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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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der unsterbliche Chor der Musen, der Hören, endlich die höheren Gottheiten mit
ihrer ebenso bestimmt ausgeprägten als ideal gehaltenen Individualität -- was
die neue Kunst in ähnlichen Bildwerken geleistet, ist nur ein schwacher Abglanz
jener alten Hoheit.

In den mittelalterlichen Bildern finden wir alle schlechten Eigenschaften zu¬
sammen, die uns die Kunst verleiden können: unsinnlicher Spiritualismus, geist¬
lose Wunderwirthschaft, rohe Allegorie: die Triangel, die Taube u. s. w. Mit
der Wiedereroberung der antiken Kunst und der antiken Philosophie erhalten die
beiden Hauptpersonen der christlichen Mythologie, Maria und Christus -- denn
Gott der Vater ist selten, der abstracte heilige Geist nie zum eigentlichen Vorwurf
der Kunst genommen -- eine bestimmte ideale Richtung.

Freilich hat man die Maria oft genug benutzt, um ein hübsches Mädchen ^
oder eine hübsche Frau zu malen. Bei der Madonna della Sedia z. B. weiß
ich in der That nicht, was die Mutter Gottes damit zu schaffen hat. Von den
feisten Frauenzimmern der Jordaens ganz zu schweige". Und ich muß sagen, daß
die rein erotische Auffassung im Ganzen die vorherrschende gewesen ist. Die Je¬
suiten haben ein Freudenbüchlein der Anbetung Mariens geschrieben, das so ver¬
liebt ist, wie mau es von einem christlichen Faun nur erwarten darf. Calderon,
der Dichter des specifische" Katholicismus, hat mehrfach, namentlich aber in seiner
Morgenröthe von Copacavana, die himmlische Jungfrau geradezu als Nebenbuh¬
lerin irdischer Bräute gefeiert, und der überirdischen Schönheit, wie es sich ge¬
bührt, in dem Herzen des liebelüsternen Anbeters den Vorzug gegeben. Die in¬
einander verzwickten Fleisch- und Beingruppeu in den himmlischen Madonnen
Correggio's, die man in einer ziemlich ausgedehnten Reihe in der Dresdner Ga¬
lerie findet, haben wahrlich nichts Spiritualistisches, so unsinnlich sie auch im
Ganzen gedacht sind, und man wird der freien, durch keine Mystik verwirrten
Sinnlichkeit in seinen heidnischen Liebesgeschichten ans dem Berliner Museum unbe¬
dingt den Vorzug geben. Zuweilen hat sich ein dem ursprünglichen Begriff der
Jungfrau noch fremderer Zug eingeschlichen. So ist mir, ebenfalls in Berlin,
die Madonna eines venetianischen Meisters ausgefallen, die eine entschieden ari¬
stokratische Gesinnung ausdrückt; mit vornehmer Nachlässigkeit sieht sie auf die
Könige, die uuter ihren Füßen knien, herab, und streckt ihnen den Knaben zur
Anbetung entgegen. Sie findet diese Unterwürfigkeit ganz in der Ordnung, und
trägt das hübsche Köpfchen hoch genug, daß man an eine Anwandlung von jung¬
fräulicher Demuth und Schüchternheit nicht im entferntesten denken kann. Am un¬
geschicktesten beträgt sich in der Regel der kleine Messias, und es macht noch
immer den besten Eindruck, wenn er über die pvsstrlichen Gestalten zu seineu
Füßen sich aufs höchste belustigt; den widerlichsten, wenn bereits die Majestät des
jungen Jupiter aus seinen Augen blitzen soll. Hier wird uns wieder anschaulich,
wie die Reflexion deS christlichen Witzes der plastischen Wahrheit widerspricht.


der unsterbliche Chor der Musen, der Hören, endlich die höheren Gottheiten mit
ihrer ebenso bestimmt ausgeprägten als ideal gehaltenen Individualität — was
die neue Kunst in ähnlichen Bildwerken geleistet, ist nur ein schwacher Abglanz
jener alten Hoheit.

In den mittelalterlichen Bildern finden wir alle schlechten Eigenschaften zu¬
sammen, die uns die Kunst verleiden können: unsinnlicher Spiritualismus, geist¬
lose Wunderwirthschaft, rohe Allegorie: die Triangel, die Taube u. s. w. Mit
der Wiedereroberung der antiken Kunst und der antiken Philosophie erhalten die
beiden Hauptpersonen der christlichen Mythologie, Maria und Christus — denn
Gott der Vater ist selten, der abstracte heilige Geist nie zum eigentlichen Vorwurf
der Kunst genommen — eine bestimmte ideale Richtung.

