Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

Bild:
<< vorherige Seite

Kanone den Weg nach Siebenbürgen zu sperren, dort wollen wir uns reorganisiren
und dann den Feind mit erneuter Kraft angreifen und schlagen. Glauben Sie
nicht, daß wir schwach sind, wir sind noch stark, ja mächtig, wenn wir wollen, und
es wäre eine Schmach, sich mit 40,000 Mann zu ergeben*). -- Da siel Vecsey
ein und rief mit Erbitterung: Aber ich bitte, Herr Feldmarschalllieutnant, wie den-
ken Sie Ihr Heer zu verpflegen? In dem ausgehungerten Siebenbürgen werden
Sie doch wohl keine Lebensmittel für dasselbe finden. Und der Feind rückt uns
auf dem Fuße uach und sperrt die Zufuhr auf allen Seiten. Darauf Bem: Wenn
der Walach das ganze Jahr hindurch von Kukuruzbrot leben kann, so wird doch
ein Soldat, der für die heiligste Sache der Menschheit kämpft, bei derselben Kost
leben können. Ich werde, wie immer, dein Heere mit meinem Beispiel vorangehen
und die meiner Meinung sind, hoffe ich, werden mir folgen. Thun Sie also, wie
Ihnen gut dünkt. Gute Nacht, meine Herren! -- Mit diesen Worten schritt er
nachlässig grüßend aus dem Kreise, bestieg seinen Wagen und fuhr davon. Die
Honveds von Vecsey's Lager aber riefen ihm stürmische Eljen nach. Die Armen
wußten noch nicht, wie es mit ihnen stand. -- Nach Bem's Entfernung begann
eine Debatte, stürmisch und leidenschaftlich bewegt, wie unser Inneres war. Zu¬
nächst von vielen Seiten die bestürzte Frage, weshalb diese Scene? Die Meisten
von uns konnten leider darauf schon Antwort geben: Es ist die Aufforderung
von Görgey an Vecsey gekommen, mit seinem Corps nach Villagos zu gehen und
sich dort mit den Russen zu vereinigen. Das Wort "ergeben" wurde uicht
gehört, und die allgemeine Auffassung von Görgey's Aufforderung war, daß er
eine Convention mit Rußland geschlossen habe und Rußland als Vertreter der
ungarischen Interessen auftrete. Ich habe Grund zu glauben, daß die Führer
selbst diese Meinung theilten, sicher wenigstens ist, daß sie den "Verrath" Gör¬
gey's in seiner ganzen Ausdehnung nicht ahnten.

Der Streit der Ansichten wurde im Kriegsrathe mit der größten Erbitterung
geführt, Drohungen und Forderungen tobten durcheinander. Die Verwirrung
wurde noch dadurch vermehrt, daß die einzelnen Offiziercorps selbst sich spalteten,
mehrere Offiziere vou Vecsey's Corps sprachen für Bem, dagegen wieder Offiziere
von den Abtheilungen Guyon und Kmety, deren Führer sich schon früher an Bem
geschlossen hatten und deshalb von dem Kriegsraty fern geblieben waren, verthei¬
digten den Anschluß an Görgey. Die Nacht trennte die Leidenschaftlichen. --
Was war das für eine Nacht! Die Soldaten sangen, aßen und tranken und
überließen sich zuletzt sorglos der Ruhe; uus aber, die wir die verhängnißvolle
Scene und die finstere Ahnung in uns trugen, blieb der Schlummer fern. Jetzt



*) Die Zahl war nicht sehr übertriebe", die vereinigten Corps zählten noch an Z0MO
Mann und stündlich schlössen sich neue Häuflein von Flüchtlingen dem Gros an.
Grenzboten. l. i8S0. 25

