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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Czechomanie durch die Centralisation erdrückt werden, der Föderalismus in seiner
Anwendung auf Ungarn aber werde den Anschluß an Deutschland erleichtern. Wie
sich aber so entgegengesetzte Richtungen von demselben Cabinet ohne absolutistische
Gewalt durchführen ließen, darüber ist sie sich selbst schwerlich klar geworden. Am
Ende ist eine deutliche Beantwortung solcher Fragen kaum vom Cabinet, geschweige
von einem Journal zu verlangen. Die Regierung z. B. thut jetzt furchtbar cen-
tralistisch, hat aber bisher nur die Fähigkeit gezeigt, mit Hilfe des Säbels zu cen-
tralisiren; ob sie im regelmäßigen Zustand, -- und zehn Jahre lang wird der
Ausnahmszustand aus Gründen auswärtiger Politik schwerlich dauern -- ihr Prin¬
cip verwirklichen können, oder ob sie dann den vielen achtbaren und schwerwiegen¬
den föderalistischen Elementen mancher Provinzen nachgeben wird, läßt sich heut¬
zutage noch gar nicht absehen. Aber ein liberales Blatt müßte es sich zur Pflicht
machen, für den constitutionellen Unterricht des östreichischen Publikums zu sorgen;
sehr viel wäre schon durch Schilderungen östreichischer Zustände zu leiste", denn
die sogenannten k. k, constitutionellen Staatsbürger sind über sich selbst unglaublich
unwissend, und haben keinen Begriff von dein bodenlosen Sumpf, in welchem sie
mit vielen Dingen stecken, an deren Reform noch gar nicht gedacht wird. Daß
sich die Regierungsblätter nicht beeilen, den Schleier von diesen Reizen Oestreichs
zu ziehen, ist natürlich, aber die sogenannten Oppositionsblätter Wiens sollten
dieser Aufgabe mehr Zeit und Raum widmen, als ihren flüsternden Kannegieße¬
reien über die wahrscheinlichen Ereignisse des Jahres 1900. Die Ostdentsche Post
nahm zuweilen einen Anlauf und brachte einige zweckmäßige Artikel in diesem Sinn
(über die Stellung der Schullehrer und über Geschwornengerichte), aber ohne je
eine Sache zu erschöpfen, sprungweise und meist nur gelegentlich ihres Zeitungs¬
krieges mit audern Organen. Im Allgemeinen bringt die Ostdeutsche Post gerne
täglich neue überraschende Gesichtspunkte und wartet die Pansen ab, in denen
Welden's Donner ein wenig eingeschlafen ist, um deu Wienern geschwind ein recht
liberales Wort in's Ohr zu rufen; wie der Alte auffährt, macht sie wieder eine
Woche lang das bescheidenste Gesicht von der Welt und beschränkt sich auf feuille-
tonistische Ausschmückung und geheimnißthnerische Deutung der unbedeutendsten
Tagesneuigkeiten.

Ein Steckenpferd aber reitet Herr Knranda bei jedem Wetter: den gro߬
mäuliger großdeutschcn Phrascngaul gegen Deutschland. Ohne Oestreich dürfe
sich Deutschland nicht constituiren, behauptete er einmal; sollte auch Oestreich
die Constituirung Deutschlands unmöglich machen, sollte auch Deutschland dreißig
Jahre warten müssen oder seine Einigung gar nicht erreiche"! Lieber den alten
Bundestag, als el" Deutschland, an dessen Spitze nicht Oestreich steht! Diese
liebreiche und liberale Gesinnung nennt Herr Knranda Begeisterung für die deutsche
Sache in Oestreich. Die Argumente, mit denen er für dieses Deutschthum kämpft,
fallen zuweilen in's naiv und platt Wienerische und laufen zuletzt daraus hinaus:


Czechomanie durch die Centralisation erdrückt werden, der Föderalismus in seiner
Anwendung auf Ungarn aber werde den Anschluß an Deutschland erleichtern. Wie
sich aber so entgegengesetzte Richtungen von demselben Cabinet ohne absolutistische
Gewalt durchführen ließen, darüber ist sie sich selbst schwerlich klar geworden. Am
Ende ist eine deutliche Beantwortung solcher Fragen kaum vom Cabinet, geschweige
von einem Journal zu verlangen. Die Regierung z. B. thut jetzt furchtbar cen-
tralistisch, hat aber bisher nur die Fähigkeit gezeigt, mit Hilfe des Säbels zu cen-
tralisiren; ob sie im regelmäßigen Zustand, — und zehn Jahre lang wird der
Ausnahmszustand aus Gründen auswärtiger Politik schwerlich dauern — ihr Prin¬
cip verwirklichen können, oder ob sie dann den vielen achtbaren und schwerwiegen¬
den föderalistischen Elementen mancher Provinzen nachgeben wird, läßt sich heut¬
zutage noch gar nicht absehen. Aber ein liberales Blatt müßte es sich zur Pflicht
machen, für den constitutionellen Unterricht des östreichischen Publikums zu sorgen;
sehr viel wäre schon durch Schilderungen östreichischer Zustände zu leiste», denn
die sogenannten k. k, constitutionellen Staatsbürger sind über sich selbst unglaublich
unwissend, und haben keinen Begriff von dein bodenlosen Sumpf, in welchem sie
mit vielen Dingen stecken, an deren Reform noch gar nicht gedacht wird. Daß
sich die Regierungsblätter nicht beeilen, den Schleier von diesen Reizen Oestreichs
zu ziehen, ist natürlich, aber die sogenannten Oppositionsblätter Wiens sollten
dieser Aufgabe mehr Zeit und Raum widmen, als ihren flüsternden Kannegieße¬
reien über die wahrscheinlichen Ereignisse des Jahres 1900. Die Ostdentsche Post
nahm zuweilen einen Anlauf und brachte einige zweckmäßige Artikel in diesem Sinn
(über die Stellung der Schullehrer und über Geschwornengerichte), aber ohne je
eine Sache zu erschöpfen, sprungweise und meist nur gelegentlich ihres Zeitungs¬
krieges mit audern Organen. Im Allgemeinen bringt die Ostdeutsche Post gerne
täglich neue überraschende Gesichtspunkte und wartet die Pansen ab, in denen
Welden's Donner ein wenig eingeschlafen ist, um deu Wienern geschwind ein recht
liberales Wort in's Ohr zu rufen; wie der Alte auffährt, macht sie wieder eine
Woche lang das bescheidenste Gesicht von der Welt und beschränkt sich auf feuille-
tonistische Ausschmückung und geheimnißthnerische Deutung der unbedeutendsten
Tagesneuigkeiten.

