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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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die Innerlichkeit, die in dem italienischen Ideal frei, wenn auch sich selber unklar,
hervortritt, ist gebunden in den Kreis der Pflichten. Soweit der Protestantismus
überhaupt die Madonna ertragen hat -- und das mußte er zuletzt doch, trotz
seines kriegerischen Ernstes -- ist es nur in dieser Entfaltung ihres Wesens. --
Die spanische Himmelskönigin, die Himmelfahrt von Murillo, ist die Verklärung
der begeisterten Liebe: die Braut geht ihrem Bräutigam entgegen,' der ihr nicht
mehr fremd ist, mit aller Glut einer südlichen Leidenschaft. -- Ich übergehe die
weiteren Artigkeiten, welche die katholische Malerei ihrer Göttin gesagt hat, als
Stern des Meeres, Vogelkönigin, Himmelsjungsrau mit dem Mond zu ihren
Füßen u. s. w., und wende mich zu einer specifisch christlichen Erscheinung, dem
leidenden Weib, der U-leer livia'osii. Hier muß ich sagen, daß die christliche
Kunst eben so wenig, als die christliche Idee das Alterthum erreicht hat. Niobe
ist eine viel edlere Gestalt, von viel wärmerer Poesie, als die N-leer totum,"".
Schmerz ohne Hoheit und Stärke ist etwas Widerwärtiges. Der Schmerz der
Alten war in einer doppelten Beziehung erhaleuer als der christliche: er nahm es
ernst mit dem Tode, er machte sich keine Illusionen, durch welche der Schmerz
zu einem fictiven herabgesetzt wird, und er war fromm, er unterwarf sich der
Idee der Nothwendigkeit, und setzte uicht in kindischem Trotz das Recht seiner
subjectiven Wunsche dem Recht der Natur entgegen. Die abscheulichste Form des
fixirten Schmerzes ist die süßliche Manier von Carlo Dolce.

Ich habe wohl kaum nöthig hinzuzusetzen, daß ich jede Erneuerung dieser
typischen Ideale in unserer Zeit, deren leitende Tendenz ist, das Ideale in die
Fülle der empirischen Welt einzubilden, für eine Verirrung der Kunst halte. Wie
es Sokrates von sich rühmte, hat die moderne Kunst die Ausgabe, das Schone
aus dem Himmel herabzuziehn und auf der Erde einzubürgern, die gegenwärtig
unsere Heimath ist.

Aus einer zweiten, specifisch christlichen Gestalt, der büßenden Magdalena,
hat die Kunst uicht viel zu machen gewußt. Magdalena ist durchaus christlich ge¬
dacht, wie ich das bei einer andern Gelegenheit auseinandergesetzt habe. Je grö¬
ßer die Sünde, desto näher die Pforte des Heils, und je herber die Buße, desto
wohlgefälliger dem Herrn. Aber in den Gemälden, die diesen Gegenstand behan¬
deln, ist uicht viel von der Grundidee geblieben. In der berühmten Magdalena
von Eoreggio finde ich nichts anderes, als eine Dame, die, um einen Roman
bequemer lesen zu können, sich in's Grüne zurückgezogen hat. Der Todtenkopf,
der daneben liegt, ist eine von den Capricen, wie sie das schöne Geschlecht nur
allzu häufig anwandeln. Noch mehr gilt das von breiter ausgeführten Gemälden
in demselben Styl, z. B. der Magdalena von Battoni. Eine andere Auffassung
geht wieder mehr in's Melancholische und Sentimentale, wie z. B. die sterbende
Magdalena von Franceschini. Eine Sterbende vou etwas passtrter Schönheit, mit
schmachtenden Blick und conventioneller Leidensmiene. Was haben wir davon?


die Innerlichkeit, die in dem italienischen Ideal frei, wenn auch sich selber unklar,
hervortritt, ist gebunden in den Kreis der Pflichten. Soweit der Protestantismus
überhaupt die Madonna ertragen hat — und das mußte er zuletzt doch, trotz
seines kriegerischen Ernstes — ist es nur in dieser Entfaltung ihres Wesens. —
Die spanische Himmelskönigin, die Himmelfahrt von Murillo, ist die Verklärung
der begeisterten Liebe: die Braut geht ihrem Bräutigam entgegen,' der ihr nicht
mehr fremd ist, mit aller Glut einer südlichen Leidenschaft. — Ich übergehe die
weiteren Artigkeiten, welche die katholische Malerei ihrer Göttin gesagt hat, als
Stern des Meeres, Vogelkönigin, Himmelsjungsrau mit dem Mond zu ihren
Füßen u. s. w., und wende mich zu einer specifisch christlichen Erscheinung, dem
leidenden Weib, der U-leer livia'osii. Hier muß ich sagen, daß die christliche
Kunst eben so wenig, als die christliche Idee das Alterthum erreicht hat. Niobe
ist eine viel edlere Gestalt, von viel wärmerer Poesie, als die N-leer totum,«».
Schmerz ohne Hoheit und Stärke ist etwas Widerwärtiges. Der Schmerz der
Alten war in einer doppelten Beziehung erhaleuer als der christliche: er nahm es
ernst mit dem Tode, er machte sich keine Illusionen, durch welche der Schmerz
zu einem fictiven herabgesetzt wird, und er war fromm, er unterwarf sich der
Idee der Nothwendigkeit, und setzte uicht in kindischem Trotz das Recht seiner
subjectiven Wunsche dem Recht der Natur entgegen. Die abscheulichste Form des
fixirten Schmerzes ist die süßliche Manier von Carlo Dolce.