Kanone den Weg nach Siebenbürgen zu sperren, dort wollen wir uns reorganisiren
und dann den Feind mit erneuter Kraft angreifen und schlagen. Glauben Sie
nicht, daß wir schwach sind, wir sind noch stark, ja mächtig, wenn wir wollen, und
es wäre eine Schmach, sich mit 40,000 Mann zu ergeben*). — Da siel Vecsey
ein und rief mit Erbitterung: Aber ich bitte, Herr Feldmarschalllieutnant, wie den-
ken Sie Ihr Heer zu verpflegen? In dem ausgehungerten Siebenbürgen werden
Sie doch wohl keine Lebensmittel für dasselbe finden. Und der Feind rückt uns
auf dem Fuße uach und sperrt die Zufuhr auf allen Seiten. Darauf Bem: Wenn
der Walach das ganze Jahr hindurch von Kukuruzbrot leben kann, so wird doch
ein Soldat, der für die heiligste Sache der Menschheit kämpft, bei derselben Kost
leben können. Ich werde, wie immer, dein Heere mit meinem Beispiel vorangehen
und die meiner Meinung sind, hoffe ich, werden mir folgen. Thun Sie also, wie
Ihnen gut dünkt. Gute Nacht, meine Herren! — Mit diesen Worten schritt er
nachlässig grüßend aus dem Kreise, bestieg seinen Wagen und fuhr davon. Die
Honveds von Vecsey's Lager aber riefen ihm stürmische Eljen nach. Die Armen
wußten noch nicht, wie es mit ihnen stand. — Nach Bem's Entfernung begann
eine Debatte, stürmisch und leidenschaftlich bewegt, wie unser Inneres war. Zu¬
nächst von vielen Seiten die bestürzte Frage, weshalb diese Scene? Die Meisten
von uns konnten leider darauf schon Antwort geben: Es ist die Aufforderung
von Görgey an Vecsey gekommen, mit seinem Corps nach Villagos zu gehen und
sich dort mit den Russen zu vereinigen. Das Wort „ergeben" wurde uicht
gehört, und die allgemeine Auffassung von Görgey's Aufforderung war, daß er
eine Convention mit Rußland geschlossen habe und Rußland als Vertreter der
ungarischen Interessen auftrete. Ich habe Grund zu glauben, daß die Führer
selbst diese Meinung theilten, sicher wenigstens ist, daß sie den „Verrath" Gör¬
gey's in seiner ganzen Ausdehnung nicht ahnten.

Der Streit der Ansichten wurde im Kriegsrathe mit der größten Erbitterung
geführt, Drohungen und Forderungen tobten durcheinander. Die Verwirrung
wurde noch dadurch vermehrt, daß die einzelnen Offiziercorps selbst sich spalteten,
mehrere Offiziere vou Vecsey's Corps sprachen für Bem, dagegen wieder Offiziere
von den Abtheilungen Guyon und Kmety, deren Führer sich schon früher an Bem
geschlossen hatten und deshalb von dem Kriegsraty fern geblieben waren, verthei¬
digten den Anschluß an Görgey. Die Nacht trennte die Leidenschaftlichen. —
Was war das für eine Nacht! Die Soldaten sangen, aßen und tranken und
überließen sich zuletzt sorglos der Ruhe; uus aber, die wir die verhängnißvolle
Scene und die finstere Ahnung in uns trugen, blieb der Schlummer fern. Jetzt