Ein Steckenpferd aber reitet Herr Knranda bei jedem Wetter: den gro߬
mäuliger großdeutschcn Phrascngaul gegen Deutschland. Ohne Oestreich dürfe
sich Deutschland nicht constituiren, behauptete er einmal; sollte auch Oestreich
die Constituirung Deutschlands unmöglich machen, sollte auch Deutschland dreißig
Jahre warten müssen oder seine Einigung gar nicht erreiche»! Lieber den alten
Bundestag, als el» Deutschland, an dessen Spitze nicht Oestreich steht! Diese
liebreiche und liberale Gesinnung nennt Herr Knranda Begeisterung für die deutsche
Sache in Oestreich. Die Argumente, mit denen er für dieses Deutschthum kämpft,
fallen zuweilen in's naiv und platt Wienerische und laufen zuletzt daraus hinaus:


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[0183] Czechomanie durch die Centralisation erdrückt werden, der Föderalismus in seiner Anwendung auf Ungarn aber werde den Anschluß an Deutschland erleichtern. Wie sich aber so entgegengesetzte Richtungen von demselben Cabinet ohne absolutistische Gewalt durchführen ließen, darüber ist sie sich selbst schwerlich klar geworden. Am Ende ist eine deutliche Beantwortung solcher Fragen kaum vom Cabinet, geschweige von einem Journal zu verlangen. Die Regierung z. B. thut jetzt furchtbar cen- tralistisch, hat aber bisher nur die Fähigkeit gezeigt, mit Hilfe des Säbels zu cen- tralisiren; ob sie im regelmäßigen Zustand, — und zehn Jahre lang wird der Ausnahmszustand aus Gründen auswärtiger Politik schwerlich dauern — ihr Prin¬ cip verwirklichen können, oder ob sie dann den vielen achtbaren und schwerwiegen¬ den föderalistischen Elementen mancher Provinzen nachgeben wird, läßt sich heut¬ zutage noch gar nicht absehen. Aber ein liberales Blatt müßte es sich zur Pflicht machen, für den constitutionellen Unterricht des östreichischen Publikums zu sorgen; sehr viel wäre schon durch Schilderungen östreichischer Zustände zu leiste», denn die sogenannten k. k, constitutionellen Staatsbürger sind über sich selbst unglaublich unwissend, und haben keinen Begriff von dein bodenlosen Sumpf, in welchem sie mit vielen Dingen stecken, an deren Reform noch gar nicht gedacht wird. Daß sich die Regierungsblätter nicht beeilen, den Schleier von diesen Reizen Oestreichs zu ziehen, ist natürlich, aber die sogenannten Oppositionsblätter Wiens sollten dieser Aufgabe mehr Zeit und Raum widmen, als ihren flüsternden Kannegieße¬ reien über die wahrscheinlichen Ereignisse des Jahres 1900. Die Ostdentsche Post nahm zuweilen einen Anlauf und brachte einige zweckmäßige Artikel in diesem Sinn (über die Stellung der Schullehrer und über Geschwornengerichte), aber ohne je eine Sache zu erschöpfen, sprungweise und meist nur gelegentlich ihres Zeitungs¬ krieges mit audern Organen. Im Allgemeinen bringt die Ostdeutsche Post gerne täglich neue überraschende Gesichtspunkte und wartet die Pansen ab, in denen Welden's Donner ein wenig eingeschlafen ist, um deu Wienern geschwind ein recht liberales Wort in's Ohr zu rufen; wie der Alte auffährt, macht sie wieder eine Woche lang das bescheidenste Gesicht von der Welt und beschränkt sich auf feuille- tonistische Ausschmückung und geheimnißthnerische Deutung der unbedeutendsten Tagesneuigkeiten. Ein Steckenpferd aber reitet Herr Knranda bei jedem Wetter: den gro߬ mäuliger großdeutschcn Phrascngaul gegen Deutschland. Ohne Oestreich dürfe sich Deutschland nicht constituiren, behauptete er einmal; sollte auch Oestreich die Constituirung Deutschlands unmöglich machen, sollte auch Deutschland dreißig Jahre warten müssen oder seine Einigung gar nicht erreiche»! Lieber den alten Bundestag, als el» Deutschland, an dessen Spitze nicht Oestreich steht! Diese liebreiche und liberale Gesinnung nennt Herr Knranda Begeisterung für die deutsche Sache in Oestreich. Die Argumente, mit denen er für dieses Deutschthum kämpft, fallen zuweilen in's naiv und platt Wienerische und laufen zuletzt daraus hinaus:

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/183>, abgerufen am 24.07.2024.