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Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band.

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Leipzig gekommen sind, einige zwanzig Judiths und nicht viel weniger Cäci¬
lien gezählt. Diese beiden dem Anschein nach einander sehr entgegengesetzten
Stoffe finden doch in der leitenden Tendenz unserer Kunstperiode einen Verbin¬
dungspunkt, der mich veranlaßt, an sie die Frage anzuknüpfen, in wie weit die
christlichen Stosse, und namentlich die christlichen Masken, überhaupt noch ein
Bürgerrecht in der Kunst beanspruchen dürfen.

Freilich thut in der Behandlung dieser Stoffe die Individualität des Künst¬
lers viel. In diesen Tagen z. B. haben wir bei del Vecchio als Cäcilie eine
wohlbeleibte Kammerjungfer, die sich mit der Sammetrobe ihrer Gebieterin aus¬
geputzt, an's Clavier gesetzt hat und nun die Gesichter schneidet, welche sie bei
der gnädigen Frau in besonders herzergreifenden Momenten beobachtet hat. Eine
Judith trug das Haupt des Holofernes mit der graziösen Impertinenz einer
Schneidermamsell, die einen neugemalten Perrückenstock in ihren Putzläden bringt.
In diesen Fällen ist aber die Wahl des Gegenstandes etwas Zufälliges; man hat
ihn genommen, weil die Sorte gerade gut geht, ohne innerlichen Beruf. Wo
das nicht der Fall ist, wird die Hauptsache sich gleich bleiben.

Die Judith der ursprünglichen Stammsage war ein patriotisches, oder, was
bei den Juden dasselbe sagen wollte, ein Gott ergebenes Weib. Es ist in ihrer
That nicht der geringste Gefühlsconflict vorhanden. Sie ermordet den Feind ihres
Volks und ihres Gottes, das ist ein höchst verdienstliches Werk vor den Angen
Jehovahs, ein Werk, wie es die Heldensagen mehrfach von den Lieblingen Jeho-
vahs berichten, und sie gibt um dieses Zweckes willen ihre Keuschheit preis, das
ist wieder ein höchst werthvolles Opfer; wenn es vorbei ist, so preisen sie die
Jungfrauen und nettesten von Zion als die Gebenedeite des Herrn. Aber diese
einfache Auffassung ist uuserer modernen Empfindungsweise zu roh, das Preisgeben
für das Vaterland ohne alle Beimischung von Sinnlichkeit, und der Mord ohne
allen sittlichen Schauder ist eine Naivität, die wir uns gar nicht mehr denken
können. Wenn daher Hebbel in seinem bekannten Drama die Motive sowohl vor
als während der That gespalten hat, so ist das nur zum Theil der eigenthüm¬
lichen Weise seines Producirens beizumessen: er hat die Metamorphose, welche im
Geist des- Zeitalters mit der poetischen Gestalt der Judith nothwendigerweise vor¬
genommen werden mußte, nur mit einer gewissen Vollständigkeit und Methode
vollzogen. Er schärft das geschlechtliche Gelüst in der noch nicht berührten Jung¬
frau durch eine geschlossene, aber nicht zur Ausführung gekommene Ehe; er gibt-
ihrem Haß und ihrem Anbetungsdrang den nämlichen Gegenstand; er macht aus
dem religiösen Opfer des Leibes das Zucken des Fleisches nach Befriedigung; aus
der Heldenthat zu Ehren Gottes einen Act der Rache und der Scham. Die
That, welche die historische Judith zu einer gefeierten Heldin des Stammes, erhob,
muß die Judith der modernen Poesie sittlich vernichten. Dieser Streit zwischen
Scham, Lust, Haß, Liebe u. s. w. drückt sich als das poetische Motiv in den


Leipzig gekommen sind, einige zwanzig Judiths und nicht viel weniger Cäci¬
lien gezählt. Diese beiden dem Anschein nach einander sehr entgegengesetzten
Stoffe finden doch in der leitenden Tendenz unserer Kunstperiode einen Verbin¬
dungspunkt, der mich veranlaßt, an sie die Frage anzuknüpfen, in wie weit die
christlichen Stosse, und namentlich die christlichen Masken, überhaupt noch ein
Bürgerrecht in der Kunst beanspruchen dürfen.

Freilich thut in der Behandlung dieser Stoffe die Individualität des Künst¬
lers viel. In diesen Tagen z. B. haben wir bei del Vecchio als Cäcilie eine
wohlbeleibte Kammerjungfer, die sich mit der Sammetrobe ihrer Gebieterin aus¬
geputzt, an's Clavier gesetzt hat und nun die Gesichter schneidet, welche sie bei
der gnädigen Frau in besonders herzergreifenden Momenten beobachtet hat. Eine
Judith trug das Haupt des Holofernes mit der graziösen Impertinenz einer
Schneidermamsell, die einen neugemalten Perrückenstock in ihren Putzläden bringt.
In diesen Fällen ist aber die Wahl des Gegenstandes etwas Zufälliges; man hat
ihn genommen, weil die Sorte gerade gut geht, ohne innerlichen Beruf. Wo
das nicht der Fall ist, wird die Hauptsache sich gleich bleiben.