*) Die Zahl war nicht sehr übertriebe», die vereinigten Corps zählten noch an Z0MO
Mann und stündlich schlössen sich neue Häuflein von Flüchtlingen dem Gros an.
Grenzboten. l. i8S0. 25
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div>
        <div n="1">
          <div n="2">
            <pb facs="#f0201" corresp="http://brema.suub.uni-bremen.de/grenzboten/periodical/pageview/93024"/>
            <p xml:id="ID_616" prev="#ID_615"> Kanone den Weg nach Siebenbürgen zu sperren, dort wollen wir uns reorganisiren<lb/>
und dann den Feind mit erneuter Kraft angreifen und schlagen. Glauben Sie<lb/>
nicht, daß wir schwach sind, wir sind noch stark, ja mächtig, wenn wir wollen, und<lb/>
es wäre eine Schmach, sich mit 40,000 Mann zu ergeben*). &#x2014; Da siel Vecsey<lb/>
ein und rief mit Erbitterung: Aber ich bitte, Herr Feldmarschalllieutnant, wie den-<lb/>
ken Sie Ihr Heer zu verpflegen? In dem ausgehungerten Siebenbürgen werden<lb/>
Sie doch wohl keine Lebensmittel für dasselbe finden. Und der Feind rückt uns<lb/>
auf dem Fuße uach und sperrt die Zufuhr auf allen Seiten. Darauf Bem: Wenn<lb/>
der Walach das ganze Jahr hindurch von Kukuruzbrot leben kann, so wird doch<lb/>
ein Soldat, der für die heiligste Sache der Menschheit kämpft, bei derselben Kost<lb/>
leben können. Ich werde, wie immer, dein Heere mit meinem Beispiel vorangehen<lb/>
und die meiner Meinung sind, hoffe ich, werden mir folgen. Thun Sie also, wie<lb/>
Ihnen gut dünkt.  Gute Nacht, meine Herren! &#x2014; Mit diesen Worten schritt er<lb/>
nachlässig grüßend aus dem Kreise, bestieg seinen Wagen und fuhr davon. Die<lb/>
Honveds von Vecsey's Lager aber riefen ihm stürmische Eljen nach. Die Armen<lb/>
wußten noch nicht, wie es mit ihnen stand. &#x2014; Nach Bem's Entfernung begann<lb/>
eine Debatte, stürmisch und leidenschaftlich bewegt, wie unser Inneres war. Zu¬<lb/>
nächst von vielen Seiten die bestürzte Frage, weshalb diese Scene? Die Meisten<lb/>
von uns konnten leider darauf schon Antwort geben:  Es ist die Aufforderung<lb/>
von Görgey an Vecsey gekommen, mit seinem Corps nach Villagos zu gehen und<lb/>
sich dort mit den Russen zu vereinigen.  Das Wort &#x201E;ergeben" wurde uicht<lb/>
gehört, und die allgemeine Auffassung von Görgey's Aufforderung war, daß er<lb/>
eine Convention mit Rußland geschlossen habe und Rußland als Vertreter der<lb/>
ungarischen Interessen auftrete. Ich habe Grund zu glauben, daß die Führer<lb/>
selbst diese Meinung theilten, sicher wenigstens ist, daß sie den &#x201E;Verrath" Gör¬<lb/>
gey's in seiner ganzen Ausdehnung nicht ahnten.</p><lb/>
            <p xml:id="ID_617" next="#ID_618"> Der Streit der Ansichten wurde im Kriegsrathe mit der größten Erbitterung<lb/>
geführt, Drohungen und Forderungen tobten durcheinander. Die Verwirrung<lb/>
wurde noch dadurch vermehrt, daß die einzelnen Offiziercorps selbst sich spalteten,<lb/>
mehrere Offiziere vou Vecsey's Corps sprachen für Bem, dagegen wieder Offiziere<lb/>
von den Abtheilungen Guyon und Kmety, deren Führer sich schon früher an Bem<lb/>
geschlossen hatten und deshalb von dem Kriegsraty fern geblieben waren, verthei¬<lb/>
digten den Anschluß an Görgey. Die Nacht trennte die Leidenschaftlichen. &#x2014;<lb/>
Was war das für eine Nacht! Die Soldaten sangen, aßen und tranken und<lb/>
überließen sich zuletzt sorglos der Ruhe; uus aber, die wir die verhängnißvolle<lb/>
Scene und die finstere Ahnung in uns trugen, blieb der Schlummer fern. Jetzt</p><lb/>
            <note xml:id="FID_17" place="foot"> *) Die Zahl war nicht sehr übertriebe», die vereinigten Corps zählten noch an Z0MO<lb/>
Mann und stündlich schlössen sich neue Häuflein von Flüchtlingen dem Gros an.</note><lb/>
            <fw type="sig" place="bottom"> Grenzboten. l. i8S0. 25</fw><lb/>
          </div>
