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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Wenn wir aus der Anbetung des Knaben den allgemeinen sittlichen Begriff ziehn
wollen, so ist es doch der, daß die kindliche Unschuld, in welcher die Natur noch
durch Bildung nicht zersetzt und gebrochen erscheint, etwas Schönes und Heiliges
sei, und daß wir in ihr das Abbild unserer Verlornen Einheit mit uns selbst ver¬
ehren sollen. Die Kraft soll sich vor der Schwäche demüthige", weil diese noch
nicht in die bestimmte Welt der endlichen Interessen verwickelt, also rein ist.
Wenn nun aber diese Demüthigung ans dem Bilde nach der gewöhnlichen Etikette
durch einen Fußfall dargestellt wird, so springt das Unzweckmäßige eines solchen
Verfahrens in die Augen; die Nebengedanken, welche dem Witz bei der Idee der
Kindheit einfallen, sehen wir nicht; wir sehen nur die unausgebildete, die eigent¬
lich erst zur Hälfte menschliche Form, die Hilflosigkeit und das schwache Dämmern
des Geistes; der ausgebildete Mann erscheint uns in jeder Beziehung würdiger und
vollkommener, wir würden es ganz in der Ordnung finden, wenn er das schwache
Kind in seinen Schutz nimmt, aber daß er sich vor diesem unfertigen Geschöpf auf
die Erde wirft, muß uus lächerlich vorkommen. Die symbolische Idee widerspricht
überall der sinnlichen Wahrhaftigkeit.

Daß dagegen die geistige Idee sich in blos sinnlichen Verhältnissen nicht er¬
schöpft, lehrt uns ein kurzer Blick auf die Sixtinische Madonna und die von
Holbein. Die Gestalt der Maria ist weiter nichts als die Vergötterung des spe¬
cifisch Weiblichen. Es hat dieses seine Culminationspunkte in zwei Erscheinungen:
in der Scham der Jungfrau, die mit einem süßen Schauer fühlt, daß sie noch
nicht ist, was sie sein soll -- eine fertige Amazone, eine spröde Schönheit, die
sich dauernd in ihre Jungfräulichkeit verstrickt hat, wie die heidnische Diana, ist
eine Abnormität -- und in der Heiligkeit der mütterlichen Liebe. Wenn das
Christenthum beide, dem Anschein nach einander ausschließende Seiten in der
Mutter Gottes identificirt hat, so kommt das zunächst aus ein rohes empirisches
Mirakel heraus, und die Befruchtung durch deu heiligen Geist hat keine andere
sittliche Dignität, als die Geschichte mit Danae und dem goldnen Regen. Aber
wie Raphael die Lösung des Contrastes^ dargestellt hat, empfinden wir eine höhere
Berechtigung des Geistes. Maria ist wirkliche Mutter, aber wie ein Nachglanz
ihrer früher" Jugend durchdringt sie der alte Schauer der Jungfräulichkeit; sie
ist sich in ihrem Zustande selber ein Geheimniß und demüthigt sich vor dem Ge¬
schick, das sie begnadet hat. Zu dieser Empfindung ist kein Mirakel nöthig und
es spricht für den poetischen Sinn des Malers, daß er sie ergänzt hat durch den
Humor der beiden kleinen schalkhaften Engelsköpfchen zu den Füßen des Bildes,
die nichts anderes sind als die griechischen Amoretten. Amor spottet der heiligen
Scheu, ohne sie damit zu leugnen oder aufzuheben; eine bessere Ergänzung als
die sentimentale Figur an der Seite, die zwar vom conventionellen Christenthum
die hinreichende Symbolik an sich trägt, aber übrigens ohne alle Berechtigung
ist. -- Holbein's Madonna ist einfacher, ein frommes protestantisches Eheweib


Wenn wir aus der Anbetung des Knaben den allgemeinen sittlichen Begriff ziehn
wollen, so ist es doch der, daß die kindliche Unschuld, in welcher die Natur noch
durch Bildung nicht zersetzt und gebrochen erscheint, etwas Schönes und Heiliges
sei, und daß wir in ihr das Abbild unserer Verlornen Einheit mit uns selbst ver¬
ehren sollen. Die Kraft soll sich vor der Schwäche demüthige», weil diese noch
nicht in die bestimmte Welt der endlichen Interessen verwickelt, also rein ist.
Wenn nun aber diese Demüthigung ans dem Bilde nach der gewöhnlichen Etikette
durch einen Fußfall dargestellt wird, so springt das Unzweckmäßige eines solchen
Verfahrens in die Augen; die Nebengedanken, welche dem Witz bei der Idee der
Kindheit einfallen, sehen wir nicht; wir sehen nur die unausgebildete, die eigent¬
lich erst zur Hälfte menschliche Form, die Hilflosigkeit und das schwache Dämmern
des Geistes; der ausgebildete Mann erscheint uns in jeder Beziehung würdiger und
vollkommener, wir würden es ganz in der Ordnung finden, wenn er das schwache
Kind in seinen Schutz nimmt, aber daß er sich vor diesem unfertigen Geschöpf auf
die Erde wirft, muß uus lächerlich vorkommen. Die symbolische Idee widerspricht
überall der sinnlichen Wahrhaftigkeit.

