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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Religion des Geistes, die Idee der Opferung versinnlichen sollten, und so auf die
häßlichen Folterscenen herauskamen, vom gekreuzigten Christus an bis zum heiligen
Sebastian, dessen Leib wie ein Stachelschwein mit Spießen besät war; sodann
weil sie Mirakel enthielten, d. h. Ereignisse, die sinnlich unwahr sein müssen, weil
mit der sinnlichen Wahrheit das Wunder aushört. Wieviel der künstlerische Geist
in diese Stoffe Anschaulichkeit gebracht, ist gegen den Sinn des Christenthums.
In dem frivolen und nichtsnutzigen Buch: I" ^mio <Z,i den'isüiiiiismo macht
Chateaubriand darauf aufmerksam, daß die Situation des an den Kreuz geschla¬
genen Erlösers eine künstlerisch sehr verwendbare Körperhaltung erzeuge. Das
ist so unkünstlerisch wie irreligiös. Man geht hier mit dem Menschen, dem nur
der Geist Berechtigung gibt, wie mit einer Draperie um, deren Faltenwurf nach
technischen Zwecken berechnet wird. Aehnlich hat Calderon die Dornenkrone und
andere Attribute des Leidens in phantastischer Freiheit zu anmuthigen Arabesken
verwerthet, und Correggio hat ans der Glorie des Heilands, den anbetenden
Hirten gegenüber, einen Lichteffect gemacht. Die Religion muß der Technik die¬
nen, und doch hemmt sie dieselbe.

Von dauerndem Werth sür die Kunst sind aus der christlichen Mythologie
nur diejenigen Züge gewesen, die eine Bereicherung des Gemüths enthalten. Die
Wünsche Madonna und der Christo della Moneta sind wesentliche Bereicherungen
der plastischen Kunst und ohne das Christenthum nicht denkbar, wenn sie auch der
unmittelbaren, rohen Anlage desselben widersprechen.

Die heidnischen Ideale waren in ihrer bewegungslosen Vollendung nnr auf
die Sculptur berechnet; die Malerei wußte mit den Dianen, Venus, Juno
u. s. w. Nichts anzufangen, wenn nicht vorher die Mythen, in welchen sich
ihre Persönlichkeit entfaltet, in einem wesentlich verschiedenen Geist nmgedichtet
wurden. Das christliche Ideal gibt wenigstens ein Surrogat dieser Bewegung
dnrch den in die Seele selbst gelegten Contrast. An sich sind die christlichen
Mythen um nichts ästhetischer als die antiken; Christus, der die Teufel vou den
besessenen Menschen in eine Heerde Schweine austreibt, würde sich auf dem Ge¬
mälde eben so lächerlich ausnehmen, als Jupiter, der in einer höchst unzweck¬
mäßige" Metamorphose -- goldner Regen, Ochs, Schwan n. s. w. -- jungen
Damen die Cour macht, und die Figuren aus der Apocalypse würden ein noch
viel ungeheuerlicheres Ansehen haben, als die hnudertarmigen Giganten nud dergl.
Dagegen kann man sich aus den Legenden, wenn man sie mit der dogmatischen
Entwickelung der christlichen Glaubenslehre in Zusammenhang bringt, Charaktere
entwickeln, auf deren Physiognomie auch in der Ruhe und Sammlung eine Ge¬
schichte ausgeprägt ist.

Die himmlisch schönen Gestalten des griechischen Meißels duldeten keinen
Wetteifer. Das ganze Geschlecht der Liebesgötter, von Venus und Amor bis zu
den Faunen herunter -- denn.auch diese gehören als Contrast zur Liebesfabel,-


Religion des Geistes, die Idee der Opferung versinnlichen sollten, und so auf die
häßlichen Folterscenen herauskamen, vom gekreuzigten Christus an bis zum heiligen
Sebastian, dessen Leib wie ein Stachelschwein mit Spießen besät war; sodann
weil sie Mirakel enthielten, d. h. Ereignisse, die sinnlich unwahr sein müssen, weil
mit der sinnlichen Wahrheit das Wunder aushört. Wieviel der künstlerische Geist
in diese Stoffe Anschaulichkeit gebracht, ist gegen den Sinn des Christenthums.
In dem frivolen und nichtsnutzigen Buch: I« ^mio <Z,i den'isüiiiiismo macht
Chateaubriand darauf aufmerksam, daß die Situation des an den Kreuz geschla¬
genen Erlösers eine künstlerisch sehr verwendbare Körperhaltung erzeuge. Das
ist so unkünstlerisch wie irreligiös. Man geht hier mit dem Menschen, dem nur
der Geist Berechtigung gibt, wie mit einer Draperie um, deren Faltenwurf nach
technischen Zwecken berechnet wird. Aehnlich hat Calderon die Dornenkrone und
andere Attribute des Leidens in phantastischer Freiheit zu anmuthigen Arabesken
verwerthet, und Correggio hat ans der Glorie des Heilands, den anbetenden
Hirten gegenüber, einen Lichteffect gemacht. Die Religion muß der Technik die¬
nen, und doch hemmt sie dieselbe.

Von dauerndem Werth sür die Kunst sind aus der christlichen Mythologie
nur diejenigen Züge gewesen, die eine Bereicherung des Gemüths enthalten. Die
Wünsche Madonna und der Christo della Moneta sind wesentliche Bereicherungen
der plastischen Kunst und ohne das Christenthum nicht denkbar, wenn sie auch der
unmittelbaren, rohen Anlage desselben widersprechen.