        </div>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0201] Kanone den Weg nach Siebenbürgen zu sperren, dort wollen wir uns reorganisiren und dann den Feind mit erneuter Kraft angreifen und schlagen. Glauben Sie nicht, daß wir schwach sind, wir sind noch stark, ja mächtig, wenn wir wollen, und es wäre eine Schmach, sich mit 40,000 Mann zu ergeben*). — Da siel Vecsey ein und rief mit Erbitterung: Aber ich bitte, Herr Feldmarschalllieutnant, wie den- ken Sie Ihr Heer zu verpflegen? In dem ausgehungerten Siebenbürgen werden Sie doch wohl keine Lebensmittel für dasselbe finden. Und der Feind rückt uns auf dem Fuße uach und sperrt die Zufuhr auf allen Seiten. Darauf Bem: Wenn der Walach das ganze Jahr hindurch von Kukuruzbrot leben kann, so wird doch ein Soldat, der für die heiligste Sache der Menschheit kämpft, bei derselben Kost leben können. Ich werde, wie immer, dein Heere mit meinem Beispiel vorangehen und die meiner Meinung sind, hoffe ich, werden mir folgen. Thun Sie also, wie Ihnen gut dünkt. Gute Nacht, meine Herren! — Mit diesen Worten schritt er nachlässig grüßend aus dem Kreise, bestieg seinen Wagen und fuhr davon. Die Honveds von Vecsey's Lager aber riefen ihm stürmische Eljen nach. Die Armen wußten noch nicht, wie es mit ihnen stand. — Nach Bem's Entfernung begann eine Debatte, stürmisch und leidenschaftlich bewegt, wie unser Inneres war. Zu¬ nächst von vielen Seiten die bestürzte Frage, weshalb diese Scene? Die Meisten von uns konnten leider darauf schon Antwort geben: Es ist die Aufforderung von Görgey an Vecsey gekommen, mit seinem Corps nach Villagos zu gehen und sich dort mit den Russen zu vereinigen. Das Wort „ergeben" wurde uicht gehört, und die allgemeine Auffassung von Görgey's Aufforderung war, daß er eine Convention mit Rußland geschlossen habe und Rußland als Vertreter der ungarischen Interessen auftrete. Ich habe Grund zu glauben, daß die Führer selbst diese Meinung theilten, sicher wenigstens ist, daß sie den „Verrath" Gör¬ gey's in seiner ganzen Ausdehnung nicht ahnten. Der Streit der Ansichten wurde im Kriegsrathe mit der größten Erbitterung geführt, Drohungen und Forderungen tobten durcheinander. Die Verwirrung wurde noch dadurch vermehrt, daß die einzelnen Offiziercorps selbst sich spalteten, mehrere Offiziere vou Vecsey's Corps sprachen für Bem, dagegen wieder Offiziere von den Abtheilungen Guyon und Kmety, deren Führer sich schon früher an Bem geschlossen hatten und deshalb von dem Kriegsraty fern geblieben waren, verthei¬ digten den Anschluß an Görgey. Die Nacht trennte die Leidenschaftlichen. — Was war das für eine Nacht! Die Soldaten sangen, aßen und tranken und überließen sich zuletzt sorglos der Ruhe; uus aber, die wir die verhängnißvolle Scene und die finstere Ahnung in uns trugen, blieb der Schlummer fern. Jetzt *) Die Zahl war nicht sehr übertriebe», die vereinigten Corps zählten noch an Z0MO Mann und stündlich schlössen sich neue Häuflein von Flüchtlingen dem Gros an. Grenzboten. l. i8S0. 25

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Staats- und Universitätsbibliothek (SuUB) Bremen: Bereitstellung der Texttranskription.
Kay-Michael Würzner: Bearbeitung der digitalen Edition.

Weitere Informationen:

Verfahren der Texterfassung: OCR mit Nachkorrektur.

Bogensignaturen: gekennzeichnet;Druckfehler: ignoriert;fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet;Geminations-/Abkürzungsstriche: wie Vorlage;Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet;i/j in Fraktur: wie Vorlage;I/J in Fraktur: wie Vorlage;Kolumnentitel: gekennzeichnet;Kustoden: gekennzeichnet;langes s (ſ): als s transkribiert;Normalisierungen: stillschweigend;rundes r (&#xa75b;): als r/et transkribiert;Seitenumbrüche markiert: ja;Silbentrennung: wie Vorlage;u/v bzw. U/V: wie Vorlage;Vokale mit übergest. e: als ä/ö/ü transkribiert;Vollständigkeit: vollständig erfasst;Zeichensetzung: wie Vorlage;Zeilenumbrüche markiert: ja;

Nachkorrektur erfolgte automatisch.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/201
Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/201>, abgerufen am 24.07.2024.