Daß dagegen die geistige Idee sich in blos sinnlichen Verhältnissen nicht er¬
schöpft, lehrt uns ein kurzer Blick auf die Sixtinische Madonna und die von
Holbein. Die Gestalt der Maria ist weiter nichts als die Vergötterung des spe¬
cifisch Weiblichen. Es hat dieses seine Culminationspunkte in zwei Erscheinungen:
in der Scham der Jungfrau, die mit einem süßen Schauer fühlt, daß sie noch
nicht ist, was sie sein soll — eine fertige Amazone, eine spröde Schönheit, die
sich dauernd in ihre Jungfräulichkeit verstrickt hat, wie die heidnische Diana, ist
eine Abnormität — und in der Heiligkeit der mütterlichen Liebe. Wenn das
Christenthum beide, dem Anschein nach einander ausschließende Seiten in der
Mutter Gottes identificirt hat, so kommt das zunächst aus ein rohes empirisches
Mirakel heraus, und die Befruchtung durch deu heiligen Geist hat keine andere
sittliche Dignität, als die Geschichte mit Danae und dem goldnen Regen. Aber
wie Raphael die Lösung des Contrastes^ dargestellt hat, empfinden wir eine höhere
Berechtigung des Geistes. Maria ist wirkliche Mutter, aber wie ein Nachglanz
ihrer früher» Jugend durchdringt sie der alte Schauer der Jungfräulichkeit; sie
ist sich in ihrem Zustande selber ein Geheimniß und demüthigt sich vor dem Ge¬
schick, das sie begnadet hat. Zu dieser Empfindung ist kein Mirakel nöthig und
es spricht für den poetischen Sinn des Malers, daß er sie ergänzt hat durch den
Humor der beiden kleinen schalkhaften Engelsköpfchen zu den Füßen des Bildes,
die nichts anderes sind als die griechischen Amoretten. Amor spottet der heiligen
Scheu, ohne sie damit zu leugnen oder aufzuheben; eine bessere Ergänzung als
die sentimentale Figur an der Seite, die zwar vom conventionellen Christenthum
die hinreichende Symbolik an sich trägt, aber übrigens ohne alle Berechtigung
ist. — Holbein's Madonna ist einfacher, ein frommes protestantisches Eheweib


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[0175] Wenn wir aus der Anbetung des Knaben den allgemeinen sittlichen Begriff ziehn wollen, so ist es doch der, daß die kindliche Unschuld, in welcher die Natur noch durch Bildung nicht zersetzt und gebrochen erscheint, etwas Schönes und Heiliges sei, und daß wir in ihr das Abbild unserer Verlornen Einheit mit uns selbst ver¬ ehren sollen. Die Kraft soll sich vor der Schwäche demüthige», weil diese noch nicht in die bestimmte Welt der endlichen Interessen verwickelt, also rein ist. Wenn nun aber diese Demüthigung ans dem Bilde nach der gewöhnlichen Etikette durch einen Fußfall dargestellt wird, so springt das Unzweckmäßige eines solchen Verfahrens in die Augen; die Nebengedanken, welche dem Witz bei der Idee der Kindheit einfallen, sehen wir nicht; wir sehen nur die unausgebildete, die eigent¬ lich erst zur Hälfte menschliche Form, die Hilflosigkeit und das schwache Dämmern des Geistes; der ausgebildete Mann erscheint uns in jeder Beziehung würdiger und vollkommener, wir würden es ganz in der Ordnung finden, wenn er das schwache Kind in seinen Schutz nimmt, aber daß er sich vor diesem unfertigen Geschöpf auf die Erde wirft, muß uus lächerlich vorkommen. Die symbolische Idee widerspricht überall der sinnlichen Wahrhaftigkeit. Daß dagegen die geistige Idee sich in blos sinnlichen Verhältnissen nicht er¬ schöpft, lehrt uns ein kurzer Blick auf die Sixtinische Madonna und die von Holbein. Die Gestalt der Maria ist weiter nichts als die Vergötterung des spe¬ cifisch Weiblichen. Es hat dieses seine Culminationspunkte in zwei Erscheinungen: in der Scham der Jungfrau, die mit einem süßen Schauer fühlt, daß sie noch nicht ist, was sie sein soll — eine fertige Amazone, eine spröde Schönheit, die sich dauernd in ihre Jungfräulichkeit verstrickt hat, wie die heidnische Diana, ist eine Abnormität — und in der Heiligkeit der mütterlichen Liebe. Wenn das Christenthum beide, dem Anschein nach einander ausschließende Seiten in der Mutter Gottes identificirt hat, so kommt das zunächst aus ein rohes empirisches Mirakel heraus, und die Befruchtung durch deu heiligen Geist hat keine andere sittliche Dignität, als die Geschichte mit Danae und dem goldnen Regen. Aber wie Raphael die Lösung des Contrastes^ dargestellt hat, empfinden wir eine höhere Berechtigung des Geistes. Maria ist wirkliche Mutter, aber wie ein Nachglanz ihrer früher» Jugend durchdringt sie der alte Schauer der Jungfräulichkeit; sie ist sich in ihrem Zustande selber ein Geheimniß und demüthigt sich vor dem Ge¬ schick, das sie begnadet hat. Zu dieser Empfindung ist kein Mirakel nöthig und es spricht für den poetischen Sinn des Malers, daß er sie ergänzt hat durch den Humor der beiden kleinen schalkhaften Engelsköpfchen zu den Füßen des Bildes, die nichts anderes sind als die griechischen Amoretten. Amor spottet der heiligen Scheu, ohne sie damit zu leugnen oder aufzuheben; eine bessere Ergänzung als die sentimentale Figur an der Seite, die zwar vom conventionellen Christenthum die hinreichende Symbolik an sich trägt, aber übrigens ohne alle Berechtigung ist. — Holbein's Madonna ist einfacher, ein frommes protestantisches Eheweib

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/175>, abgerufen am 24.07.2024.