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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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widerfuhr, sich zu ihrem geistigen Inhalt nur accidentell verhielt. Die Malerei
aber will den Menschen in Bewegung. Die christlichen Ideale, soweit sie sich
durch ihre Unnatur und ihre Unschönheit nicht der Darstellung entzogen , waren
in so fern geeigneter, als sie einen vermittelst einer That oder eines Leidens über¬
wundenen Conflict enthielten. Allein ihre Thaten wie ihre Leiden waren nicht
geschichtlicher Natur -- so daß sich in der That die Idee realisirt; ihr idealer
Sinn lag außerhalb des Ereignisses, und so waren sie nur symbolisch darzustellen.
Für die moderne Malerei, welche den Beruf hat, auf die Idee durch das Bild
nicht blos auzuspieleu, sondern dieselbe in ihrer Bewegung, ihrer Verwirklichung
auszudrücken, ist weder die antike, noch die moderne Mythologie ein angemesse¬
ner Stoff: die einzige solide Basis, ans der sie weiter schreiten kann ist die
,
5. I. Geschichte.




Herr von Montalembert und die Jesuiten.



Wir müssen deu politischen Bewegungen in Frankreich von Zeit zu Zeit un¬
sere Aufmerksamkeit schenken, nicht allein weil sie an sich Interesse genug darbieten,
sondern weil sich unser eigener Kampf in jenen abstracteren, einfacheren und daher
leichter übersichtlichen Verhältnissen deutlicher ausprägt, als in unserer babyloni¬
schen Ideenverwirrung. Was wir von unsern Gerlach, Stahl, Döllinger u. s. w.
nicht lernen, verräth uus der edle Vorkämpfer der Kirche im Palais Bourbon in
anerkennenswerther Offenheit.

Wer bis jetzt so verblendet gewesen ist, die Existenz der kirchlichen Gewalt
zu leugnen, weil in dem Bewußtsein der Gebildeten die einzelnen kirchlichen Be¬
stimmungen überwunden waren, den muß die Geschichte der neuesten französischen
Revolution eines Bessern belehren. Ans der Basis des allgemeinen Wahlrechts
.erhebt die Kirche siegreich ihr Panier, und die alte Opposition, Herrn Thiers
an der Spitze, verkriecht sich unter den Mantel der Kirche, um dem Schreckgespenst
des Socialismus zu entgehen; sie schickt Armeen nach Rom, um den Papst, den
letzten Hort der Ordnung und des Rechts, gegen seine rebellischen Unterthanen
zu unterstützen, und sie liefert die Jugend Frankreichs den Jesuiten aus. Denn
das und nichts anderes ist der Sinn des neuen Unterrichtsgesetzes. Wer es noch
uicht gewußt hat, der kann seit den neuesten Erklärungen des Herrn v. Monta¬
lembert nicht länger daran zweifeln.

In derselben Zeit erhebt in dem offiziellen Organ der Gerlach'schen Partei
ein kirchlicher Eiferer seine Stimme gegen die Nachgiebigkeit seiner Gesinnungs-


widerfuhr, sich zu ihrem geistigen Inhalt nur accidentell verhielt. Die Malerei
aber will den Menschen in Bewegung. Die christlichen Ideale, soweit sie sich
durch ihre Unnatur und ihre Unschönheit nicht der Darstellung entzogen , waren
in so fern geeigneter, als sie einen vermittelst einer That oder eines Leidens über¬
wundenen Conflict enthielten. Allein ihre Thaten wie ihre Leiden waren nicht
geschichtlicher Natur — so daß sich in der That die Idee realisirt; ihr idealer
Sinn lag außerhalb des Ereignisses, und so waren sie nur symbolisch darzustellen.
Für die moderne Malerei, welche den Beruf hat, auf die Idee durch das Bild
nicht blos auzuspieleu, sondern dieselbe in ihrer Bewegung, ihrer Verwirklichung
auszudrücken, ist weder die antike, noch die moderne Mythologie ein angemesse¬
ner Stoff: die einzige solide Basis, ans der sie weiter schreiten kann ist die
,
5. I. Geschichte.




Herr von Montalembert und die Jesuiten.



Wir müssen deu politischen Bewegungen in Frankreich von Zeit zu Zeit un¬
sere Aufmerksamkeit schenken, nicht allein weil sie an sich Interesse genug darbieten,
sondern weil sich unser eigener Kampf in jenen abstracteren, einfacheren und daher
leichter übersichtlichen Verhältnissen deutlicher ausprägt, als in unserer babyloni¬
schen Ideenverwirrung. Was wir von unsern Gerlach, Stahl, Döllinger u. s. w.
nicht lernen, verräth uus der edle Vorkämpfer der Kirche im Palais Bourbon in
anerkennenswerther Offenheit.

Wer bis jetzt so verblendet gewesen ist, die Existenz der kirchlichen Gewalt
zu leugnen, weil in dem Bewußtsein der Gebildeten die einzelnen kirchlichen Be¬
stimmungen überwunden waren, den muß die Geschichte der neuesten französischen
Revolution eines Bessern belehren. Ans der Basis des allgemeinen Wahlrechts
.erhebt die Kirche siegreich ihr Panier, und die alte Opposition, Herrn Thiers
an der Spitze, verkriecht sich unter den Mantel der Kirche, um dem Schreckgespenst
des Socialismus zu entgehen; sie schickt Armeen nach Rom, um den Papst, den
letzten Hort der Ordnung und des Rechts, gegen seine rebellischen Unterthanen
zu unterstützen, und sie liefert die Jugend Frankreichs den Jesuiten aus. Denn
das und nichts anderes ist der Sinn des neuen Unterrichtsgesetzes. Wer es noch
uicht gewußt hat, der kann seit den neuesten Erklärungen des Herrn v. Monta¬
lembert nicht länger daran zweifeln.

In derselben Zeit erhebt in dem offiziellen Organ der Gerlach'schen Partei
ein kirchlicher Eiferer seine Stimme gegen die Nachgiebigkeit seiner Gesinnungs-


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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/178>, abgerufen am 24.07.2024.