Die heidnischen Ideale waren in ihrer bewegungslosen Vollendung nnr auf
die Sculptur berechnet; die Malerei wußte mit den Dianen, Venus, Juno
u. s. w. Nichts anzufangen, wenn nicht vorher die Mythen, in welchen sich
ihre Persönlichkeit entfaltet, in einem wesentlich verschiedenen Geist nmgedichtet
wurden. Das christliche Ideal gibt wenigstens ein Surrogat dieser Bewegung
dnrch den in die Seele selbst gelegten Contrast. An sich sind die christlichen
Mythen um nichts ästhetischer als die antiken; Christus, der die Teufel vou den
besessenen Menschen in eine Heerde Schweine austreibt, würde sich auf dem Ge¬
mälde eben so lächerlich ausnehmen, als Jupiter, der in einer höchst unzweck¬
mäßige» Metamorphose — goldner Regen, Ochs, Schwan n. s. w. — jungen
Damen die Cour macht, und die Figuren aus der Apocalypse würden ein noch
viel ungeheuerlicheres Ansehen haben, als die hnudertarmigen Giganten nud dergl.
Dagegen kann man sich aus den Legenden, wenn man sie mit der dogmatischen
Entwickelung der christlichen Glaubenslehre in Zusammenhang bringt, Charaktere
entwickeln, auf deren Physiognomie auch in der Ruhe und Sammlung eine Ge¬
schichte ausgeprägt ist.

Die himmlisch schönen Gestalten des griechischen Meißels duldeten keinen
Wetteifer. Das ganze Geschlecht der Liebesgötter, von Venus und Amor bis zu
den Faunen herunter — denn.auch diese gehören als Contrast zur Liebesfabel,-


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[0173] Religion des Geistes, die Idee der Opferung versinnlichen sollten, und so auf die häßlichen Folterscenen herauskamen, vom gekreuzigten Christus an bis zum heiligen Sebastian, dessen Leib wie ein Stachelschwein mit Spießen besät war; sodann weil sie Mirakel enthielten, d. h. Ereignisse, die sinnlich unwahr sein müssen, weil mit der sinnlichen Wahrheit das Wunder aushört. Wieviel der künstlerische Geist in diese Stoffe Anschaulichkeit gebracht, ist gegen den Sinn des Christenthums. In dem frivolen und nichtsnutzigen Buch: I« ^mio <Z,i den'isüiiiiismo macht Chateaubriand darauf aufmerksam, daß die Situation des an den Kreuz geschla¬ genen Erlösers eine künstlerisch sehr verwendbare Körperhaltung erzeuge. Das ist so unkünstlerisch wie irreligiös. Man geht hier mit dem Menschen, dem nur der Geist Berechtigung gibt, wie mit einer Draperie um, deren Faltenwurf nach technischen Zwecken berechnet wird. Aehnlich hat Calderon die Dornenkrone und andere Attribute des Leidens in phantastischer Freiheit zu anmuthigen Arabesken verwerthet, und Correggio hat ans der Glorie des Heilands, den anbetenden Hirten gegenüber, einen Lichteffect gemacht. Die Religion muß der Technik die¬ nen, und doch hemmt sie dieselbe. Von dauerndem Werth sür die Kunst sind aus der christlichen Mythologie nur diejenigen Züge gewesen, die eine Bereicherung des Gemüths enthalten. Die Wünsche Madonna und der Christo della Moneta sind wesentliche Bereicherungen der plastischen Kunst und ohne das Christenthum nicht denkbar, wenn sie auch der unmittelbaren, rohen Anlage desselben widersprechen. Die heidnischen Ideale waren in ihrer bewegungslosen Vollendung nnr auf die Sculptur berechnet; die Malerei wußte mit den Dianen, Venus, Juno u. s. w. Nichts anzufangen, wenn nicht vorher die Mythen, in welchen sich ihre Persönlichkeit entfaltet, in einem wesentlich verschiedenen Geist nmgedichtet wurden. Das christliche Ideal gibt wenigstens ein Surrogat dieser Bewegung dnrch den in die Seele selbst gelegten Contrast. An sich sind die christlichen Mythen um nichts ästhetischer als die antiken; Christus, der die Teufel vou den besessenen Menschen in eine Heerde Schweine austreibt, würde sich auf dem Ge¬ mälde eben so lächerlich ausnehmen, als Jupiter, der in einer höchst unzweck¬ mäßige» Metamorphose — goldner Regen, Ochs, Schwan n. s. w. — jungen Damen die Cour macht, und die Figuren aus der Apocalypse würden ein noch viel ungeheuerlicheres Ansehen haben, als die hnudertarmigen Giganten nud dergl. Dagegen kann man sich aus den Legenden, wenn man sie mit der dogmatischen Entwickelung der christlichen Glaubenslehre in Zusammenhang bringt, Charaktere entwickeln, auf deren Physiognomie auch in der Ruhe und Sammlung eine Ge¬ schichte ausgeprägt ist. Die himmlisch schönen Gestalten des griechischen Meißels duldeten keinen Wetteifer. Das ganze Geschlecht der Liebesgötter, von Venus und Amor bis zu den Faunen herunter — denn.auch diese gehören als Contrast zur Liebesfabel,-

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/173>, abgerufen am 24.07.2024.