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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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noch steht jede Kleinigkeit jener Stunde vor Vecsey's Wagen in meiner Seele,
nicht nur die Worte, welche gesprochen wurden, auch die Mienen der Einzelnen,
die Beschaffenheit ihrer Uniform, die Stellung der Aeste und Zweige an den Bäu¬
men, Alles sah ich, während meine Ohren das Furchtbarste hörten, den kläglichen
Ausgang der größten Sache. Und so lange ich lebe werden die Einzelheiten die¬
ser Stunde nicht vergehen aus meinem Gedächtniß.

Mit Aufgang der Sonne traten die Corps unter die Waffen. Weder die
CovpS, noch die einzelnen Abtheilungen derselben wußten sicher, wohin der leitende
Wille ihres Führers sie ziehen wollte. Und jetzt begann eine Auflösung der Heere,
die sich am Besten mit einer chemischen Zersetzung vergleichen läßt. Die Batail¬
lone lösten sich in Compagnien, die Compagnien in noch kleinere Theile auf, die
Einen zogen zu Bem, die Andern zu Necsey. Vou Vecsey's Corps hatten sich
nur kleinere Haufen getrennt, aber von Kmety und Guyon zogen unregelmäßig
in halber Auflösung ganze Züge auf der Spur des vertrauenden Freundes von
Görgey. Ans der Landstraße aber und in den Gassen der Stadt entstand ein
tolles Durcheinander, die Anhänger Bem's drängten nach Osten, die Andern nach
Westen uach Lugos zurück, überall ein Stoßen, Schreien und Hadern. Auf dem
Marktplatz von Facset hielt eine Schwadron von Vecsey's Husaren, sie weigerten
sich, zurückzuziehen nach Villagos. Die Leute fluchten und zogen die Säbel, wohl
eine Stunde schrien und drohten sie in einander. Endlich waren sie verschwunden,
Niemand hatte Zeit zu fragen, wohin. Die Schaaren, welche nach Siebenbürgen
zogen, eilten mit einer Hast vorwärts, als ob der Feind ans ihren Fersen sei, sie
stopften die Brücke, welche hinter Facset über den Bach führt, sie stopften die
Passagen durch deu Bach selbst, Menschen, Karren, Kanonen und Pferde bildeten
einen verworrenen Knäuel, wie auf verzweifelter Flucht.

Das war das Ende der ungarischen Revolution. Vecsey ging nach Villagos
in sein Verhängniß, und Bem kam nicht bis Dvbra, obgleich das nicht viel über
drei Stunden von Facset entfernt ist. Noch auf dem Marsch debandirte sein Heer,
die Gemeinen erfuhren jetzt erst vollständig, worum es sich handle, und die Ein¬
zelnen faßten ihren Entschluß und "ahme" Partei. Manche wollten zur Heimath,
Viele zur "Föderation" mit den Russen gehen. Die Corps waren aufgelöst, bevor
sie die Berge Siebenbürgens überstiegen hatten. -- Bem aber ging mit Guyon
und Kmety nach Orsova zu deu Türken.




noch steht jede Kleinigkeit jener Stunde vor Vecsey's Wagen in meiner Seele,
nicht nur die Worte, welche gesprochen wurden, auch die Mienen der Einzelnen,
die Beschaffenheit ihrer Uniform, die Stellung der Aeste und Zweige an den Bäu¬
men, Alles sah ich, während meine Ohren das Furchtbarste hörten, den kläglichen
Ausgang der größten Sache. Und so lange ich lebe werden die Einzelheiten die¬
ser Stunde nicht vergehen aus meinem Gedächtniß.

Mit Aufgang der Sonne traten die Corps unter die Waffen. Weder die
CovpS, noch die einzelnen Abtheilungen derselben wußten sicher, wohin der leitende
Wille ihres Führers sie ziehen wollte. Und jetzt begann eine Auflösung der Heere,
die sich am Besten mit einer chemischen Zersetzung vergleichen läßt. Die Batail¬
lone lösten sich in Compagnien, die Compagnien in noch kleinere Theile auf, die
Einen zogen zu Bem, die Andern zu Necsey. Vou Vecsey's Corps hatten sich
nur kleinere Haufen getrennt, aber von Kmety und Guyon zogen unregelmäßig
in halber Auflösung ganze Züge auf der Spur des vertrauenden Freundes von
Görgey. Ans der Landstraße aber und in den Gassen der Stadt entstand ein
tolles Durcheinander, die Anhänger Bem's drängten nach Osten, die Andern nach
Westen uach Lugos zurück, überall ein Stoßen, Schreien und Hadern. Auf dem
Marktplatz von Facset hielt eine Schwadron von Vecsey's Husaren, sie weigerten
sich, zurückzuziehen nach Villagos. Die Leute fluchten und zogen die Säbel, wohl
eine Stunde schrien und drohten sie in einander. Endlich waren sie verschwunden,
Niemand hatte Zeit zu fragen, wohin. Die Schaaren, welche nach Siebenbürgen
zogen, eilten mit einer Hast vorwärts, als ob der Feind ans ihren Fersen sei, sie
stopften die Brücke, welche hinter Facset über den Bach führt, sie stopften die
Passagen durch deu Bach selbst, Menschen, Karren, Kanonen und Pferde bildeten
einen verworrenen Knäuel, wie auf verzweifelter Flucht.

Das war das Ende der ungarischen Revolution. Vecsey ging nach Villagos
in sein Verhängniß, und Bem kam nicht bis Dvbra, obgleich das nicht viel über
drei Stunden von Facset entfernt ist. Noch auf dem Marsch debandirte sein Heer,
die Gemeinen erfuhren jetzt erst vollständig, worum es sich handle, und die Ein¬
zelnen faßten ihren Entschluß und »ahme» Partei. Manche wollten zur Heimath,
Viele zur „Föderation" mit den Russen gehen. Die Corps waren aufgelöst, bevor
sie die Berge Siebenbürgens überstiegen hatten. — Bem aber ging mit Guyon
und Kmety nach Orsova zu deu Türken.




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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/202>, abgerufen am 04.07.2024.