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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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dem furchtbaren Ofen ein kleiner Heerd, aus dem brennendes Kienholz, Stroh oder
Reisig die Stelle eines Lichtes vertritt, und endlich eine Glaölaterue, die als ein
besonderer Luxusartikel neben irgend einem Heiligenbilde hängt, das ist in allen
Theilen des alten Polens der Palast des Bauers. Eine zweite Thüre führt aus
der Stube in den Kuh-, Ziegen- und Schufstall, zu dessen Strohdecke Regale hin¬
laufen, auf welchen die Milchvorräthe in Gelten und Töpfen sich neben altem
Schuhwerk und anderen Dingen befinden.

Der Hütte gegenüber steht die Scheuer mit dem Stalle der beiden herrschaft¬
lichen oder Nobotochsen. Dieser Bau besteht selten aus etwas Anderem, als lie¬
genden jungen Baumstämmen, so daß das Ganze einem Vogelbauer viel ähnlicher
sieht, als einem Gebäude. Von Riegel und Schloß nach unserm Begriff ist nicht
die Rede. Vorgestemmte Knittel oder Schlingen von gedrehten Birkenruthen die¬
nen zur Verwahrung der Thüren. Der ganze Hofraum endlich ist von einer Bar¬
riere unigeben, die weder den Wölfen, noch den Hausthieren der Nachbarn den
Einmarsch verwehrt.

So ungefähr war auch das Ansehen der Gebäude, welche ich auf meinem
Spaziergang sah. Ich trat mit meinem Begleiter in die Hütte seiner Eltern.
Auf meine Frage: wie es den Bauern jetzt gehe, antwortete der alte Bauer:
"sehr gut, Herr, es geht uns sehr gut." "Also besser als früher?" "Nein, nein,
es ist uns immer sehr gut gegangen." Drei Mal wiederholte er die Worte eifrig,
fast ärgerlich. Endlich machte ich ihn gesprächig, er erzählte was folgt:

Vor dem Aufstande waren die Bauern zu aller möglichen Arbeit verpflichtet,
die der Edelmann nur gebrauchen konnte. Selbst den Fischfang mußten die Bauern
besorgen, obschon ein angestellter Fischer im Dorfe wohnte. Diese Verpflichtung
ging von Haus zu Hans so, daß jeder der Reihe nach, mit den herrschaftlichen
Netzen, die bestimmte Portion Fische zu fangen hatte. Diese Verpflichtung, sagte
mein Erzähler mit würdigem Ernst, sei förmlich verloren gegangen: sogar bei dem
großen Fischzuge im Herbst, wo die jungen Bauern haben in das Wasser gehen
müssen, um die Fische aus den Buchten in den "Mittelteich" zu treiben, während
die alten Bauern, die Wirthschaftsinhaber, mit ihren Ochsen das große Netz haben
durchziehen müssen, anch bei diesem großen Fischzuge sei jetzt "keine Noth mehr",
denn jeder Bauer bekomme eine Kanne Branntwein als Bezahlung und derjenige,
welcher beim Auflesen den schwersten Hecht finde, ein großes schönes Kopftuch
für seiue Frau oder Tochter. Bei einer solchen Einrichtung arbeite man gern;
da habe man Lust in der Seele. Wegen des Einsammelns der Pilze und Schlehen
erklärte er mit einer Handschwenknng, daß davon jetzt gar nicht mehr die Rede sein
könne. Früher habe jeder Wirthschaftsinhaber (Gvzpodanz)' vier Maß Schlehen
und einen Viertel Korzec (altpolnischer Scheffel) Pilze an den Herrn liefern
müssen. Da sei es oft nöthig gewesen, Frau und Kinder acht Tage und länger
in den Wald zu schicken, noch dazu in der Ernte und Herbstbestellung. Jetzt ver-


dem furchtbaren Ofen ein kleiner Heerd, aus dem brennendes Kienholz, Stroh oder
Reisig die Stelle eines Lichtes vertritt, und endlich eine Glaölaterue, die als ein
besonderer Luxusartikel neben irgend einem Heiligenbilde hängt, das ist in allen
Theilen des alten Polens der Palast des Bauers. Eine zweite Thüre führt aus
der Stube in den Kuh-, Ziegen- und Schufstall, zu dessen Strohdecke Regale hin¬
laufen, auf welchen die Milchvorräthe in Gelten und Töpfen sich neben altem
Schuhwerk und anderen Dingen befinden.

Der Hütte gegenüber steht die Scheuer mit dem Stalle der beiden herrschaft¬
lichen oder Nobotochsen. Dieser Bau besteht selten aus etwas Anderem, als lie¬
genden jungen Baumstämmen, so daß das Ganze einem Vogelbauer viel ähnlicher
sieht, als einem Gebäude. Von Riegel und Schloß nach unserm Begriff ist nicht
die Rede. Vorgestemmte Knittel oder Schlingen von gedrehten Birkenruthen die¬
nen zur Verwahrung der Thüren. Der ganze Hofraum endlich ist von einer Bar¬
riere unigeben, die weder den Wölfen, noch den Hausthieren der Nachbarn den
Einmarsch verwehrt.

So ungefähr war auch das Ansehen der Gebäude, welche ich auf meinem
Spaziergang sah. Ich trat mit meinem Begleiter in die Hütte seiner Eltern.
Auf meine Frage: wie es den Bauern jetzt gehe, antwortete der alte Bauer:
„sehr gut, Herr, es geht uns sehr gut." „Also besser als früher?" „Nein, nein,
es ist uns immer sehr gut gegangen." Drei Mal wiederholte er die Worte eifrig,
fast ärgerlich. Endlich machte ich ihn gesprächig, er erzählte was folgt:

Vor dem Aufstande waren die Bauern zu aller möglichen Arbeit verpflichtet,
die der Edelmann nur gebrauchen konnte. Selbst den Fischfang mußten die Bauern
besorgen, obschon ein angestellter Fischer im Dorfe wohnte. Diese Verpflichtung
ging von Haus zu Hans so, daß jeder der Reihe nach, mit den herrschaftlichen
Netzen, die bestimmte Portion Fische zu fangen hatte. Diese Verpflichtung, sagte
mein Erzähler mit würdigem Ernst, sei förmlich verloren gegangen: sogar bei dem
großen Fischzuge im Herbst, wo die jungen Bauern haben in das Wasser gehen
müssen, um die Fische aus den Buchten in den „Mittelteich" zu treiben, während
die alten Bauern, die Wirthschaftsinhaber, mit ihren Ochsen das große Netz haben
durchziehen müssen, anch bei diesem großen Fischzuge sei jetzt „keine Noth mehr",
denn jeder Bauer bekomme eine Kanne Branntwein als Bezahlung und derjenige,
welcher beim Auflesen den schwersten Hecht finde, ein großes schönes Kopftuch
für seiue Frau oder Tochter. Bei einer solchen Einrichtung arbeite man gern;
da habe man Lust in der Seele. Wegen des Einsammelns der Pilze und Schlehen
erklärte er mit einer Handschwenknng, daß davon jetzt gar nicht mehr die Rede sein
könne. Früher habe jeder Wirthschaftsinhaber (Gvzpodanz)' vier Maß Schlehen
und einen Viertel Korzec (altpolnischer Scheffel) Pilze an den Herrn liefern
müssen. Da sei es oft nöthig gewesen, Frau und Kinder acht Tage und länger
in den Wald zu schicken, noch dazu in der Ernte und Herbstbestellung. Jetzt ver-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/189>, abgerufen am 24.07.2024.