. Frei¬
lich! sie pochen auf eine neue Revolution! die Helden des passiven Widerstandes,
die Wrangel durch ihre souveräne Verachtung bezwungen haben!

Aber lassen wir die Demokraten bei Seite, und fragen , was uns selber zu
thun bleibt. Sollen wir nach unserer Niederlage, wie die Demokraten im Mai,


dann werfe man die letzte Hülle des Constitutionalismus von sich und spreche als
Gebieter. —

Mit der nämlichen Offenheit erklärte Herr von Manteuffel kurz vor der Ab¬
stimmung, daß die Verwerfung der königlichen Propositionen nicht nur eine Ka-
binetskrisis, sondern auch eine Veränderung der Regierungsform nach sich ziehen
würde; er deutete daraus hin, daß das neue Ministerium sowohl in Beziehung
auf die innere Verfassung, als auf die deutsche Angelegenheit von den entgegenge¬
setzten Grundsätzen ausgehen würde, als das restannrte November-Preußen. Ebenso
deutete er darauf hin, daß im Fall der Annahme die Verfassung als beendigt an¬
zusehen sei, ohne es aber bestimmt auszusprechen, daß alsdann auch das Siegel
der Vollendung, der königliche Eid, erfolgen werde.

Die Furcht vor dem Ministerium Gerlach einerseits u»d den Demokraten
andrerseits hat also die Männer der rechten Mitte bestimmt, sich auf Gnade und
Ungnade zu ergeben. Denn daß die Amendements, namentlich das des Grafen Arnim
— der Aufschub der definitiven Pairs-Ernennung bis zum Jahre 1852 — nichts
waren, als eine bequeme Formel, die feigen Gewissen zu salviren, wird der edle
Graf am Besten wissen. Er kennt die Praxis dieser nichtssagenden Vermittelung
schon vom vereinigten Landtage her.

Es ist daher ein schlimmes Zeichen für die allgemeine Depravation, wenn
einzelne constitutionelle Organe diese vollständige Niederlage der konstitutionellen
Partei zu bemänteln suchen. Noch wunderlicher nimmt sich der Jubel der Demo¬
kraten aus. Sie schieben den Liberalen die Schuld dieses neuen Sieges der Reaction
in die Schuhe; und doch haben gerade die Liberalen in heißem Kampf für die
gute Sache des Rechts sich abgemüht, während die Demokraten zu Hause saßen
und mit dem Muthwillen eines Berliner Flaneurs dem Wechsel der Ereignisse zu¬
sahen. Durch ihre Desertion vom Schlachtfeld haben die Demokraten das Ueber¬
gewicht der ultra-conservativen Partei entschieden, und außerdem die Blasirtheit
des Volks gegen alles konstitutionelle, alles politische Wesen überhaupt, durch
künstliche Intriguen gesteigert. Ja zum Ueberfluß sind es die Freunde und Schütz¬
linge der Demokratie, die Polen gewesen, welche dadurch, daß sie sich der Ab¬
stimmung enthielten, die Annahme des Amendements Arnim entschieden. Der
Pessimismus ist ein wunderbares Zeugniß geistiger Verkehrtheit. Wahrlich, sie
lachen mit fremden Backen! Sie sind ja die Ersten, welche der Schlag trifft!
Was hilft es, wenn sie gegen die Beschlüsse der Minoritätskammern Protestiren!
Das Ausnahmegericht, das über ihre Führer das Urtheil spricht, wird so wenig
nach diesem Protest fragen, als der Büttel, der sie ins Zuchthaus sperrt. Frei¬
lich! sie pochen auf eine neue Revolution! die Helden des passiven Widerstandes,
die Wrangel durch ihre souveräne Verachtung bezwungen haben!

Aber lassen wir die Demokraten bei Seite, und fragen , was uns selber zu
thun bleibt. Sollen wir nach unserer Niederlage, wie die Demokraten im Mai,


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[0213] dann werfe man die letzte Hülle des Constitutionalismus von sich und spreche als Gebieter. — Mit der nämlichen Offenheit erklärte Herr von Manteuffel kurz vor der Ab¬ stimmung, daß die Verwerfung der königlichen Propositionen nicht nur eine Ka- binetskrisis, sondern auch eine Veränderung der Regierungsform nach sich ziehen würde; er deutete daraus hin, daß das neue Ministerium sowohl in Beziehung auf die innere Verfassung, als auf die deutsche Angelegenheit von den entgegenge¬ setzten Grundsätzen ausgehen würde, als das restannrte November-Preußen. Ebenso deutete er darauf hin, daß im Fall der Annahme die Verfassung als beendigt an¬ zusehen sei, ohne es aber bestimmt auszusprechen, daß alsdann auch das Siegel der Vollendung, der königliche Eid, erfolgen werde. Die Furcht vor dem Ministerium Gerlach einerseits u»d den Demokraten andrerseits hat also die Männer der rechten Mitte bestimmt, sich auf Gnade und Ungnade zu ergeben. Denn daß die Amendements, namentlich das des Grafen Arnim — der Aufschub der definitiven Pairs-Ernennung bis zum Jahre 1852 — nichts waren, als eine bequeme Formel, die feigen Gewissen zu salviren, wird der edle Graf am Besten wissen. Er kennt die Praxis dieser nichtssagenden Vermittelung schon vom vereinigten Landtage her. Es ist daher ein schlimmes Zeichen für die allgemeine Depravation, wenn einzelne constitutionelle Organe diese vollständige Niederlage der konstitutionellen Partei zu bemänteln suchen. Noch wunderlicher nimmt sich der Jubel der Demo¬ kraten aus. Sie schieben den Liberalen die Schuld dieses neuen Sieges der Reaction in die Schuhe; und doch haben gerade die Liberalen in heißem Kampf für die gute Sache des Rechts sich abgemüht, während die Demokraten zu Hause saßen und mit dem Muthwillen eines Berliner Flaneurs dem Wechsel der Ereignisse zu¬ sahen. Durch ihre Desertion vom Schlachtfeld haben die Demokraten das Ueber¬ gewicht der ultra-conservativen Partei entschieden, und außerdem die Blasirtheit des Volks gegen alles konstitutionelle, alles politische Wesen überhaupt, durch künstliche Intriguen gesteigert. Ja zum Ueberfluß sind es die Freunde und Schütz¬ linge der Demokratie, die Polen gewesen, welche dadurch, daß sie sich der Ab¬ stimmung enthielten, die Annahme des Amendements Arnim entschieden. Der Pessimismus ist ein wunderbares Zeugniß geistiger Verkehrtheit. Wahrlich, sie lachen mit fremden Backen! Sie sind ja die Ersten, welche der Schlag trifft! Was hilft es, wenn sie gegen die Beschlüsse der Minoritätskammern Protestiren! Das Ausnahmegericht, das über ihre Führer das Urtheil spricht, wird so wenig nach diesem Protest fragen, als der Büttel, der sie ins Zuchthaus sperrt. Frei¬ lich! sie pochen auf eine neue Revolution! die Helden des passiven Widerstandes, die Wrangel durch ihre souveräne Verachtung bezwungen haben! Aber lassen wir die Demokraten bei Seite, und fragen , was uns selber zu thun bleibt. Sollen wir nach unserer Niederlage, wie die Demokraten im Mai,

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/213>, abgerufen am 24.07.2024.