Ich habe wohl kaum nöthig hinzuzusetzen, daß ich jede Erneuerung dieser
typischen Ideale in unserer Zeit, deren leitende Tendenz ist, das Ideale in die
Fülle der empirischen Welt einzubilden, für eine Verirrung der Kunst halte. Wie
es Sokrates von sich rühmte, hat die moderne Kunst die Ausgabe, das Schone
aus dem Himmel herabzuziehn und auf der Erde einzubürgern, die gegenwärtig
unsere Heimath ist.

Aus einer zweiten, specifisch christlichen Gestalt, der büßenden Magdalena,
hat die Kunst uicht viel zu machen gewußt. Magdalena ist durchaus christlich ge¬
dacht, wie ich das bei einer andern Gelegenheit auseinandergesetzt habe. Je grö¬
ßer die Sünde, desto näher die Pforte des Heils, und je herber die Buße, desto
wohlgefälliger dem Herrn. Aber in den Gemälden, die diesen Gegenstand behan¬
deln, ist uicht viel von der Grundidee geblieben. In der berühmten Magdalena
von Eoreggio finde ich nichts anderes, als eine Dame, die, um einen Roman
bequemer lesen zu können, sich in's Grüne zurückgezogen hat. Der Todtenkopf,
der daneben liegt, ist eine von den Capricen, wie sie das schöne Geschlecht nur
allzu häufig anwandeln. Noch mehr gilt das von breiter ausgeführten Gemälden
in demselben Styl, z. B. der Magdalena von Battoni. Eine andere Auffassung
geht wieder mehr in's Melancholische und Sentimentale, wie z. B. die sterbende
Magdalena von Franceschini. Eine Sterbende vou etwas passtrter Schönheit, mit
schmachtenden Blick und conventioneller Leidensmiene. Was haben wir davon?


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[0176] die Innerlichkeit, die in dem italienischen Ideal frei, wenn auch sich selber unklar, hervortritt, ist gebunden in den Kreis der Pflichten. Soweit der Protestantismus überhaupt die Madonna ertragen hat — und das mußte er zuletzt doch, trotz seines kriegerischen Ernstes — ist es nur in dieser Entfaltung ihres Wesens. — Die spanische Himmelskönigin, die Himmelfahrt von Murillo, ist die Verklärung der begeisterten Liebe: die Braut geht ihrem Bräutigam entgegen,' der ihr nicht mehr fremd ist, mit aller Glut einer südlichen Leidenschaft. — Ich übergehe die weiteren Artigkeiten, welche die katholische Malerei ihrer Göttin gesagt hat, als Stern des Meeres, Vogelkönigin, Himmelsjungsrau mit dem Mond zu ihren Füßen u. s. w., und wende mich zu einer specifisch christlichen Erscheinung, dem leidenden Weib, der U-leer livia'osii. Hier muß ich sagen, daß die christliche Kunst eben so wenig, als die christliche Idee das Alterthum erreicht hat. Niobe ist eine viel edlere Gestalt, von viel wärmerer Poesie, als die N-leer totum,«». Schmerz ohne Hoheit und Stärke ist etwas Widerwärtiges. Der Schmerz der Alten war in einer doppelten Beziehung erhaleuer als der christliche: er nahm es ernst mit dem Tode, er machte sich keine Illusionen, durch welche der Schmerz zu einem fictiven herabgesetzt wird, und er war fromm, er unterwarf sich der Idee der Nothwendigkeit, und setzte uicht in kindischem Trotz das Recht seiner subjectiven Wunsche dem Recht der Natur entgegen. Die abscheulichste Form des fixirten Schmerzes ist die süßliche Manier von Carlo Dolce. Ich habe wohl kaum nöthig hinzuzusetzen, daß ich jede Erneuerung dieser typischen Ideale in unserer Zeit, deren leitende Tendenz ist, das Ideale in die Fülle der empirischen Welt einzubilden, für eine Verirrung der Kunst halte. Wie es Sokrates von sich rühmte, hat die moderne Kunst die Ausgabe, das Schone aus dem Himmel herabzuziehn und auf der Erde einzubürgern, die gegenwärtig unsere Heimath ist. Aus einer zweiten, specifisch christlichen Gestalt, der büßenden Magdalena, hat die Kunst uicht viel zu machen gewußt. Magdalena ist durchaus christlich ge¬ dacht, wie ich das bei einer andern Gelegenheit auseinandergesetzt habe. Je grö¬ ßer die Sünde, desto näher die Pforte des Heils, und je herber die Buße, desto wohlgefälliger dem Herrn. Aber in den Gemälden, die diesen Gegenstand behan¬ deln, ist uicht viel von der Grundidee geblieben. In der berühmten Magdalena von Eoreggio finde ich nichts anderes, als eine Dame, die, um einen Roman bequemer lesen zu können, sich in's Grüne zurückgezogen hat. Der Todtenkopf, der daneben liegt, ist eine von den Capricen, wie sie das schöne Geschlecht nur allzu häufig anwandeln. Noch mehr gilt das von breiter ausgeführten Gemälden in demselben Styl, z. B. der Magdalena von Battoni. Eine andere Auffassung geht wieder mehr in's Melancholische und Sentimentale, wie z. B. die sterbende Magdalena von Franceschini. Eine Sterbende vou etwas passtrter Schönheit, mit schmachtenden Blick und conventioneller Leidensmiene. Was haben wir davon?

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/176>, abgerufen am 24.07.2024.