Freilich hat man die Maria oft genug benutzt, um ein hübsches Mädchen ^
oder eine hübsche Frau zu malen. Bei der Madonna della Sedia z. B. weiß
ich in der That nicht, was die Mutter Gottes damit zu schaffen hat. Von den
feisten Frauenzimmern der Jordaens ganz zu schweige». Und ich muß sagen, daß
die rein erotische Auffassung im Ganzen die vorherrschende gewesen ist. Die Je¬
suiten haben ein Freudenbüchlein der Anbetung Mariens geschrieben, das so ver¬
liebt ist, wie mau es von einem christlichen Faun nur erwarten darf. Calderon,
der Dichter des specifische» Katholicismus, hat mehrfach, namentlich aber in seiner
Morgenröthe von Copacavana, die himmlische Jungfrau geradezu als Nebenbuh¬
lerin irdischer Bräute gefeiert, und der überirdischen Schönheit, wie es sich ge¬
bührt, in dem Herzen des liebelüsternen Anbeters den Vorzug gegeben. Die in¬
einander verzwickten Fleisch- und Beingruppeu in den himmlischen Madonnen
Correggio's, die man in einer ziemlich ausgedehnten Reihe in der Dresdner Ga¬
lerie findet, haben wahrlich nichts Spiritualistisches, so unsinnlich sie auch im
Ganzen gedacht sind, und man wird der freien, durch keine Mystik verwirrten
Sinnlichkeit in seinen heidnischen Liebesgeschichten ans dem Berliner Museum unbe¬
dingt den Vorzug geben. Zuweilen hat sich ein dem ursprünglichen Begriff der
Jungfrau noch fremderer Zug eingeschlichen. So ist mir, ebenfalls in Berlin,
die Madonna eines venetianischen Meisters ausgefallen, die eine entschieden ari¬
stokratische Gesinnung ausdrückt; mit vornehmer Nachlässigkeit sieht sie auf die
Könige, die uuter ihren Füßen knien, herab, und streckt ihnen den Knaben zur
Anbetung entgegen. Sie findet diese Unterwürfigkeit ganz in der Ordnung, und
trägt das hübsche Köpfchen hoch genug, daß man an eine Anwandlung von jung¬
fräulicher Demuth und Schüchternheit nicht im entferntesten denken kann. Am un¬
geschicktesten beträgt sich in der Regel der kleine Messias, und es macht noch
immer den besten Eindruck, wenn er über die pvsstrlichen Gestalten zu seineu
Füßen sich aufs höchste belustigt; den widerlichsten, wenn bereits die Majestät des
jungen Jupiter aus seinen Augen blitzen soll. Hier wird uns wieder anschaulich,
wie die Reflexion deS christlichen Witzes der plastischen Wahrheit widerspricht.


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[0174] der unsterbliche Chor der Musen, der Hören, endlich die höheren Gottheiten mit ihrer ebenso bestimmt ausgeprägten als ideal gehaltenen Individualität — was die neue Kunst in ähnlichen Bildwerken geleistet, ist nur ein schwacher Abglanz jener alten Hoheit. In den mittelalterlichen Bildern finden wir alle schlechten Eigenschaften zu¬ sammen, die uns die Kunst verleiden können: unsinnlicher Spiritualismus, geist¬ lose Wunderwirthschaft, rohe Allegorie: die Triangel, die Taube u. s. w. Mit der Wiedereroberung der antiken Kunst und der antiken Philosophie erhalten die beiden Hauptpersonen der christlichen Mythologie, Maria und Christus — denn Gott der Vater ist selten, der abstracte heilige Geist nie zum eigentlichen Vorwurf der Kunst genommen — eine bestimmte ideale Richtung. Freilich hat man die Maria oft genug benutzt, um ein hübsches Mädchen ^ oder eine hübsche Frau zu malen. Bei der Madonna della Sedia z. B. weiß ich in der That nicht, was die Mutter Gottes damit zu schaffen hat. Von den feisten Frauenzimmern der Jordaens ganz zu schweige». Und ich muß sagen, daß die rein erotische Auffassung im Ganzen die vorherrschende gewesen ist. Die Je¬ suiten haben ein Freudenbüchlein der Anbetung Mariens geschrieben, das so ver¬ liebt ist, wie mau es von einem christlichen Faun nur erwarten darf. Calderon, der Dichter des specifische» Katholicismus, hat mehrfach, namentlich aber in seiner Morgenröthe von Copacavana, die himmlische Jungfrau geradezu als Nebenbuh¬ lerin irdischer Bräute gefeiert, und der überirdischen Schönheit, wie es sich ge¬ bührt, in dem Herzen des liebelüsternen Anbeters den Vorzug gegeben. Die in¬ einander verzwickten Fleisch- und Beingruppeu in den himmlischen Madonnen Correggio's, die man in einer ziemlich ausgedehnten Reihe in der Dresdner Ga¬ lerie findet, haben wahrlich nichts Spiritualistisches, so unsinnlich sie auch im Ganzen gedacht sind, und man wird der freien, durch keine Mystik verwirrten Sinnlichkeit in seinen heidnischen Liebesgeschichten ans dem Berliner Museum unbe¬ dingt den Vorzug geben. Zuweilen hat sich ein dem ursprünglichen Begriff der Jungfrau noch fremderer Zug eingeschlichen. So ist mir, ebenfalls in Berlin, die Madonna eines venetianischen Meisters ausgefallen, die eine entschieden ari¬ stokratische Gesinnung ausdrückt; mit vornehmer Nachlässigkeit sieht sie auf die Könige, die uuter ihren Füßen knien, herab, und streckt ihnen den Knaben zur Anbetung entgegen. Sie findet diese Unterwürfigkeit ganz in der Ordnung, und trägt das hübsche Köpfchen hoch genug, daß man an eine Anwandlung von jung¬ fräulicher Demuth und Schüchternheit nicht im entferntesten denken kann. Am un¬ geschicktesten beträgt sich in der Regel der kleine Messias, und es macht noch immer den besten Eindruck, wenn er über die pvsstrlichen Gestalten zu seineu Füßen sich aufs höchste belustigt; den widerlichsten, wenn bereits die Majestät des jungen Jupiter aus seinen Augen blitzen soll. Hier wird uns wieder anschaulich, wie die Reflexion deS christlichen Witzes der plastischen Wahrheit widerspricht.

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/174>, abgerufen am 24.07.2024.