Die Judith der ursprünglichen Stammsage war ein patriotisches, oder, was
bei den Juden dasselbe sagen wollte, ein Gott ergebenes Weib. Es ist in ihrer
That nicht der geringste Gefühlsconflict vorhanden. Sie ermordet den Feind ihres
Volks und ihres Gottes, das ist ein höchst verdienstliches Werk vor den Angen
Jehovahs, ein Werk, wie es die Heldensagen mehrfach von den Lieblingen Jeho-
vahs berichten, und sie gibt um dieses Zweckes willen ihre Keuschheit preis, das
ist wieder ein höchst werthvolles Opfer; wenn es vorbei ist, so preisen sie die
Jungfrauen und nettesten von Zion als die Gebenedeite des Herrn. Aber diese
einfache Auffassung ist uuserer modernen Empfindungsweise zu roh, das Preisgeben
für das Vaterland ohne alle Beimischung von Sinnlichkeit, und der Mord ohne
allen sittlichen Schauder ist eine Naivität, die wir uns gar nicht mehr denken
können. Wenn daher Hebbel in seinem bekannten Drama die Motive sowohl vor
als während der That gespalten hat, so ist das nur zum Theil der eigenthüm¬
lichen Weise seines Producirens beizumessen: er hat die Metamorphose, welche im
Geist des- Zeitalters mit der poetischen Gestalt der Judith nothwendigerweise vor¬
genommen werden mußte, nur mit einer gewissen Vollständigkeit und Methode
vollzogen. Er schärft das geschlechtliche Gelüst in der noch nicht berührten Jung¬
frau durch eine geschlossene, aber nicht zur Ausführung gekommene Ehe; er gibt-
ihrem Haß und ihrem Anbetungsdrang den nämlichen Gegenstand; er macht aus
dem religiösen Opfer des Leibes das Zucken des Fleisches nach Befriedigung; aus
der Heldenthat zu Ehren Gottes einen Act der Rache und der Scham. Die
That, welche die historische Judith zu einer gefeierten Heldin des Stammes, erhob,
muß die Judith der modernen Poesie sittlich vernichten. Dieser Streit zwischen
Scham, Lust, Haß, Liebe u. s. w. drückt sich als das poetische Motiv in den


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[0170] Leipzig gekommen sind, einige zwanzig Judiths und nicht viel weniger Cäci¬ lien gezählt. Diese beiden dem Anschein nach einander sehr entgegengesetzten Stoffe finden doch in der leitenden Tendenz unserer Kunstperiode einen Verbin¬ dungspunkt, der mich veranlaßt, an sie die Frage anzuknüpfen, in wie weit die christlichen Stosse, und namentlich die christlichen Masken, überhaupt noch ein Bürgerrecht in der Kunst beanspruchen dürfen. Freilich thut in der Behandlung dieser Stoffe die Individualität des Künst¬ lers viel. In diesen Tagen z. B. haben wir bei del Vecchio als Cäcilie eine wohlbeleibte Kammerjungfer, die sich mit der Sammetrobe ihrer Gebieterin aus¬ geputzt, an's Clavier gesetzt hat und nun die Gesichter schneidet, welche sie bei der gnädigen Frau in besonders herzergreifenden Momenten beobachtet hat. Eine Judith trug das Haupt des Holofernes mit der graziösen Impertinenz einer Schneidermamsell, die einen neugemalten Perrückenstock in ihren Putzläden bringt. In diesen Fällen ist aber die Wahl des Gegenstandes etwas Zufälliges; man hat ihn genommen, weil die Sorte gerade gut geht, ohne innerlichen Beruf. Wo das nicht der Fall ist, wird die Hauptsache sich gleich bleiben. Die Judith der ursprünglichen Stammsage war ein patriotisches, oder, was bei den Juden dasselbe sagen wollte, ein Gott ergebenes Weib. Es ist in ihrer That nicht der geringste Gefühlsconflict vorhanden. Sie ermordet den Feind ihres Volks und ihres Gottes, das ist ein höchst verdienstliches Werk vor den Angen Jehovahs, ein Werk, wie es die Heldensagen mehrfach von den Lieblingen Jeho- vahs berichten, und sie gibt um dieses Zweckes willen ihre Keuschheit preis, das ist wieder ein höchst werthvolles Opfer; wenn es vorbei ist, so preisen sie die Jungfrauen und nettesten von Zion als die Gebenedeite des Herrn. Aber diese einfache Auffassung ist uuserer modernen Empfindungsweise zu roh, das Preisgeben für das Vaterland ohne alle Beimischung von Sinnlichkeit, und der Mord ohne allen sittlichen Schauder ist eine Naivität, die wir uns gar nicht mehr denken können. Wenn daher Hebbel in seinem bekannten Drama die Motive sowohl vor als während der That gespalten hat, so ist das nur zum Theil der eigenthüm¬ lichen Weise seines Producirens beizumessen: er hat die Metamorphose, welche im Geist des- Zeitalters mit der poetischen Gestalt der Judith nothwendigerweise vor¬ genommen werden mußte, nur mit einer gewissen Vollständigkeit und Methode vollzogen. Er schärft das geschlechtliche Gelüst in der noch nicht berührten Jung¬ frau durch eine geschlossene, aber nicht zur Ausführung gekommene Ehe; er gibt- ihrem Haß und ihrem Anbetungsdrang den nämlichen Gegenstand; er macht aus dem religiösen Opfer des Leibes das Zucken des Fleisches nach Befriedigung; aus der Heldenthat zu Ehren Gottes einen Act der Rache und der Scham. Die That, welche die historische Judith zu einer gefeierten Heldin des Stammes, erhob, muß die Judith der modernen Poesie sittlich vernichten. Dieser Streit zwischen Scham, Lust, Haß, Liebe u. s. w. drückt sich als das poetische Motiv in den

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Zitationshilfe: Die Grenzboten. Jg. 9, 1850, I. Semester. I. Band, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/grenzboten_341568_92822/170>, abgerufen am 24.07.2024.