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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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die Herren Thiers, Odillon Barrot n. s. w. haben um diesen Preis ihre Seele
verkauft. --

Victor Hugo, der alte Romantikus, hat für den Staat und die Bildung das
Wort ergriffen. Was er sagte, war nicht tief durchdacht, nicht im Einzelnen
abgerundet, es würde schwer sein, aus den ziemlich aphoristisch hingeworfenen
Sätzen ein System der StaatSerziehnng zusammenzusetzen; aber er hat den Vor¬
zug gründlicher Grobheit gegen die jesuitische Partei, und der Redlichkeit, mit der
er das leitende Princip offen hinstellte, durch welches allein eine tiefergreifende
Reform des französischen Volkes möglich ist: daß nämlich der Staat den gesamm-
ten Unterricht in die Hände nimmt, und deu Schulbesuch zu einer Zwangspflicht
macht. Ueber diesen unerhörten Socialismus, der wenigstens in seinem letztem
Theil in Preußen bereits zur Ausführung gekommen ist, brach die gesammte
Rechte in einen einstimmigen Weheruf aus.

Wahrlich, mit ihrer Kritik des bestehenden Staats sind die Socialisten nicht
so sehr im Unrecht. Nur daß, was sie an die Stelle setzen wollen, schlimmer ist,
als das Uebel, dessen Heilung sie unternehmen. Es ist in seinem Ziel der tugend¬
hafte Despotismus, in seinen Mitteln die rohe Gewalt. Der ökvnomistische Schaf¬
stall, den sie zu errichten gedenken, würde eben so schnell von ehrgeizigen und
habsüchtigen. Schwindlern ausgebeutet werden, als der alte Staatsmechanismus,
und ihre Religion -- denn es ist ein blinder Glaube, den sie predigen, nicht
eine methodisch begründete Ueberzeugung -- würde eben so schnell zu einem Götzen¬
dienst herabsinken.

Noch in Einem Punkt kann uns der gegenwärtige Conflict aufklären. Frank¬
reich ist jetzt eine Republik, sämmtliche Dynastien sind verjagt, und von der
eigentlichen Treue an das angestammte Königshaus kann nicht füglich die Rede
sein. Bei uns hat die hierarchisch-aristokratische Partei, wenn sie gegen den Zeit¬
geist deklamirt, und alle Reformen mit Verachtung zurückweist, immer das viel¬
geliebte Haus derHohcnzollern, und das Recht, das doch recht bleiben müsse, im Munde.
Aber der König ist ihnen nnr ein bequemes Vehikel zu ihren eignen Zwecken; sie
wollen den Absolutismus, nicht weil er ihnen an sich selbst Freude macht, sondern
weil sie ihn leichter ausbeuten können. Eine königliche Persönlichkeit, die um so
empfänglicher ist für tiefe Gedanken, je unklarer sie sind, kann der Aristokratie
besser dienen, als eine gesetzgebende Versammlung, die wenn sie nicht von Ideen
des Rechts und der Freiheit erfüllt ist, doch wenigstens sehr bestimmte weltliche
Interessen dem lichtscheuen Treiben entgegenträgt, welches die vorübergehende
Furcht des Augenblicks benutzt, um die Welt mit Gespenstern zu erfüllen. Mit
Freuden würde unsere hierarchische Partei ihren angestammten Glauben aufgeben,
und auf den festen Fels der alleinseligmachenden Kirche herüberspringen, wenn
nur dieser Sprung nicht auch eine Bewegung wäre, und zwar eine sehr revolu¬
tionäre. Vorläufig wird die evangelische Hochkirche mit der katholischen ein enges


die Herren Thiers, Odillon Barrot n. s. w. haben um diesen Preis ihre Seele
verkauft. —

Victor Hugo, der alte Romantikus, hat für den Staat und die Bildung das
Wort ergriffen. Was er sagte, war nicht tief durchdacht, nicht im Einzelnen
abgerundet, es würde schwer sein, aus den ziemlich aphoristisch hingeworfenen
Sätzen ein System der StaatSerziehnng zusammenzusetzen; aber er hat den Vor¬
zug gründlicher Grobheit gegen die jesuitische Partei, und der Redlichkeit, mit der
er das leitende Princip offen hinstellte, durch welches allein eine tiefergreifende
Reform des französischen Volkes möglich ist: daß nämlich der Staat den gesamm-
ten Unterricht in die Hände nimmt, und deu Schulbesuch zu einer Zwangspflicht
macht. Ueber diesen unerhörten Socialismus, der wenigstens in seinem letztem
Theil in Preußen bereits zur Ausführung gekommen ist, brach die gesammte
Rechte in einen einstimmigen Weheruf aus.

Wahrlich, mit ihrer Kritik des bestehenden Staats sind die Socialisten nicht
so sehr im Unrecht. Nur daß, was sie an die Stelle setzen wollen, schlimmer ist,
als das Uebel, dessen Heilung sie unternehmen. Es ist in seinem Ziel der tugend¬
hafte Despotismus, in seinen Mitteln die rohe Gewalt. Der ökvnomistische Schaf¬
stall, den sie zu errichten gedenken, würde eben so schnell von ehrgeizigen und
habsüchtigen. Schwindlern ausgebeutet werden, als der alte Staatsmechanismus,
und ihre Religion — denn es ist ein blinder Glaube, den sie predigen, nicht
eine methodisch begründete Ueberzeugung — würde eben so schnell zu einem Götzen¬
dienst herabsinken.

Noch in Einem Punkt kann uns der gegenwärtige Conflict aufklären. Frank¬
reich ist jetzt eine Republik, sämmtliche Dynastien sind verjagt, und von der
eigentlichen Treue an das angestammte Königshaus kann nicht füglich die Rede
sein. Bei uns hat die hierarchisch-aristokratische Partei, wenn sie gegen den Zeit¬
geist deklamirt, und alle Reformen mit Verachtung zurückweist, immer das viel¬
geliebte Haus derHohcnzollern, und das Recht, das doch recht bleiben müsse, im Munde.
Aber der König ist ihnen nnr ein bequemes Vehikel zu ihren eignen Zwecken; sie
wollen den Absolutismus, nicht weil er ihnen an sich selbst Freude macht, sondern
weil sie ihn leichter ausbeuten können. Eine königliche Persönlichkeit, die um so
empfänglicher ist für tiefe Gedanken, je unklarer sie sind, kann der Aristokratie
besser dienen, als eine gesetzgebende Versammlung, die wenn sie nicht von Ideen
des Rechts und der Freiheit erfüllt ist, doch wenigstens sehr bestimmte weltliche
Interessen dem lichtscheuen Treiben entgegenträgt, welches die vorübergehende
Furcht des Augenblicks benutzt, um die Welt mit Gespenstern zu erfüllen. Mit
Freuden würde unsere hierarchische Partei ihren angestammten Glauben aufgeben,
und auf den festen Fels der alleinseligmachenden Kirche herüberspringen, wenn
nur dieser Sprung nicht auch eine Bewegung wäre, und zwar eine sehr revolu¬
tionäre. Vorläufig wird die evangelische Hochkirche mit der katholischen ein enges


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/180>, abgerufen am 04.07.2024.